Alex Schlüter beim Streamingportal Dazn:Aus vollem Lauf

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Moderator Alex Schlüter geht es darum, "den Leuten auf sensible Weise näherzubringen, dass ich durchaus auch eine gewisse Ahnung habe". (Foto: DAZN/Lukas Mengele)

Überschäumende Begeisterung für Fußball: Wer Sportmoderator Alex Schlüter auf dem Platz, vor der Kamera und am Mikro erlebt, weiß, warum das Streamingportal Dazn so erfolgreich ist.

Von Harald Hordych

Es läuft die 43. Minute des Spiels Bayern München gegen Dynamo Kiew, noch zwei Minuten werden bis zur Halbzeitpause gespielt, da erhebt sich Sportmoderator Alex Schlüter von seinem Kommentatorenplatz und wendet dem Geschehen den Rücken zu. Manchmal stehen Zuschauer hier in der Münchener Allianz-Arena vor dem Schlusspfiff auf, weil sie die Toiletten als erste erreichen wollen. Schlüter aber will zum Spielfeld. Von dort wird er mit Beginn der Halbzeitpause über die Höhepunkte des Spiels sprechen.

Schlüter geht nicht. Er rennt. Hinter den Sitzrängen entlang, die Treppen hinab. Durch die Katakomben. So wenig wie möglich verpassen. Schon gar nicht ein Tor, jetzt in der 45. Minute. Schlüter hat Glück, als er am Rasen ankommt, ist es beim 2:0 für den FC Bayern geblieben, nichts verpasst. Durchschnaufen, Abpfiff, Position, Kamera, Mikro, los geht's.

Die meisten Spiele der Champions League laufen seit dieser Saison nur noch bei Dazn

Nach diesem Sprint durch die Stadion-Katakomben weiß man, dass Alex Schlüter, 36 Jahre alt, 1.96 Meter groß, eine ordentliche Fitness hat. Vor allem hat man eine Vorstellung bekommen, wie ernst er seinen Job als Moderator beim Streamingportal Dazn nimmt. Sein Sprint lässt erahnen, worin der Erfolg des Kanals liegen könnte: an einer so besessenen wie überschäumenden Begeisterung für den Fußball, die gern auch mal in Fachsimpelei abdriftet.

Dafür steht jedenfalls Schlüter als Mann der ersten Stunde des Streamingportals Dazn, das die meisten Liveübertragungen in Deutschland bietet. Die meisten Spiele der Champions League - von einigen Ausnahmen abgesehen - laufen seit dieser Saison nur noch bei Dazn. Sky, bis zur letzten Saison Platzhirsch, hat alle Rechte an der Champions League verloren und auch beim Bundesligafußball nur noch die Samstagsspiele exklusiv.

Damit hat der Sender mit der jüngsten Kommentatoren- und Moderatoren-Crew die mediale Kontrolle über das liebste Spiel der Deutschen übernommen. Die Stimmen, die nun den Ton der Übertragungen setzen, heißen nicht mehr Bela Rethy (ZDF) oder Wolff-Christoph Fuss (Sky), sondern Marco Hagemann, Uwe Morawe, Jan Platte, um ein paar Dazn-Kommentatoren zu nennen. Nicht zu vergessen: die neue Moderatorin Laura Wontorra.

Bei den Interviews sollen die Stars ihre Position vergessen

Frontmann Schlüter sagt über seinen Beruf: "Es geht darum, meine Leidenschaft für den Fußball, die schon immer da war, mit einigen Dingen zu verbinden, die diesen Job ausmachen, also mit einer gewissen Rhetorik, vielleicht auch mal mit einer Note Humor, mit einer Souveränität vor der Kamera - eben mit all dem, was so im großen Koffer Grundhandwerkszeug steckt." Solche sauber hingebauten Sätze sind typisch für ihn.

Schlüter stammt aus einem Dorf bei Wolfsburg, der Vater war Förster, aber ein begeisterter Sportler, und seit seinem fünften Lebensjahr bestand die Jugend des schlaksigen großen Jungen aus einem Kreislauf zwischen Sportplatz und Sporthalle, zwischen Fußball und Tennis. Hausaufgaben wurden im Bus auf dem Weg zur Schule gemacht. Beim Studium der Sportwissenschaften in Göttingen entscheidet er sich für den journalistischen Zweig. In der ersten Station Lokalradio merkt er, dass er Interviews führen möchte, bei denen die Stars ihre hohe Position vergessen, die ja auch eine Schutzfunktion habe. Schlüter sagt, ihm sei der Exkurs über fußballerische Details wichtiger als das Erfragen spektakulärer Zitate. Bevor er 2016 bei Dazn anfing, war er drei Jahre lang Datenredakteur für den Statistikdienst Opta, bei dem sich Dazn bei seinen Übertragungen mit Zahlen und Daten bedient.

