TV-Ereignisse des Jahres 2010: Ihr Ergebnis:Großes aus der Glotze

Ein Wunder in Chile, ein tierisches Orakel, ein öffentlicher Kuss und mysteriöse Vorgänge - Sie haben abgestimmt, welche Sendung Sie am meisten bewegt hat.

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Uwe Barschel, 1987 bei der spektakulären "Ehrenwort"-Pressekonferenz in Kiel

Quelle: dpa

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Das vergangene Jahr war wieder einmal nicht arm an seltsamen TV-Ereignissen - sueddeutsche.de hat eine Auswahl an Sendungen getroffen, die besonders im Gedächtnis blieben. Sie haben abgestimmt, welche der Fernsehereignisse besonders bewegend oder auch ärgerlich waren - Ihre Rangliste in Bildern.

Rang 6: Das Medium auf RTL - Geisterstunde mit Uwe Barschel (357 Punkte bei 300 abgegebenen Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

23 Jahre blieben die Umstände des Todes von Uwe Barschel ungeklärt. Bis RTL mit der Sendung Das Medium kam. Und Tote wachrüttelte. Es passierte am Reformationsfest, kurz vor Allerheiligen. Tage, an denen man nachdenken kann über unerklärbare Dinge zwischen Himmel und Erde. Vielleicht auch über ungeklärte Fälle, etwa darüber, wie Uwe Barschel zu Tode kam. Denn das ist nach wie vor ein Rätsel. Zumindest bis Sonntagabend. Bis zum Programm von RTL.

Da zeigte der beliebteste deutsche TV-Sender Das Medium, inklusive zweier Werbeunterbrechungen. Und da knüpfte "das Medium" Kim-Anne Jannes Kontakte zwischen Lebenden und Toten.

Bekanntmachen sollte die Sendung eine ehemals öffentliche Person: Freya Barschel auf der Suche nach einem Stückchen Wahrheit über den Tod ihres Mannes Uwe. Dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, der neun Tage nach seinem Rücktritt am 11. Oktober 1987 tot in der Badewanne eines Genfer Hotels gefunden wurde. Sicher starb er an einer Medikamentenvergiftung - ob er sie in suizidaler Absicht genommen hat oder Fremdverschulden vorliegt, also ihm andere Substanzen schon im bewusstlosen Zustand verabreicht wurden, das bleibt offen. Auch nach jahrelanger Ermittlungsarbeit. Und heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Ermittlungsbehörden.

Doch nun kehrte Uwe Barschel wieder zurück. Zu seiner Witwe Freya ins gemeinsame Haus und in den geliebten Ohrensessel. "Herzlich willkommen in meinem Reich" und "ach, wie schön, wieder zu Hause zu sein", soll da Uwe zu Kim-Anne gesagt haben. "Ein Heimatgefühl", habe Barschel noch hinzugefügt. Als ihn "das Medium" Jannes zu seinem Tod befragte, habe er ihr mitgeteilt: "Das ist jetzt eine lange Geschichte ..." Es blieb ungeklärt, wer der angebliche Mörder war. Allerdings wurde viel über die Hingabe einer Frau zu ihrem verstorbenen Mann bekannt. Für sie war es "die große Liebe". Ihre Treue ist rührend. Und Jannes spürte angeblich: "Der ist sooo verliebt, der kriegt sich gar nicht mehr ein." Uwe sagte noch per Medium: "Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich liebe sie so sehr." Schleswig-Holsteins angefeindeter Generalstaatsanwalt Erhard Rex legte vor drei Jahren einen 63 Seiten umfassenden Bericht zu allen Verschwörungstheorien vor und schrieb: "Selbstmord ist 'langweilig' und Mord ist 'interessant'. Wer Geld verdienen will, tut gut daran, Mordthesen nach vorne zu stellen und einen Suizid herunterzuspielen oder auszublenden. Ein interessantes Verbrechen steigert die Auflage, erhöht die Fernsehquote, ein einfacher Selbstmord wirkt nicht verkaufsfördernd für die Auflagenhöhe eines Buches." Da ist das Kalkül von RTL wohl aufgegangen. Bizarr war es auf jeden Fall. Lars Langenau

Uwe Barschel, 1987 bei der spektakulären "Ehrenwort"-Pressekonferenz in Kiel.

