Agenturjournalismus:"Promille-Baby" lebt!

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"Sex-Monster", "Brutalo-Schläger", "Rinnstein-Baby": Erkennungszeichen eines Boulevardmediums ist das gekoppelte Wort. Doch nun wird jenes Stilmittel plötzlich von ansonsten sachlicher Seite verwendet. Über den neuen, bunten Ton der Deutschen Presse-Agentur.

Von Marc Felix Serrao

Das sicherste Erkennungszeichen für ein Boulevardmedium ist das gekoppelte Reizwort. Das "Sex-Monster". Der "Brutalo-Schläger". Das "Rinnstein-Baby". Letzteres war, wie so vieles, eine Erfindung der Springer-Blätter, die damit jahrelang über ein Familientragödie in Berlin berichteten. Der brachiale Koppelbegriff hat aus Sicht seiner Erfinder zwei Vorteile. Er setzt, erstens, einen Reiz, der auch im Vorbeigehen am Kiosk oder beim eiligen Klicken wirkt. Er schafft, zweitens, einen Titel, bei dem das Publikum nach wiederholter Verwendung genau weiß, wer gemeint ist.

In jüngster Zeit wird dieser Kunstgriff allerdings mehr und mehr zum journalistischen Alltag: angetrieben durch ein Medium, das die wenigsten mit Boulevardsprache verbinden. "Polnisches Promille-Baby außer Lebensgefahr", titelte in dieser Woche nicht die Bild-Zeitung, sondern die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Die Instanz für nachrichtliche Seriosität, der Marktführer. In der Meldung ging es um einen neugeborenen Jungen, dessen Mutter hochschwanger mit 4,5 Promille Alkohol im Blut in einem Schnapsladen zusammengebrochen war. Nach der Entbindung per Kaiserschnitt im Krankenhaus stellten die Ärzte bei dem kleinen Jungen dann einen Blutalkoholwert von 2,6 Promille fest.

Das "Promille-Baby" ist nicht der erste Ausflug der dpa ins Reich der gekoppelten Reizwörter. Die Schauspielerin Reese Witherspoon zum Beispiel wurde gerade erst als "Sauber-Frau" bezeichnet, in einer Kurzmeldung, nicht in einem Kommentar. Das war nicht nett gemeint, aber was gemeint war, erschloss sich auch nicht. Zudem charakterisiert die dpa nicht nur Personen auf diese Weise, sondern auch Ereignisse. Neben einem "Sex-Unfall" gab es in der Meldungswelt der Agentur in diesem Jahr auch eine "Sex-Attacke" und sogar einen "Sex-Tod".

Lockere Alliteration

Zurück zum "Promille-Baby". Ist das ein angemessener Begriff für ein Kind, das, wenn, dann wohl nur mit schweren Behinderungen überleben wird? Oder ist der Reizbegriff in diesem Fall nicht völlig daneben und überreizt? Zumal er durch den Zusatz "polnisch" als lockere Alliteration daherkommt, was ebenfalls mehr nach Boulevard als nach klassischer dpa klingt.

Christian Röwekamp, Sprecher der dpa, wollte den Begriff "Promille-Baby" auf Anfrage nicht kommentieren. Er sagte aber, dass die dpa für sehr unterschiedliche Kunden arbeite und deren Interessen berücksichtigen müsse. "Wenn wir einen Sachverhalt in der Überschrift sprachlich zuspitzen, dabei aber korrekt wiedergeben, ist das aus meiner Sicht in Ordnung." Intern werde über Formulierungen oft und intensiv diskutiert. Im Zweifelsfall sei es aber besser, wenn eine Formulierung "locker und leicht verständlich ist statt langweilig oder kompliziert".

© SZ vom 18.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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