Serie "After Life" bei Netflix:Todessehnsucht als Superkraft

Lesezeit: 2 min

Die neue Netflix-Reihe "After Life" ist zwar hübsch skurril, überzeugt aber nicht ganz.

Von Luise Checchin

Man kann diesen Chef nur bemitleiden. Schlimm genug, dass sein Angestellter Tony, der der ihm da gegenübersitzt, gerade eine Kollegin aufs Derbste beschimpft hat: Jetzt zeigt der Kerl noch nicht mal Reue. Im Gegenteil, Tony erklärt seinem Vorgesetzten den Krieg, und irgendwie leuchten seine Ausführungen sogar ein. Denn Tony, die Hauptfigur in der neuen Netflix-Serie After Life, hat gerade seine Frau verloren - die Trauer frisst ihn auf, da kann man schon mal seltsam werden.

Am liebsten würde Tony nämlich ebenfalls sterben, nur kommt jedes Mal, wenn er sich das Leben nehmen will, sein dummer Hund vorbei und will gefüttert werden. Bis es mit dem Ableben klappt, hat Tony sich das Motto "Alles ist ein Bonus" zugelegt und erklärt seinem Chef: "Ich kann ein Arschloch werden und tun und sagen, was ich verfickt noch mal will, und wenn mir alles zu viel wird, kann ich mich immer noch umbringen. Es ist wie eine Superkraft". Das sei, antwortet der Chef irritiert, der schlimmste Superheld, von dem er jemals gehört habe.

Der Hund hat Hunger, und Tony lebt weiter. Wieder einmal. (Foto: Natalie Seery/Netflix)

After Life wurde vom Komiker Ricky Gervais erdacht. Der Brite hat das Drehbuch geschrieben, Regie geführt, und er spielt auch den übellaunigen Tony. Das überrascht erst einmal wenig, denn wer Gervais etwa aus seiner Erfolgsserie The Office (der Vorlage für Stromberg) kennt, weiß, dass er ein großes Talent für unausstehliche Protagonisten hat. Das Überraschende ist also, dass Gervais' Figur diesmal mit dem Tod der Ehegattin tatsächlich einen Grund für eine gewisse Unausstehlichkeit hat. Wobei, wenn man die Welt aus Tonys depressiver Sicht betrachtet, einem durchaus noch weitere Gründe einfallen würden: Sein Vater hat Alzheimer, sein Job besteht darin, für eine lokale Gratis-Zeitung über unfassbar überflüssige Themen zu berichten, und sein Therapeut amüsiert sich lieber auf Twitter, als sich mit den Problemen seines Patienten auseinanderzusetzen.

Das alles klingt abgründig und komisch, und das ist es auch - nur leider selten auf einmal. After Life hat eine Art dramaturgische Gleichgewichtsstörung: Die Serie schwankt zwischen bitterböse und rührselig und findet nur zeitweilig die richtige Balance. Das liegt vor allem an ihrer Hauptfigur. Tonys verbale Ausfälle sind zu Beginn so brutal, dass man schwer über sie lachen kann. Im Verlauf der sechs Episoden gesteht Gervais seinem Protagonisten dann immer mehr Sanftmut und Einsicht zu, übertreibt es schließlich aber und endet in pseudo-philosophischen Dialogen auf der Friedhofsbank. Es sind die Momente dazwischen, in denen sich Trostlosigkeit und Absurdität treffen, die in After Life überzeugen. Die Szenen etwa, in denen Tony die Protagonisten für seine Artikel trifft - den Mann, der fünf Mal dieselbe Geburtstagskarte bekommen hat oder den Jungen, der mit seiner Nase Flöte spielen kann.

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Auch die mit täglich-grüßt-das-Murmeltier-hafter Verlässlichkeit wiederkehrenden Nebenfiguren - vom konfliktscheuen Chef bis zur redseligen Kleinstadt-Sexarbeiterin - sind in ihrer Schrulligkeit liebenswert. Das muss sich irgendwann sogar der lebensmüde Tony eingestehen. Für eine Gervais-Figur ist das ein einigermaßen bahnbrechender Schritt.

After Life, bei Netflix*

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© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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