Sein Spiel mit der Grenzüberschreitung hat Donald Trump geholfen, US-Präsident zu werden. Das auszusprechen, was die Political Correctness (vermeintlich) verbietet, was beim Establishment für Entsetzen sorgt, ist en vogue in Teilen Amerikas. Einer, der dafür ein besonderes Talent hat, ist Milo Yiannopoulos. 32 Jahre alt, Brite mit griechischen Wurzeln, Journalist beim umstrittenen Portal Breitbart, schwul. All diese Dinge sind erwähnenswert, denn sie gehören zu Yiannopoulos' Rechtfertigungsnarrativ und machen ihn in den Augen seiner Anhänger unangreifbar. Yiannopoulos ist der Posterboy des Alt-Right-Movement und er war bis zum vergangenen Wochenende das hofierte Enfant terrible der amerikanischen Konservativen.
Nun jedoch scheint er sich im Spiel mit der Grenzüberschreitung verzockt zu haben. Dem Breitbart-Journalisten wird ein Interview zum Verhängnis, das er bereits Anfang 2016 dem Podcast "Drunken Peasants" gegeben hatte. Am Sonntag machte die konservative Webseite The Reagan Battalion via Twitter ein Video mit Ausschnitten öffentlich, in denen sich Yiannopoulos zu Sex zwischen Erwachsenen und Kindern äußert. Im Gespräch mit den Moderatoren sagt er über verbotene Beziehungen zwischen Lehrerinnen und Schülern: "Der Junge ist das Raubtier in dieser Situation."
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An anderer Stelle spricht er davon, dass sexuelle Beziehungen zwischen 13-jährigen Jungen und älteren Männern "vollkommen einvernehmlich" sein könnten. In einer homosexuellen Welt würden die älteren Männer den Jungen helfen, sich selbst zu finden. Die "willkürliche und unterdrückende Idee von Einvernehmlichkeit" sei das eigentliche Problem, so Yiannopoulos. "Wir sind besessen von Missbrauch, wir sind besessen von diesem Kindesmissbrauchs-Zeug."
"Weißt du was? Ich bin dankbar für Pater Michael"
Der Clip endet mit einer Nachfrage des Moderators: Das klinge doch sehr nach katholischen Priestern, die ihre Schutzbefohlenen missbrauchen? Yiannopoulos' lapidare Antwort: "Weißt du was? Ich bin dankbar für Pater Michael. Ich wäre heute nie so gut beim Oralsex, wenn es ihn nicht gegeben hätte."
Damit ist Yiannopoulos offenbar den einen Schritt zu weit gegangen. Am Montag strich die Conservative Political Action Conference, ein wichtiges Meinungsforum für junge amerikanische Konservative, ihn von der Rednerliste. Dort hätte der Breitbart-Journalist zum Thema Meinungszensur auf dem College-Campus sprechen sollen. Außerdem kündigte der Verlag Simon & Schuster an, ein geplantes Buchprojekt mit Yiannopoulos nicht zu realisieren. Für "Dangerous", angekündigt als Kommentar zum Wert der freien Meinungsäußerung, hatte Yiannopoulos gerüchteweise einen Vorschuss von 250 000 US-Dollar bekommen.
Das Geld könnte er demnächst brauchen: Denn nach Informationen von New York Times und Washington Post ist auch Yiannopoulos' Zukunft bei Breitbart offen. In der Chefetage des Mediums, dem lange Trumps umstrittener Berater Steve Bannon vorstand, werde darüber diskutiert, ob die öffentliche Entschuldigung des Mitarbeiters ausreiche, um ihn zu halten.
Noch in der Nacht zu Montag hatte Yiannopoulos versucht, seine ein Jahr alten Äußerungen zu relativieren. "Ich möchte einmal mehr meine absolute Abscheu für Erwachsene zum Ausdruck bringen, die Minderjährige missbrauchen", schrieb der 32-Jährige bei Facebook. Er sei selbst ein Opfer von Kindesmissbrauch und habe große Teile seiner Karriere darauf verwendet, Kinderschänder bloßzustellen. Er verstehe jedoch, dass diese Videos ein anderes Bild zeichneten - auch wenn manche absichtlich irreführend geschnitten worden seien. Doch Yiannopoulos räumt auch ein: "Ich trage eine Mitschuld."
Diese Verteidigungsstrategie ist zugleich neu und typisch. Weil harte Provokationen zu Yiannopoulos' Markenkern gehören wie die langen, wasserstoffblonden Strähnen, entschuldigt er sich üblicherweise nicht. Der 32-Jährige hat schon in Schweineblut gebadet, um auf die vermeintlichen Opfer von illegalen Einwanderern und Terroristen aufmerksam zu machen. Er verbreitet neonazistische Parolen über Juden und menschenverachtende Kommentare über Feministinnen. Und als Twitter im vergangenen Sommer seinen Account sperrte, nachdem er eine Mobbingkampagne gegen die afroamerikanische Schauspielerin Leslie Jones ("Ghostbusters") initiiert hatte, interpretierte Yiannopoulos seinen Rauswurf im Sinne der eigenen Agenda: So weit reiche also die Macht des linken Establishments, Twitter habe sich als Medium der freien Meinungsäußerung disqualifiziert.
Eine Taktik, die ihn gegen Kritik immunisiert hat
Entgegen dieser Behauptung finden die Twitter-Nutzer gerade sehr klare Worte. Der amerikanische Radiomoderator Guy Benson, der selbst schwul ist, schrieb in Bezug auf den jüngsten Yiannopoulos-Skandal: "Es ist, als wäre er im Labor erschaffen worden, um einige der hässlichsten Stereotype über Homosexuelle und Konservative aufrechtzuerhalten."
Sogar dem Berufs-Pöbler Yiannopoulos dürfte mittlerweile klargeworden sein, dass er mit seinen Pädophilie-Äußerungen einen Tabubruch begangen hat, für den es selbst von seiner stramm rechten Fanbasis keinen Beifall gibt. Da hilft es, dass sich Yiannopoulos einmal mehr darauf berufen kann, als selbst Betroffener gesprochen zu haben. In der Vergangenheit hat ihn diese Taktik zumindest bei der eigenen Anhängerschaft gegen Kritik immunisiert. Nach dem Motto: "Ein Mann mit Migrationshintergrund, der sich gegen Zuwanderung ausspricht? Da muss doch was dran sein."
Am Sonntagabend schrieb Yiannopoulos bei Facebook: "Meine eigenen Erfahrungen als Opfer haben mich glauben lassen, dass ich zu diesem Thema alles sagen kann, was ich will, egal wie abscheulich es ist."