Al-Jazeera-Verbot:Aus in Jerusalem

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Am Sonntag räumten Inspektoren des Kommunikationsministeriums gemeinsam mit der Bezirkspolizei Jerusalem ein Büro des katarischen Senders Al Jazeera aus. Sie beschlagnahmten auch das Equipment. (Foto: IMAGO/Saeed Qaq)

Die israelische Regierung stimmt für das Verbot des katarischen Senders und räumt eines seiner Büros in Jerusalem. Der örtliche Chefredakteur spricht von einer "politischen Entscheidung".

Von Léonardo Kahn, München

Die Bezirkspolizei von Jerusalem räumte am Sonntag ein kleines Büro des Fernsehsenders Al Jazeera aus. Ein Inspektor des israelischen Kommunikationsministeriums filmte, wie sie gemeinsam mit den Polizisten in das Zimmer 319 des Ambassador Hotels in Ost-Jerusalem eindrangen. Das Zimmer ist gerade groß genug, um eine Kamera, einen Scheinwerfer und einen Computer aufzustellen. Von hier aus arbeiten nur ausländische Korrespondenten, sagt Walid Al-Omari am Telefon. Er leitet die Redaktionen von Al Jazeera in Israel und in den palästinensischen Gebieten, zurzeit befindet er sich in Ramallah, Westjordanland.

Neben dem beschlagnahmten Hotelzimmer hat Al Jazeera zwei weitere Studios in Jerusalem: Eines befindet sich im palästinensischen Osten der Stadt, das andere im israelischen Westen. Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober arbeitet aber niemand mehr dort, sagt Al-Omari, weil die Büros regelmäßig von Siedlern angegriffen würden. 1996 war Al-Jazeera einer der ersten arabischen Fernsehsender mit festem Sitz in Jerusalem. Jetzt sind die Büros geschlossen, das Equipment konfisziert.

Der Palästinenser Walid Al-Omari, 67, leitet die Al-Jazeera Redaktionen in Israel und den palästinensischen Gebieten. (Foto: ZAIN JAAFAR/AFP)

Am Sonntagmorgen hat die israelische Regierung einstimmig für das Verbot des katarischen Senders gestimmt, das zunächst auf 45 Tage begrenzt ist. Überraschend ist das nicht, denn am 1. April hatte die Knesset ein Gesetz erlassen, das die Schließung erst ermöglicht. Das Gesetz soll voraussichtlich im Juli außer Kraft treten, kann vom Parlament aber beliebig verlängert werden.

Israel wirft dem Medium vor, die Sicherheitslage im Land zu gefährden und Propaganda zu betreiben. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte am Sonntag, es sei an der Zeit "die Schofar der Hamas aus dem Land zu werfen." Die Schofar ist ein altertümliches Horn, mit dem im Judentum das neue Jahr eingeläutet wird. Der Kommunikationsminister Shlomo Karhi sagte: "Wir sind gegen diejenigen vorgegangen, die die Pressefreiheit nutzen, um Israels Sicherheit und unseren Soldaten zu schaden und in Kriegszeiten Terrorismus zu schüren." Für "Hamas-Sprachrohre" werde es in Israel keine Meinungsfreiheit geben, so der Likud-Hardliner.

Den Vorwurf weist Walid Al-Omari von sich. "Ich kenne alle meine Angestellten und keiner von ihnen war jemals bei der Hamas", versichert er der SZ. Er verweist aber darauf, dass der Gazastreifen seit 2007 von der Hamas kontrolliert wird und die Journalisten zwangsläufig mit ihnen in Kontakt seien. Die Regierung habe nicht aus Sicherheitsgründen den Sender geschlossen, sagt Al-Omari, sondern es sei eine "politische Entscheidung" gewesen.

Wie es genau für seine knapp 100 Angestellten weitergeht, weiß der Chefredakteur nicht. "Die Büros in Jerusalem haben wir im Oktober verlassen, das Büro in Gaza wurde in die Luft gejagt, jetzt bleibt uns nur noch unser Hauptsitz in Ramallah, aber wie lange noch?", fragt sich der Palästinenser. Er macht sich Sorgen um die Sicherheit seiner Angestellten. Die meisten Journalisten würden zwar gerade ohnehin nicht im Büro arbeiten, sondern seien im ganzen Land verteilt, dadurch sind sie aber auch der Gewalt von Zivilisten schutzlos ausgesetzt. "Das Verbot gibt den Extremisten grünes Licht, uns anzugreifen", befürchtet Al-Omari.

Selbst Netanjahu war 2009 bei al-Jazeera zu Gast

Durch das Verbot verliert der katarische Sender eines seiner ⁠wichtigsten Aushängeschilder: die Jerusalem-Korrespondenz. Walid Al-Omari sagt, Al Jazeera sei der einzige arabische Sender gewesen, der auch über israelische Nationalpolitik berichtet und nicht nur über den Krieg. In seinem Sitz in West-Jerusalem waren regelmäßig Israelis zu Gast, "selbst Netanjahu kam 2009 zu uns", sagt der Journalist und lacht. Zu ihren Zuschauern gehören viele in Israel lebende Araber. Sie sind außerdem das einzige Medium im Land mit einer festen Korrespondenz im Gazastreifen.

Zu seiner Zeit als Oppositionsführer war der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei Al Jazeera zu Gast. (Foto: Al Jazeera)

Seit Sonntag können ihre Programme nicht mehr über Satellit oder Kabel empfangen werden. Nur noch Facebook bleibt ihnen als Plattform übrig, doch auch da hatte der Sender bereits vor der Schließung ein breites Publikum. Das israelische Kommunikationsministerium hat noch keine Angaben gegeben, wann sie die Facebook-Seite des Mediums sperren werden.

Die Kritik gegen Al Jazeera ist nicht unberechtigt. Der Sender wird von Katar finanziert und dient den dortigen Staatsinteressen. Da das Land nicht nur die Hamas-Anführer beherbergt, sondern die Terrororganisation auch finanziell unterstützt, berichtet der Fernsehsender nicht besonders kritisch über islamistische Milizen in der Region. Weil aktuell in Katar über einen Waffenstillstand im Gazastreifen verhandelt wird, ist nicht auszuschließen, dass die israelische Regierung mit der Schließung von Al Jazeera den Druck auf Katar verstärken möchte.

Im Ausland sorgt der Beschluss für Kritik, nicht nur bei den Vereinten Nationen und in den USA, sondern auch in Deutschland. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte vor gut einem Monat: "Eine freie und vielfältige Presselandschaft ist Grundpfeiler einer liberalen Demokratie."

Auch die Vereinigung Reporter ohne Grenzen verurteilt die Schließung. Auf Nachfrage der SZ heißt es, die "immer wieder tendenziöse, teils hetzende Berichterstattung des Senders" sei zwar kritikwürdig; "dennoch ist die Schließung ein Eingriff in die Pressefreiheit, der die Perspektiven auf die Vorgänge im Westjordanland, im Gazastreifen und in Israel weiter verengen wird." Außerdem befürchtet der Journalistenverband, dass ein Präzedenzfall für andere Medien in Israel geschaffen werde. Im November drohte etwa der Kommunikationsminister Karhi, auch die linke Tageszeitung Haaretz zu sanktionieren.

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