Porträt:Eine Bresche ins System

Regisseurin Aelrun Goette, (c) Peter Hartwig ACHTUNG: HONORARPFLICHTIG, pro Foto 80,-€ (bei der Verwendung mehrerer Bilder evt. Pauschale)!

Aelrun Goette wurde in der DDR als Mannequin entdeckt.

(Foto: ZIEGLER FILM / TOBIS Film / Peter Hartwig)

Die Regisseurin Aelrun Goette dreht ihren Traumfilm. Er spielt in der weitgehend unbekannten Modewelt der DDR. Annäherung an eine subversive Sehnsucht.

Von Juliane Liebert

Aelrun Goette wartet am Kollwitzplatz in einem grünen Parka. Die Luft ist mild und Aelrun Goette fest entschlossen. "Ich glaube daran, dass wir uns positive Geschichten erzählen müssen. Ich habe mich entschieden, die guten Geschichten weiterzuerzählen und mich nicht zu beklagen, was alles nicht läuft", sagt sie, während sie forschen Schrittes den Mauerpark durchquert.

Die Regisseurin hat gerade mit dem Dreh für ihren neuen Film In einem Land, das es nicht mehr gibt ... begonnen. Es ist ihr Traumfilm. Der Film, den sie schon seit Ewigkeiten machen will. Für den sie jahrelang kämpfen musste — und den sie jetzt endlich umsetzen kann. Es ist ein Film, der in der bis heute weitgehend unbekannten Modewelt der DDR angesiedelt ist: in der Zeitschrift Sibylle, dem VHB Exquisit und der schillernden Mode im Untergrund.

Die Geschichte ist Goettes eigener Biografie nachempfunden - auch Goette musste als Jugendliche die Schule verlassen, Auslöser war ein systemkritischer Aufnäher der kirchlichen Friedensbewegung, den sie an ihrer Jacke trug. Sie wurde als Mannequin entdeckt und entkam so dem staatlich vorgezeichneten Weg. Ihr neuer Film wird hauptsächlich im Frühsommer '89 bis '90 spielen. Es soll ein großer Film werden. Sie musste lange darauf hinarbeiten, aber der Stoff liegt ihr am Herzen. "Mir war immer klar: Ich will diese Geschichte erzählen, und ich will sie groß erzählen: voller Sinnlichkeit, Sehnsucht und Lebensfreude. Filme, in denen der Osten ein Ort des Schreckens ist, dem man entkommen muss, gibt es genug."

Die Modeszene wurde nicht so stark überwacht wie andere Künste. Hier arbeiteten einige der besten Fotografen der DDR

In der DDR war die Modeszene auf ihre Weise subversiv. Sie wurde nicht so stark überwacht wie die anderen Künste. Um die Modezeitung Sibylle scharten sich einige der besten Fotografen der DDR - Sibylle Bergemann, Arno Fischer, Ute Mahler. Die auch Goette damals fotografiert haben, als die noch modelte. "Die Sibylle hatte ein ganz bestimmtes Frauenbild: stark, aufrecht, die selbstbewusste Persönlichkeit. Mein Ziel ist wiederzugeben, was ich damals erlebt habe", erklärt die Regisseurin. "Was ist Freiheit? Was ist Heimat? Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen für das Leben, das wir leben wollen? Das ist eine sehr heutige Frage: Denn wir alle zahlen einen Preis."

Spazierende treiben vorbei. Goette gibt einem Straßenmusikanten Geld. Sie ist übers Theater zum Filmemachen gekommen und wurde vor allem mit ihren Dokumentationen bekannt. Sie sieht da genau hin, wo die meisten lieber wegschauen - oder skandalisieren. Ihr erster Dokumentarfilm war Ohne Bewährung, die Geschichte eines fünfzehnjährigen Mädchens, das zusammen mit einer Achtzehnjährigen in Schwedt an der Oder eine Dreizehnjährige zu Tode gefoltert hat. Goette wurde Vollzugshelferin der Täterin und näherte sich der Tat in Interviews mit ihr und ihrem Umfeld.

