Süddeutsche Zeitung

Altersarmut:"Schlimmer als Armut ist die Demütigung"

Verkäuferin, Taxifahrerin, drei Kinder großgezogen - macht 630 Euro Rente. Die Talkrunde von Maybrit Illner wird hitzig, als ganz normale Menschen ihre Altersarmut beschreiben.

TV-Kritik von Jan Schmidbauer

Vor ihrem Auftritt bei Maybrit Illner sprach Magda Kunkel noch mit ihrer Heimatzeitung. Nervös sei sie natürlich, sagte die 74-jährige Rentnerin aus Gießen. "Ich hoffe, dass ich nicht zu sehr ausschweifen werde." Zwar ist sie nervös, aber ihr Problem bringt Kunkel zügig auf den Punkt: 48 Jahre hat sie gearbeitet, 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt. Sie schuftete als Verkäuferin, war jahrelang Taxifahrerin und zog drei Kinder groß. Heute bleiben ihr nur 630 Euro Rente. Kunkel ist auf die Grundsicherung angewiesen, 300 Euro bekommt sie oben drauf. Sonst könnte sie von ihrer Rente überhaupt nicht leben.

"Hungerlöhne, Mager-Rente - unruhig in den Ruhestand?" So lautete das Thema des Abends bei Maybrit Illner. Es war gut gesetzt. Erst eine halbe Stunde zuvor war ein Treffen der Koalitionsspitzen im Kanzleramt zu Ende gegangen, bei dem es um Entscheidungen ging, um Entscheidungen zur Rente. Seit Monaten schon arbeitet SPD-Ministerin Andrea Nahles an ihrem Rentenkonzept. Die Ergebnisse will sie am Freitag vorstellen - und damit Antworten liefern auf ein Problem, das sich in den kommenden Jahren verschärfen dürfte: die Altersarmut.

"Fühlen Sie sich arm, Frau Kunkel?"

Und damit zurück ins Studio. "Fühlen Sie sich arm, Frau Kunkel?", fragt Illner gleich zu Beginn der Sendung. "Schlimmer als Armut ist die Demütigung", sagt die Rentnerin. Schließlich werde sie, die ihr Leben lang gearbeitet habe, gleichgestellt mit Leuten, die nichts eingezahlt hätten und Grundsicherung beantragen. Kunkel bemerkt, dass es vor allem Frauen seien, die von ihrer Rente nicht leben können.

Keiner in der Runde will ihr da widersprechen. Zu Gast sind die Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, der Politikwissenschaftler Antonio Brettschneider sowie Christoph M. Schmidt, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen. Größeren Streit gibt es an diesem Abend nicht in der Runde. Zu ähnlich sind die Meinungen.

Es sind sich ja alle einig, dass etwas getan werden muss gegen die Altersarmut. Hitziger wird es nur dann, wenn die Publikumsgäste zu Wort kommen. Neben Magda Kunkel sitzen dort die Kiosk-Betreiberin Claudia Kloß-Fricke und die Gebäudereinigerin Carla Rodrigues-Fernandes. Die beiden Letzteren haben noch viele Arbeitsjahre vor sich, wissen aber jetzt schon, dass sie wohl nur eine Rente auf Grundsicherungs-Niveau bekommen werden. Das sind meist nur etwa 800 Euro.

Die Diskutanten im öffentlich-rechtlichen Halboval versuchen trotzdem zu beruhigen statt zuzuspitzen. Laut SPD-Politikerin Dreyer gebe es zu viel "Schwarzmalerei". Der Ökonom und "Wirtschaftsweise" Christoph M. Schmidt sagt, dass zuletzt viele Fortschritte bei der Rente gemacht wurden. Deutlich euphorischer gibt sich JU-Chef Ziemiak: Deutschland gehe es so gut wie nie.

Wahr ist: Aktuell beziehen nur etwa drei Prozent der über 65-Jährigen Grundsicherung. Vielen Rentnern in Deutschland geht es sehr gut. Doch das könnte sich bereits mit der nächsten Generation ändern. Spätestens, wenn nach 2030 das Rentenniveau weiter absinkt, also das Verhältnis von der Rente nach 45 Jahren Arbeit zum Durchschnittslohn. In ihrem Alterssicherungsbericht warnte die Bundesregierung erst vor Kurzem, dass gerade Geringverdiener ein "erhebliches Risiko" haben, arm zu werden, wenn sie nicht zusätzlich vorsorgen.

"Herr Ziemiak, da treffen wir auf das Leben"

Mehr Vorsorge, genau das fordert nun JU-Chef Ziemiak. "Und das muss nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sein", fügt er hinzu. Mehr privat vorsorgen also. Eine gute Idee? Die souverän moderierende Illner fragt gleich nach bei einer Geringverdienerin und gibt das Mikrofon dafür an Claudia Kloß-Fricke.

Die Kiosk-Betreiberin kann darüber nur schmunzeln. Einzahlen ist schön und gut, sagt sie, aber "von was"? Sie verdiene weniger als den Mindestlohn. Im Prinzip könne sie sowieso Hartz IV beantragen, sagt sie. Für private Vorsorge habe sie jedenfalls kein Geld übrig. "Herr Ziemiak, da treffen wir auf das Leben", sagt Illner. Doch Ziemiak will das nicht so auf sich sitzen lassen. "Dann müssen Sie etwas anderes arbeiten", sagt er zu Kloß-Fricke. "Das gehört zur Wahrheit dazu."

Ein Raunen geht durch das Studio

Ein Raunen geht durch das Studio. Dabei vertreten auch andere Politiker diese Position. Die für die Rentenpolitik zuständige Arbeitsministerin Nahles hatte im Interview mit der Zeit zwar ermäßigte Beiträge für Unternehmensgründer in Aussicht gestellt. Doch wer fünf Jahre nach Gründung seiner Firma noch immer kein Geld für die Altersvorsorge habe, "sollte über sein Geschäftsmodell ohnehin noch mal nachdenken", sagte sie.

Im ZDF-Studio liefert Politikwissenschaftler Brettschneider schließlich den konkretesten Vorschlag, um mehr Geld in die Rentenkassen zu spülen. Er schlägt vor, die Arbeitgeber stärker an den Beiträgen zu beteiligen. Das würde viele Arbeitsplätze gefährden, hält der Wirtschaftsweise Schmidt dagegen. Ansonsten bleibt es vor allem bei Zahlenspielen und altbekannten Ideen. Doch wenn die Rente wirklich zum Wahlkampfthema Nr. 1 wird, dürften noch einige Talkrunden folgen.

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