Altersarmut:Putzfrau rettet Anne Wills Talkshow

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Susanne Neumann, Putzfrau und Vorsitzende des IG-BAU-Bezirksverbands Emscher-Lippe-Aa, bei Anne Will (Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

"Ich war nie faul, habe immer malocht", sagt Susanne Neumann zum Thema Altersarmut. Den schwersten Job des Abends hat SPD-Politikerin Hannelore Kraft.

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Ganz plötzlich ist sie aufgetaucht. Wie ein verschlampter Termin beim Zahnarzt. Lange nicht dran gedacht und dann doch ganz nah. Die Rede ist von der Rentendiskussion. Sie könnte den nächsten Bundestagswahlkampf dominieren.

Davon gehen zumindest viele aus, seit CSU-Chef Seehofer und SPD-Chef Gabriel das Thema in der vergangenen Woche für sich entdeckten. Grund genug auch für die Redaktion von Anne Will, über die Altersvorsorge debattieren zu lassen statt über die vermeintlichen Grenzen von Satire.

"Heute kleiner Lohn, morgen Altersarmut - Versagt der Sozialstaat?" So lautete die Frage am Sonntagabend. Zu Gast: DIW-Präsident Marcel Fratzscher, FAZ-Journalist Rainer Hank, Jungunternehmer Hubertus Porschen sowie Susanne Neumann, Gewerkschafterin und Putzfrau. Einzige Politikerin in der Runde war NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Alle gegen Kraft

Sie hatte wohl den schwersten Job an diesem Abend. Kraft musste nicht nur erklären, wie der Vorschlag ihres Parteichefs Sigmar Gabriel denn bezahlt werden solle. Dieser will die von der SPD mitbeschlossene Absenkung des Rentenniveaus stoppen.

Kraft musste sich auch dafür rechtfertigen, was ihre Partei noch so alles falsch gemacht habe in der Vergangenheit. Ein Auszug der Vorwürfe: Die Hartz IV-Reformen haben den Niedriglohnsektor gestärkt, die Rente mit 63 bringt den von Armut bedrohten Rentnern nichts, und die Riester-Rente? Ohnehin ein Flop, an dem nur die Versicherungen verdienen. Alle gegen Kraft.

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Die erhoffte sich augenscheinlich die Unterstützung von Susanne Neumann. Die Gewerkschafterin, die 35 Jahre als Putzfrau gearbeitet hat und trotzdem nur durch die Rente ihres Mannes eine ausreichende Rente beziehen wird, kommt ebenfalls aus dem Ruhrgebiet. Doch von Malocher-Harmonie zwischen Kraft und Neumann keine Spur.

Vom verständnisvollen Dauernicken der Ministerpräsidentin lässt sich die Putzfrau jedenfalls nicht überzeugen. Sie sorgt sich um "ihre Mädels", wie sie sagt, ihre Kolleginnen. "Die landen alle in der Altersarmut", sagt Neumann. Da helfe auch der Mindestlohn nichts. Und die private Vorsorge? Wovon sollen Leute wie sie das denn bezahlen, fragt Neumann. Und wo ist der Anreiz, wenn es am Ende trotzdem nur für die Grundsicherung reicht?

Kraft räumt ein, dass Fehler gemacht wurden. Die Beitragszahler nicht zur Riester-Rente verpflichtet zu haben, war falsch, sagt sie. Aber es gebe ja Ideen. Nur seien die mit den Koalitionspartnern nicht zu machen.

FAZ-Journalist Rainer Hank hält die Diskussion sowieso für übertrieben. Die Statistiken, die es zur drohenden Altersarmut gebe, seien unrealistisch. Hank meint zum Beispiel eine Studie des Westdeutschen Rundfunks (WDR), wonach jedem Zweiten die Altersarmut drohe. Auf maximal neun Prozent der Menschen würde das wirklich zutreffen, sagt Hank.

"Fragen Sie, wen Sie wollen." Und dann tut Hank, der für marktliberale Positionen bekannt ist, Hannelore Kraft einen zweifelhaften Gefallen: Er macht sich zum Schutzpatron der SPD. Die Reformen waren richtig, sagt Hank. Er wolle "eine Lanze für Riester brechen". "Wenn Sozialdemokraten das selber nicht mehr machen, müssen es eben Wirtschaftsjournalisten machen", sagt Hank. Der einigermaßen skurrile Höhepunkt in einer ansonsten eher sachlichen Diskussion, die Anne Will souverän leitet.

Sachlich bleibt auch DIW-Chef Fratzscher, der ein Buch mit dem dafür lautmalerischen Titel "Verteilungskampf" geschrieben hat. Darin befasst er sich mit der Ungleichheit im Land. Für ihn eine Hauptursache der Rentenlücke. Fratzscher ist am nächsten bei Reinigungskraft Neumann. Er fordert eine "gezielte Förderung für die Bedürftigen", statt Geld für reiche Rentner. Die Rente mit 63 nütze den Menschen nicht, um die es in dieser Sendung eigentlich gehen soll: Geringverdienern, denen im Alter die Armut droht. Das Problem der niedrigen Einkommen beklagt auch Hannelore Kraft. "Da müssen wir nachsteuern", sagt sie.

"Ich war nie faul"

Könnten denn die Unternehmen bei der Finanzierung helfen? "Das ist nicht der Punkt", sagt Hubertus Porschen, Verbandschef der Jungunternehmer. "Doch", sagt Anne Will. Von Porschen kommt darauf nichts mehr. Oder es geht im Applaus des Publikums unter. Dabei hätte er ja die Chance gehabt, auf ein grundsätzliches Problem stärker hinzuweisen. Wenn das Rentenniveau nicht sinkt, dann zahlen die Jungen drauf, die ja ohnehin immer weniger werden. Porschen erwähnt das zwar, aber es verhallt. Auch weil die Diskussion ausfranst.

So diskutieren die Gäste am Schluss noch über das Thema Bildung: Muss nicht mehr Geld in Universitäten, Schulen und Kitas fließen? Natürlich ist diese Diskussion berechtigt. Die Frage ist ja: Wie schaffen es mehr Menschen, aus dem Niedriglohnsektor herauszukommen? Doch bei nur sechzig Minuten Sendezeit hätte sich die Runde lieber auf das eigentliche Thema konzentrieren sollen.

So sieht es zumindest Susanne Neumann. "Jetzt kommen wir mal wieder auf den Punkt", ruft sie genervt dazwischen. "Was habe ich denn falsch gemacht?" Es ist jetzt ruhig in der Runde. "Ich war nie faul, habe immer malocht." Aber von ihrer Rente, sagt Neumann, kann sie nicht leben.

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