Abspann-Kolumne:Ein feines Stück Wahnsinn

Abspann-Kolumne: Das ZDF-Traumschiff hält am Ostersonntag in absoluter Zeitlosigkeit Kurs auf Marokko.

Das ZDF-Traumschiff hält am Ostersonntag in absoluter Zeitlosigkeit Kurs auf Marokko.

(Foto: Pjotr Mahhonin)

Beobachtungen aus der Medienlandschaft. Diesmal mit dem "Traumschiff", das trotz Coronakrise Richtung Marokko schippert. Bis Fieber ausbricht.

Von Christian Mayer

Wer in diesem Frühling eine Kreuzfahrt gebucht hatte, kann sehr froh sein, wenn sie rechtzeitig abgesagt wurde. Das Virus macht bekanntlich nicht vor Spaßtankern halt, und so irrten einige Kreuzfahrtschiffe wochenlang über den Ozean, bis sich endlich ein Hafen fand, an dem die Gesunden und die Kranken von Bord durften. "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich", heißt das Buch des amerikanischen Schriftstellers David Foster Wallace über eine dieser Vergnügungsreisen, bei denen Terror und Traum kaum zu unterscheiden sind. Das war gemessen an der Wirklichkeit im Corona-Jahr 2020 eher noch zum Lachen.

Vor diesem Hintergrund ist es umso bizarrer, wenn man am Ostersonntag das ZDF-Traumschiff verfolgt, das natürlich in absoluter Zeitlosigkeit, losgelöst von allen Nöten der Gegenwart, Kurs auf Marokko hält. Gerade weil in der realen Welt nichts mehr so ist, wie es bis vor Kurzem war, wirkt diese Scheinwelt mit ihren Sonnenuntergangsorgien und Ausflügen in die Luxus-Riads von Marrakesch umso greller. Florian Silbereisen, der noch immer neue Kapitän dieser James-Last-Gedächtnisreise, muss nur einmal beim Wort "Traumdestination" sein rollendes R ins Mikrofon hauchen, und schon ist das ganze Schlamassel vergessen. "Lassen Sie vor allem die Seele baumeln", empfiehlt er seinen Gästen, zu denen dieses Mal eine auf ihre Jungfräulichkeit bedachte Prinzessin, ein liebestoller Fitnesstrainer, ein raffinierter Kunstdieb und ein promigeiler Fotograf zählen.

Aber halt, haben es die Drehbuchautoren der neuesten Ausgabe vielleicht schon lange vor der Pandemie geahnt? Oder warum ist es Wolfgang Fierek und Jutta Speidel, die zwei alternde Schlagerstars spielen, auf einmal so verdammt heiß? Warum kriegen die beiden Lieblinge nach einem missglückten Ausflug auf dem Kamel in die Wüste sofort eine "24-Stunden-Grippe", die ihnen Schiffsarzt Nick Wilder mit traumschiffhafter Sicherheit auch ohne Mundschutz attestiert?

Der mimosenhafte Fierek und die exzentrische Speidel liegen nach ihrem Landabenteuer flach im Bett, sie hängen in ihrer Kajüte am Tropf, was sie nicht daran hindert, bei stark erhöhter Temperatur ihren alten Schlagerhit "Herz im Wind" zu singen - aber das Traumschiff wäre nicht das Traumschiff, wenn es nicht auch das Virus besiegen würde, und zwar so was von dalli, dalli. Insofern ist diese sehr deutsche Sendung nicht nur ein Triumph des Eskapismus, sie ist auch ein feines Stück Wahnsinn. Champagner, bitte! Das hilft immer.

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