Müller-Hohenstein und Kahn treten für das ZDF an

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Rang 5: Katrin Müller-Hohensteins Entgleisung in der Halbzeitpause (508 Punkte bei 306 abgegebenen Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Es war eine nervtötende erste Halbzeit. Viele Fans waren beim ersten Spiel der deutschen Nationalelf bei der WM in Südafrika unzufrieden, aber nicht mit der deutschen Mannschaft, die 2:0 führte und teils begeisternde Szenen gezeigt hatte. Das Problem war phonetischer Natur: Zum einen natürlich das permanente Tröten der Vuvuzelas, zum anderen benutzte ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein in der Pause eine Reihe von Konsonanten und Vokalen, die in dieser Kombination eine äußerst umstrittene Äußerung ergaben: Es sei "für Miro Klose doch ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst. Dass er heute hier trifft."

Ein "Reichsparteitag" war eine Veranstaltung, bei der die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei unter Adolf Hitler von 1923 an ihre Propaganda verbreitete. In Internetforen und sozialen Netzwerken regte sich harscher Protest gegen den Nazi-Vergleich Müller-Hohensteins. Nach dem Spiel rüffelte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz die Moderatorin: "Es war eine sprachliche Entgleisung im Eifer der Halbzeitpause. Wir haben mit Katrin Müller-Hohenstein gesprochen, sie bedauert die Formulierung. Es wird nicht wieder vorkommen."

Der Fußballfan wollte deshalb nur einmal an diesem Abend eine Vuvuzela hören: Als Müller-Hohenstein die Reichsparteitag-Vergleich bemühte, da wünschte sich der Zuschauer, dass Experte Oliver Kahn ein Instrument in die Hand nimmt und kräftig hineinbläst.

Jürgen Schmieder

Das geschah 2010: der interaktive Rückblick von sueddeutsche.de.

Oktopus-Orakel Paul gestorben

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Rang 4: Krake Paul - Spannung zur Orakel-Zeit (863 Punkte bei 345 abgegebenen Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Es lässt sich nicht vermeiden: In jede Huldigung des größten Shootingstars der Fußball-WM in Südafrika mischt sich Trauer, denn das achtarmige Orakel namens Paul ist im Oktober in seinem Aquarium in Oberhausen friedlich entschlummert. Der Krake zog mit seinen Voraussagen weltweit Millionen Menschen in den Bann, ob beim Tippen der sieben deutschen Spiele oder des Finales - Paul lag immer, aber auch wirklich immer richtig.

Geboren wurde der Krake Anfang 2008 in den Gewässern vor dem südenglischen Weymouth. Pauls hellseherisches Talent entdeckten und förderten jedoch erst seine Betreuer im Großaquarium Sea Life in Oberhausen. Während er bei der Euro 2008 noch manchmal falsch gelegen hatte, landete Paul bei der WM 2010 einen Treffer nach dem anderen, indem er seine Leibspeise, eine Miesmuschel, aus der Box mit der Flagge der Gewinnernation fischte.

Nach der WM riss sich die ganze Welt um Paul, allen voran das Siegerland Spanien wollte Pulpo Pablo seine Ehre erweisen. Die kleine Gemeinde Carballiño im spanischen Galicien erklärte Paul per Stadtratsbeschluss zum Ehrenbürger, ein Fischfabrikant bot mehr als 30.000 Euro für den Star - und betonte zugleich, er hege nur die allerbesten Absichten. Im Gegensatz zu den Argentiniern, die dem Kraken das verlorene Viertelfinalspiel gegen Deutschland ankreideten und aus Paul Paella machen wollten.