"Rampensäuigkeit sollte nie der Hauptantrieb sein", sagt Schlüter über seinen Beruf

An diesem Abend beim Spiel Bayern gegen Kiew tritt zum ersten Mal Ralf Rangnick in der Rolle des Experten auf, der mit Schlüter am Spielfeldrand die wichtigsten Spielszenen analysiert und mit Kahn und Nagelsmann spricht. Rangnick, der ehemalige Sportdirektor von RB Leipzig, der sogar als Bundestrainer im Gespräch war, trifft zwei Stunden vor dem Spiel ein. Er spricht wenig und schaut sich aufmerksam um. Wird Schlüter es schaffen, den stillen, ernsten Rangnick, dem wegen seiner akribischen Arbeitsweise gern das Prädikat "Fußballprofessor" angeheftet wird, in Plauderlaune zu versetzen? Das ist umso wichtiger, weil er mit ihm die Fußballsendung Decoded bestreiten wird, wo in der ersten Folge der FC Bayern decodiert werden wird. Auf dem Weg zu den Ü-Wagen stellt Schlüter Rangnick jeden Mitarbeiter einzeln vor, bemüht um leise Töne.

"Rampensäuigkeit sollte nie der Hauptantrieb sein", sagt Schlüter später über seinen Beruf. "Der Hauptgrund wird bei mir immer die Leidenschaft für Fußball sein. Ein Freund hat mal gesagt, dass man Kollegen ansehen kann, ob sie es für das Spiel oder nur für die Kamera tun." Seine Interviews nennt er "Spielchen", für ihn kommt es darauf an, "den Leuten auf sensible Weise näherzubringen, dass ich durchaus auch eine gewisse Ahnung habe, obwohl auch immer klar sein muss, dass der Experte in einer anderen Liga spielt".

Neben der Arena stehen zwei Dazn-Übertragungswagen, in dem einen wird das Weltbild produziert. Das sind die Bilder, die von dem Streamingdienst für die Sender in der ganzen Welt geschnitten werden. In dem zweiten Lkw wird die deutsche Live-Sendung zusammengestellt. Im Pausenraum neben den Schnittplätzen und den Monitoren hocken bereits Kommentator Jan Platte und Daniel Herzog, der nach dem Spiel die Exklusiv-Interviews mit den Bayern-Spielern am Spielfeldrand führen wird. Die beiden warten mit Technikern und dem Leiter der Sendung auf den Beginn der Übertragung samt Vorberichterstattung, Schlüter und Rangnick gesellen sich dazu. Auf den Monitoren laufen die Champions-League-Spiele, es ist wie in einer Sportsbar mit Sofa, Semmeln und Softdrinks.

Schlüter greift zum Telefon. "Herzlichen Glückwunsch, Per!", ruft er mit Seitenblick zu Rangnick. Alle Köpfe gehen hoch. Schlüter reicht das Telefon zu Rangnick, "hier ist der, der dich heute ersetzt!" Der Weltmeister von 2014 war der erste Champions-League-Experte bei Dazn. Rangnick ins Handy: "Hier ist derjenige, der beinahe deine Karriere zerstört hat, als er dich auf Rechtsverteidiger gestellt hat." Rangnick trainierte Per Mertesacker, als der seine erste Bundesligasaison bei Hannover 96 spielte und später als Innenverteidiger Karriere machte. Das weiß in diesem Pausenraum jeder. Schlüter hat es geschafft. Der kühle Fußballprofessor Rangnick ist jetzt in einem kleinen Kosmos angekommen, wo Fußball die wichtigste Hauptsache der Welt ist.

Auf dem Platz zu Hause: Alex Schlüter (rechts) im Gespräch mit Oliver Kahn (Mitte) und Ralf Rangnick. (Foto: Harald Hordych)

Während des Bayern-Spiels, vor dem Katakomben-Sprint sitzt das Dazn-Experten-Team dann zu viert in einer Reihe, jeder hinter seinem Monitor. Der Tisch des Kommentators Platte sieht aus wie der Schreibtisch eines Schriftstellers, der sein gesamtes Konzept ausgebreitet hat, Notizen zu jedem Spieler. Daneben sitzt Rangnick und starrt gebannt auf das Spielfeld, als ob er jeden Flecken des Rasens auswendig lernen will, dann kommen Schlüter und ein Spezialist für das Erstellen der markanten Szenen, die in der Pause und nach dem Spiel analysiert werden.

Schlüter wählt die Szenen aus. Plötzlich tippt Rangnick ihm auf die Schulter und weist ihn auf eine Szene hin, die dem nicht weiter aufgefallen war, und über die Rangnick unbedingt sprechen will, um daran die Zielstrebigkeit des Bayern-Spiels erklären zu können. Für Schlüter ist das der Beweis, dass "sein" Experte im Team angekommen ist und dass das Prinzip Augenhöhe auch bei Rangnick funktionieren wird. Mag der auch ein paar Wochen später Interimstrainer von Manchester United werden und sein Dazn-Engagement für den Rest der Saison ruhen lassen: Man kennt sich ja jetzt.

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