Süddeutsche Zeitung

Al Jazeera America:Mehr als viele Amerikaner wissen wollen

Zu viele denken noch an al-Qaida, Werbekunden haben Angst: Al Jazeera America muss gegen seinen Ruf kämpfen, aus der arabischen Welt zu stammen. US-Kritiker wettern gegen den "Sender des Feindes". Zu sehen gibt es in dem Kanal aber genau die ausgewogenen Berichte, die im US-Fernsehen so rar geworden sind.

Von Kathrin Werner, New York

Das sind sie, die berühmten ersten Worte: "Es ist der 20. August 2013. Ich bin Antonio Mora, und ich bin Richelle Carey, und dies ist Al Jazeera America. Von aktuellen Nachrichtensendungen zu Themenabenden - wir sind da, um Geschichten so zu erzählen, wie sie passieren." Es ist Punkt 15 Uhr. Mora und Carey, die neuen Al-Jazeera-America-Starmoderatoren, dürfen den Anfang machen. Kurz vorher sendet Current TV noch eine Mini-Reportage über einen Fallschirmspringer, sie endet mit einem waghalsigen Sprung. Fortan sendet hier Al Jazeera America - und macht seinerseits einen ziemlich waghalsigen Sprung in den amerikanischen Fernsehmarkt. Es ist der erste große Neustart seit Fox News im Jahr 1996.

Los geht es mit einem einstündigen Werbefilm. Was Al Jazeera America von sich selbst erzählt, klingt wie aus dem Journalismus-Lehrbuch: unabhängig, international, unbestechlich, hintergründig, vorurteilsfrei, vor Ort recherchiert - und mit großzügigen Budget ausgestattet. "Wir verbinden Amerika mit der Welt und die Welt mit Amerika", heißt es da oder: "In der Zeit der Konsolidierung investiert Al Jazeera in Wachstum." Fast jeder neue Al-Jazeera-Reporter darf einmal in die Kamera sagen: Al Jazeera hat Geld, Al Jazeera investiert in Qualität. Die Eigner des Senders, die Königsfamilie aus Katar, soll schon gut eine Milliarde Dollar in den amerikanischen Ableger gesteckt haben, schätzen Medienexperten.

Im Wesentlichen hat der Werbefilm zwei Themen: Al Jazeera America ist in Amerika "zu Hause". Und er werde alles besser machen, was bei anderen Sendern schlecht läuft. Das Wort "America" fällt öfter als beim rechtskonservativen Sender Fox. Dutzende Durchschnittsamerikaner - Tätowierte, Schwarze, Fette und lächelnde Weiße in merkwürdigen Trachten - dürfen sagen, was sie am bisherigen Angebot stört, es sind vor allem Einseitigkeit und Oberflächlichkeit.

Eine steile These sieht anders aus

16 Uhr, jetzt geht es richtig los. Al Jazeera America sendet Nachrichten. Das erste Thema ist Ägypten. Ein riesiger Bildschirm spannt sich einmal um das Studio herum, die Bilder bewegen sich wenig. Der Moderator steht davor und erklärt die Hintergründe, schaltet die Korrespondenten vor dem Weißen Haus und aus Ägypten zu, die noch mehr erklären. Man lernt sehr viel, über Geopolitik und über die vielen zerstrittenen Parteien. Es fallen Namen, von denen die meisten Amerikaner wohl noch nie gehört haben - es ist alles recht kompliziert, komplizierter als bei den anderen amerikanischen Sendern, die Nachrichten gern auf eine These reduzieren. Al Jazeera nimmt sich Zeit, für das erste Thema fast zehn Minuten. Das ist sicher mehr, als viele Amerikaner wissen wollen. Ein Experte kommt zu Wort, der das Ganze noch relativiert: So wichtig, sagt der Harvard-Professor Stephen Walt, sei der Konflikt nicht für die Amerikaner, strategische Interessen würden sich nicht massiv verändern. Eine steile These sieht anders aus.

Al Jazeera America bereitet die Themen auch in den Tagen nach dem Start gründlich auf. Wenn der Sender ein Nachrichtenstück über Waldbrände im Westen der USA bringt, gibt es gleich auch einen Bericht, der erklärt, wie Löschflugzeuge funktionieren. Neben den klassischen Nachrichten, die alle haben, sendet Al Jazeera America Geschichten, über die andere kaum berichten, etwa über die miserablen Bedingungen in einem Gefängnis in New Orleans.

Es sind langsame, klassisch gefilmte, ausgewogene Berichte. Es gibt Landkarten, Grafiken und Expertenmeinungen. Es wirkt, als wolle Al Jazeera America die Medienentwicklungen der vergangenen Jahre zurückdrehen, die Atemlosigkeit, den Alarmismus. Es sind richtig gute Nachrichten. "Der Sender bringt ein wenig Ruhe in das sonst so aufgeregte amerikanische Fernsehen", sagt Carsten Mierke, der Büroleiter von RTL in New York. Die einzelnen Beiträge sind sehr lang. Sie sind nicht unterhaltsam, sondern informativ. Für Zuschauer wird das eine Umstellung. Die Frage ist, wie viele dazu bereit sind.

Werbekunden haben Angst, dass das Image abfärbt

Bislang bekommt dazu auch nicht jeder die Chance. Das Programm wird auf dem Sendeplatz von Current TV ausgestrahlt. Al Jazeera hatte den linken Sender des Ex-Vizepräsidenten Al Gore im Januar 2013 gekauft. Doch viele Kabelnetzbetreiber wie Cablevision oder Time Warner Cable haben Current TV aus dem Angebot genommen. In New York zum Beispiel kann man Al Jazeera America im Kabelfernsehen darum nicht empfangen. AT&T hat den Kanal nur wenige Stunden vor dem Start noch aus dem Programm genommen, Al Jazeera klagt dagegen und verhandelt mit den anderen. Vorerst ist der Sender nur in 43 Millionen Haushalten zu sehen.

Wer ihn empfängt, sieht nur sechs Minuten Werbung pro Stunde, im Schnitt sind es 15 bei der Konkurrenz. Es ist aber nicht ganz klar, ob das an den großen Ambitionen oder den kleinen Optionen von Al Jazeera America liegt. Medienexperten glauben, dass es der Sender sehr schwer haben wird, in den USA Werbekunden zu finden, schließlich verbinden ihn viele Amerikaner noch immer mit al-Qaida, die Werbekunden haben Angst, dass das Image abfärbt. Der erste Clip ist ein Rasierer-Spot von Gillette. Es folgen ein Handynetzbetreiber und eine Whirlpool-Firma. Die meiste Werbung ist für Al Jazeera America selbst.

Das Image dürfte das größte Problem bleiben, auch bei den Zuschauern. Für viele Amerikaner steht Al Jazeera auf der einen und Amerika auf der anderen Seite, beides zusammen in einer Marke ist vielen suspekt. Al Jazeera America betont zwar, wie amerikanisch der Sender ist, aber es bleiben der Name und das Logo: verschlungene arabische Schriftzeichen, nirgends ein Sternenbanner. Der erzkonservative Moderator Glenn Beck nennt den Sender "die Stimme des Feindes". Die Kritik komme von "Muslimhassern", sagt Ibrahim Hooper vom Council on American-Islamic Relations. "Sie haben noch nicht gesehen, wogegen sie sich wenden, sondern wenden sich gegen eine Idee, die sie nicht mögen." Er hofft, dass die Amerikaner Al Jazeera America nach dem Inhalt bewerten und Vorurteile ablegen werden. Das wären gute Nachrichten für die guten Nachrichten.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2013
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