Doch das Aquarium in Oberhausen ließ sich nicht locken und schickte Paul in den wohlverdienten Ruhestand, wo er am 26. Oktober alle acht Arme friedlich von sich streckte. Ein junger Nachfolger für Paul soll schon bereitstehen. Doch es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit prophezeit werden: Er wird es schwer haben, den Publikumsliebling zu ersetzen.

Katarina Lukac

Iker Casillas

Quelle: Screenshot: sueddeutsche.de

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Rang 3: Der spanische WM-Kuss (970 Punkte bei 376 abgegebenen Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Die Fußball-WM in Südafrika bescherte Millionen Fernsehzuschauern eine ganze Palette an aufregenden, frustrierenden und bewegenden Momenten - der rührendste spielte sich nach Ansicht vieler aber abseits des Spielfelds ab. Nach dem gewonnenen Finalspiel drückte der spanische Torwart Iker Casillas der Fernsehreporterin Sara Carbonero mitten im Interview einen Kuss auf den Mund.

"Madre mía!", entfuhr es der Chefinterviewerin des spanischen Privatsenders Telecinco, auf Deutsch hätte sie wohl "Oh, mein Gott!" gesagt - dabei müsste sie Küsse des Torwarts eigentlich gewöhnt sein: Carbonero ist mit Casillas liiert, und zwar nicht erst seit der Weltmeisterschaft. Damit warf Casillas flugs ein bis dahin eisern eingehaltenes Prinzip über Bord: keine Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit, überhaupt kein Kommentar zu der Beziehung, wegen der der spanische Boulevard schon seit Monaten aus dem Häuschen war. Mit seinem Kuss brachte Casillas auch die mächtige Sportpresse seines Landes zum Schweigen, die gegen die Moderatorin geätzt hatte: Die von ihrem Sender just hinter dem Tor positionierte Reporterin lenke den Torwart vom Spiel ab.

In einem späteren Interview mit der spanischen Sportzeitung Marca widmete Casillas den Sieg, neben seiner Familie, noch einmal ganz offiziell seiner Freundin: "Sie hatte es in den letzten Tagen nicht einfach."

Das romantischste Interview der WM, das die anwesenden Journalisten spontan mit einem Applaus quittierten, rührt bei Youtube selbst gestandene Mannsbilder zu Tränen - wenn man den Kommentaren Glauben schenken mag. "Uns allen entlockt es ein Lächeln, wenn die Freude über die Professionalität siegt", schreibt ein User.

Katarina Lukac

Rettungsbohrung erreicht Kumpel in Chile

Quelle: dpa

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Rang 2: Das "Wunder von Copiapó" in Chile (1228 Punkte bei 445 abgegebenen Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Mehr als 1700 Journalisten tragen die Bilder aus der unwirklich schönen chilenischen Atacama-Wüste wochen- und monatelang in Millionen Haushalte in aller Welt. Die Auffahrt der 33 in der Kupfer- und Goldmine San José verschütteten Bergleute wird als ein Medienereignis gigantischen Ausmaßes inszeniert. Als Florencio Ávalos als Erster der Bergleute am 13. Oktober um kurz nach Mitternacht (Ortszeit) nach 69 Tagen in der Tiefe aus der "Phönix"-Rettungskapsel steigt, fließen nicht nur im Angehörigen-Camp Esperanza die Tränen. Die Euphorie hält sich, bis mit Luis Urzúa knapp 24 Stunden später auch der letzte Kumpel geborgen ist.

"Die Welt hat eine Reserve der Menschlichkeit in sich entdeckt, von der sie glaubte, sie sei längst verlorengegangen", erklärt der chilenische Schrifsteller Antonio Skármeta die globale Anteilnahme. Zugleich wird aber auch Kritik am Medienspektakel laut: "Die Geschichte folgt manchmal den Regeln einer Reality-Show", sagt der Kommunikationswissenschaftler Mauricio Tolosa aus Santiago de Chile. "Eine eingeschlossene Gruppe, eine Kamera, die ihnen folgt und eine Auswahl an Bildern, bei der niemand weiß, nach welchen Kriterien sie getroffen wird."

