Süddeutsche Zeitung

Alex Jones, Milo Yiannopoulos und Louis Farrakhan::Platzverweis

Facebook sperrt die Profile von Verschwörungstheoretikern. Der nicht begründete Rauswurf ist zunächst ein PR-Coup für das Unternehmen - einer, der aber auch Wirkung zeigen kann.

Von Jürgen Schmieder

Wer verstehen will, wie tief einer fallen und wie sehr dieser Absturz schmerzen kann, der sollte nachsehen, wie weit oben dieser Mensch vorher gewesen ist. Der Provokateur Milo Yiannopoulos zum Beispiel ist vor zwei Jahren als Autor der rechtspopulistischen Nachrichtenseite Breitbart zum Liebling des damaligen Donald-Trump-Chefberaters Steve Bannon aufgestiegen. Er hat Feminismus als "Krebs" bezeichnet, den Islam für noch "schlimmer als Krebs" erklärt und Texte veröffentlicht mit Titeln wie "Empfängnisverhütung macht Frauen unattraktiv und verrückt". Seine Vorträge sind ausverkauft gewesen, für sein Buch "Dangerous" hat er einen Vorschuss von 255 000 Dollar bekommen, und selbst US-Präsident Trump hat sich für ihn als Verfechter der Meinungsfreiheit eingesetzt.

Yiannopoulos war: ein Star, auf jeden Fall den Sternen sehr nahe.

Am Donnerstag hat das soziale Netzwerk Facebook verkündet, das Profil von Yiannopoulos permanent zu sperren - und nicht nur diesem prominenten Mann ist das widerfahren, betroffen sind auch: Louis Farrakhan, Anführer der Bewegung Nation of Islam und berüchtigt für antisemitische und homophobe Aussagen. Alex Jones, Gründer der Webseite Infowars, auf der er immer wieder Verschwörungstheorien verbreitet wie etwa jene, dass der Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School im Jahr 2012 - bei dem 20 Kinder und sechs Erwachsene getötet worden waren - nur ein inszeniertes Schauspiel gewesen sei, um strengere Waffengesetze in den USA zu provozieren. Die nicht ganz so berühmten Rechtspopulisten Laura Loomer, Paul Joseph Watson und Paul Nehlen.

"Wir haben Einzelpersonen und Organisationen, die Gewalt und Hass unterstützen oder fördern, schon immer gesperrt - unabhängig von der Ideologie", heißt es im eher vagen Statement des Unternehmens: "Die Überprüfung potenzieller Verstöße ist aufwendig, und sie hat uns zu dem Schluss kommen lassen, diese Accounts heute zu sperren." Facebook hat zudem angekündigt, auch die Profile in dem zum Konzern gehörenden sozialen Netzwerk Instagram sowie sämtliche Fan-Seiten der betroffenen Personen und ihrer Portale zu sperren: "Wir stellen uns gegen organisierten Hass. Wir werden auch weiterhin Personen, Seiten, Gruppen und Inhalte auf die Einhaltung unserer Standards überprüfen."

Das ist ein gewaltiger Schritt. Konkrete Gründe, ein aktueller Anlass oder eine detaillierte Begründung, warum die Profile genau dieser Personen nun gesperrt sind, nennt das Unternehmen allerdings nicht - es gibt nur den Verweis auf die Regeln von Facebook und Instagram, denen zufolge "gefährliche Einzelpersonen und Organisationen" gesperrt werden. In den Netzwerken von Twitter, Apple und Youtube sind der Privataccount von Jones und der seiner Plattform Infowars bereits seit Monaten gesperrt - das Twitter-Profil von Yiannopoulos sogar schon seit Juli 2016, nachdem er Schauspielerin Leslie Jones mehrfach mit rassistischen und sexistischen Einträgen beleidigt hatte.

Man muss den Vorgang aus zwei Blickwinkeln betrachten, um zu verstehen, was da passiert ist. Soziale Netzwerke werden derzeit von beiden politischen Lagern kritisiert, Katalysatoren für die Spaltung der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten zu sein. Präsident Trump, bekannt für seine aggressiven und bisweilen erratischen Einträge bei Twitter, warf eben diesem Netzwerk vor, die Meinung konservativer Nutzer zu zensieren und damit in das Recht auf freie Meinungsäußerung einzugreifen: Twitter sei "sehr diskriminierend", schrieb er, das Unternehmen treibe "politische Spielchen" und behandele ihn als Republikaner "nicht gut". In der vergangenen Woche traf sich Trump deshalb im Weißen Haus mit Twitter-Chef Jack Dorsey, die genauen Inhalte des Gesprächs sind nicht bekannt.