"Ich möchte durch die Stoffe, mit denen ich mich beschäftige, etwas lernen", sagt Goette. "Das Mädchen sieht aus wie ein Engel, aber dann wird der Zuschauer mit ihrer Tat konfrontiert. Und er merkt, dass sie nicht in das Muster passt, das sich unsere Kultur von jungen, hübschen Mädchen gemacht hat. Das interessiert mich: der Einzelne im Verhältnis zur Welt." Auch in ihrer Dokumentation Die Kinder sind tot geht es um Gesellschaft und Individuum. Die Doku handelt von Daniela J., einer jungen Mutter, die zwei ihrer Kinder, zwei und drei Jahre alt, zwei Wochen allein zu Hause einsperrte, während sie bei ihrem Liebhaber war. Sie verdursteten. Goette sprach auch hier mit der Täterin, den Nachbarn, dem Jugendamt.

Es gibt keine Erzählerstimme in der Doku, so dass man sich fühlt, als säße man den Menschen selbst gegenüber. "Da wurde ja die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert wegen des Falles. Die Gesellschaft wollte sie hängen sehen." Ihr Tatort "Der glückliche Tod" befasste sich mit Sterbehilfe. "Wenn du Erfolg hast, wirst du schnell thematisch einsortiert. Ich hab mal flapsig gesagt: Es gibt kein Drehbuch, in dem ein Kind stirbt, das nicht auf meinem Tisch landet." Sie beschäftigt sich leidenschaftlich mit menschlichen Abgründen, "aber genauso möchte ich mal etwas anderes erzählen, mich weiterentwickeln. Ja, und als die Angebote für neue Themen nicht kamen, habe ich sie mir eben selber geschrieben".

"Mein Aufwachsen in der DDR wurde mir oft von Menschen erklärt, die dort gar nicht gelebt haben."

Goette lebt in der zweiten Hälfte ihres Lebens in einem Land, in dem sie bis heute mit Mustern konfrontiert wird, in denen sie sich zuweilen nicht wiederfindet, sagt sie. "Mein Aufwachsen in der DDR wurde mir oft von Menschen erklärt, die dort gar nicht gelebt haben. Ich hab immer wieder gesagt: Mensch, habt doch mal Interesse, wie ich es erlebt, gefühlt, erfahren habe. Was den Osten angeht, bin ich schließlich eine Fachfrau, ich komm von dort. Aber das Interesse hatte oft keiner. Das hat mich immer wieder frustriert." Zunehmend hatte Goette das Gefühl, dass es ihr nicht alleine so geht - "sondern die Menschen im Osten ringen vergeblich um den Zugang zu ihrer eigenen Identität, weil ihnen immer wieder eine Schablone übergestülpt wird, hinter der sie sich nicht wiederfinden".

Arno Fischer, einer der Fotografen der Sibylle, hat gemeinsam mit Peter Paul Thömmes früh eine Artikelserie gemacht, in der er Fotografinnen vorgestellt hat. Das war zu der Zeit sehr ungewöhnlich. Im letzten Interview vor seinem Tod darauf angesprochen, sagte er dazu: "Wieso, ist doch logisch? Fotografie ist weiblich." Seine Begründung dafür war, dass "Frauen aus dem Bauch fotografieren und Männer mit dem Kopf. Und das geht nicht mit dem Kopf. Das ist meine Erfahrung über die Jahrzehnte. Sechs Jahrzehnte."

Die Frau als (bauch-)gefühlsgeleitetes Wesen also? Gendertheoriegestählte Feministinnen von heute wären damit wohl nicht glücklich. Aber liegt die Pointe von Fischers Argument für die Förderung von Fotografinnen nicht gerade darin, dass essentialistische Zuschreibungen emanzipatorisch umgedeutet werden? Ob man nun mit dem Kopf oder dem Bauch fotografiert, ein klarer Kompass ist wichtig. Und den hat Goette offensichtlich. Sie stellt mindestens so viele Fragen, wie sie Antworten gibt. Während des Interviews, aber auch in ihren Filmen. "Man muss immer eine Bresche ins System schlagen", sagt sie.

Ein Stück weiter lauschen einige Menschen einem Opernsänger. "Da bleib ich noch ein bisschen", sagt Goette, die noch zuhören mag. Sie beschreibt den Weg zur U-Bahn. "Du musst nicht den gleichen Weg zurückgehen, das ist doch langweilig". Ein paar Straßen weiter staken Kirschbäume gegen den grauen Himmel. "Das sieht toll aus, sieh dir das an", sagt eine Frau zu ihrem Hund. Der Hund hat dazu keine Meinung.

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Miniröcke, dpa

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