So sehr die Bergleute nach ihrer Rettung unter dem Medienrummel leiden: Ihre Landsleute befreit der kollektive Jubel aus einer Schockstarre. Acht Monate nachdem das Land von dem fünftstärksten je gemessenen Erdbeben erschüttert wurde, tanzen die Chilenen wieder auf den Straßen. Sympathisanten auf der ganzen Welt stimmen via Internet-, Video- und Twitterbotschaften in den Ruf "Chi-chi-chi-le-le-le" ein, der sonst über Fußballplätze schallt. Auch Wochen nach ihrer Rettung tingeln einige Bergleute mit ihrer Geschichte durch die Talkshows der Welt. Mehrere Bücher, Dokumentar- und Spielfilme sind in Planung. Unter anderem soll Brad Pitts Produktionsfirma in die Verhandlungen eingestiegen sein. Noch haben die Bergleute den Medienrummel nicht hinter sich.

Katarina Lukac

Stephanie zu Guttenberg bei RTL II

Quelle: dpa

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Rang 1: Stephanie zu Guttenberg in der RTL2-Sendung Tatort Internet (5235 Punkte bei 1689 Stimmen, es konnten bis zu vier Punkte vergeben werden)

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und seine Gattin Stephanie gelten schon eine Weile als das Glanz- und Powerpaar der deutschen Regierung. Wie es sich für eine vorbildliche Minister-Ehefrau gehört, engagiert sich Stephanie zu Guttenberg für einen wohltätigen Verein. Sie ist Präsidentin des deutschen Ablegers der Kinderschutzorganisation Innocence in Danger. Würde sie im Sinne ihrer Arbeit nun durch die Talkshows der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten tingeln oder auch mal bei Günther Jauch Platz nehmen, es würde niemanden wundern und niemanden aufregen.

Doch sie entschied anders. Kurz nachdem ihr Buch "Schaut nicht weg! Was wir gegen sexuellen Missbrauch tun müssen" auf den Markt gekommen war, trat sie als Expertin zu diesem Thema beim Schmuddelsender RTL2 auf. Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder, lautete die zehnteilige Serie, die am 7. Oktober dieses Jahres startete. Vorbild ist das umstrittene US-amerikanische Format To catch a Predator. Dort wurden Männer, die sich via Chat mit vermeintlich Minderjährigen verabredet hatten, vor laufender Kamera zur Rede gestellt. Ein heftig diskutiertes Unterfangen, sowohl wegen der Methoden der Lockvögel als auch wegen der effekthascherischen Darstellung. Im Netz kursierten zudem bald Klarnamen der angelockten Männer, einer von ihnen galt sogar einige Zeit als vermisst.

Die Ministergattin wurde in Folge ihres Auftritts offenbar sogar von Zuschauern bedroht. Stephanie zu Guttenberg war entsetzt über die kritischen Reaktionen, der Sender RTL2 über den PR-Scoop wohl einigermaßen zufrieden - und das Thema, sexueller Missbrauch von Kindern, war wieder in den Schlagzeilen. So gesehen hat auch die Ministergattin erreicht, was sie wollte.

Zurückhaltender ist die Ministergattin in Folge der öffentlichen Kritik übrigens nicht geworden: Wenige Wochen nach ihrem Aufritt bei RTL2 begleitete sie ihren Mann nach Afghanistan - in Gefolge mit dabei: Moderator Johannes B. Kerner.

Christina Maria Berr

Was geschah 2010? Hier finden Sie den interaktiven Überblick von sueddeutsche.de.

© sueddeutsche.de/kaeb/kat
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