Facebook steht seit mehreren Monaten in der Kritik. Vor einem Jahr kam heraus, dass Daten von bis zu 87 Millionen Facebook-Nutzern an das dubiose Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica gelangt waren. Das war der Beginn eines beispiellosen Skandaljahres, das sich zusammenfassen lässt mit: Eine der bedeutsamsten Kommunikationsplattformen der Welt ist völlig außer Kontrolle, nicht einmal Gründer Mark Zuckerberg weiß offenbar noch, wie er seine Kreation, die zu einem Monster gewachsen ist, zähmen soll - und will er das überhaupt?

Zuckerberg plädierte zwar, auch persönlich bei Auftritten in Deutschland, für mehr Regulierung, mehr Aufsicht und schärfere Gesetze zu Datenschutz und Privatsphäre - aus dem Quartalsbericht allerdings ging hervor, dass das Unternehmen bis zu fünf Milliarden Dollar zurückgelegt hat für mögliche Strafzahlungen an die US-Handelskommission, die wegen Verstößen gegen den Datenschutz ermittelt. Der Vorwurf an Facebook: Der Chef gibt in der Öffentlichkeit den geläuterten Sünder, erlaubt seinen Angestellten jedoch weiterhin, die Privatsphäre von Milliarden Menschen auszuhöhlen und in vielen Ländern die Demokratie zu gefährden.

Die Sperre der verschwörungstheoretischen Accounts, ob gerechtfertigt oder nicht, ist deshalb zunächst einmal eine öffentlichkeitswirksame Aktion zur Verbesserung des eigenen Images.

Die Aktion kann auch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden, dem der nun Gesperrten, die eine Verschwörung des als linksliberal geltenden Silicon Valley vermuten. "Ich habe keine ihrer Regeln gebrochen", schrieb Paul Joseph Watson bei Twitter, wo er nicht gesperrt ist: "In einer autoritären Gesellschaft, die von einer Handvoll Giganten aus dem Silicon Valley gesteuert wird, muss jeder Widerspruch beseitigt werden." Er rief US-Präsident Trump um Hilfe an und beschwerte sich, dass "Facebook jetzt Leute nur deshalb sperrt, weil sie anders denken".

Milo Yiannopoulos antwortete mehreren Medien: "Ihr werdet die Nächsten sein."

Jones echauffierte sich in einem Live-Video, das auf der Facebook-Seite "Infowars is back" ausgestrahlt wurde, zwei Stunden lang über das Vorgehen des Unternehmens: "Sie haben mich nicht nur gesperrt, sondern auch diffamiert. Sie tun so, als würden sie sich für freie Meinungsäußerung einsetzen - und dann verbieten sie jeden." Weil Facebook die Sperren erst eineinhalb Stunden nach der Ankündigung umsetzte, konnten Loomer und Yiannopoulos ihre Fans noch warnen und forderten sie auf, die jeweiligen Newsletter zu abonnieren. Yiannopoulos antwortete mehreren Medien auf ihre Anfragen mit nur diesem einem Satz: "Ihr werdet die Nächsten sein."

Milo Yiannopoulos ist nicht mit eigenen Flügeln zu den Sternen gelangt, er ist auf den verschiedenen Plattformen hochgeklettert. Er beherrschte die Klaviatur der digitalen Empörung und wusste lange Zeit sehr genau, welche Tasten er wann drücken musste, um einen Shitstorm auszulösen, an dessen Ende er noch mehr Anhänger und damit noch mehr Einnahmequellen hatte. Nur: Erst wurde er bei Twitter gesperrt, dann musste er bei Breitbart aufhören und kurz darauf trennte sich sein Buchverlag Simon & Schuster von ihm. Öffentliche Auftritte wurden abgesagt, es kursieren Gerüchte über Schulden in Millionenhöhe. Yiannopoulos versuchte kürzlich, auf der Crowdfunding-Seite Patreon Geld einzusammeln - wurde jedoch gesperrt.

"Deplatforming" nennen sie das in den USA, wenn jemandem sämtliche Plattformen entzogen werden, die er braucht, um berühmt und damit relevant zu bleiben. Yiannopoulos ist ein Star gewesen, nun ist er tief gestürzt - und es scheint ganz so, als wolle ihm kaum jemand dabei helfen, wieder auf die Beine zu kommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4431681
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.