Abhör-Skandal in Großbritannien:Telefone hacken als Schulhofstreich

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Der News-of-the-World-Skandal nimmt schockierende Ausmaße an - der Aufmarsch von Zeugen vor dem eingerichteten Untersuchungsausschuss ist beeindruckend. Eine der bemerkenswertesten Aussagen kommt jetzt von einem Ex-Mitarbeiter. Der findet das Abhören anscheinend gar nicht so schlimm und meint zudem: "Unsere Absichten waren gut, unsere Motive ehrenhaft."

Christian Zaschke

Jeden Tag aufs Neue bietet der Untersuchungsausschuss bezüglich des britischen Abhörskandals neue Einblicke in die Arbeitsweise der Boulevardpresse. Am Mittwoch sagte Alistair Campbell aus, der ehemalige Sprecher von Tony Blair. Er merkte an, dass das Handwerk des Journalismus seines Erachtens so gut wie tot sei. Menschen würden als Ware behandelt, um Wahrheit ginge es schon lange nicht mehr.

Geradezu nonchalant erzählte Paul McMullan von seiner Zeit bei "News of the World". Niemand in der Zeitung habe das Hacken von Telefonen als illegal empfunden. Man habe es nicht mal "Hacken" genannt, es sei ja nur darum gegangen, die Mailboxen abzuhören. (Foto: REUTERS)

Damit reiht sich Campbell ein in den Aufmarsch der Zeugen, der größtenteils beeindruckend, teilweise schockierend verläuft. Verschiedene Prominente haben erzählt, wie die Krawallblätter ihnen auflauerten, ihre Telefone hackten und die ihrer Freunde. Verschiedene Opfer von Verbrechen erzählten, wie sie plötzlich in den Fokus des Boulevards gerieten und was das bedeutet.

Die vielleicht bemerkenswerteste Aussage wurde am Dienstag leichten Herzens und erstaunlich cool vorgetragen: Der frühere Boulevard-Reporter Paul McMullan erzählte von seiner Zeit bei News of the World (NotW), dem inzwischen eingestellten Revolverblatt, dessen Mitarbeiter knapp 6000 Telefone gehackt hatten. Die Zeitung gehörte dem Medienunternehmer Rupert Murdoch.

McMullan sprach geradezu nonchalant darüber, dass niemand in der Zeitung das Hacken von Telefonen als illegal empfunden habe. Man habe es nicht mal "Hacken" genannt, es sei ja nur darum gegangen, die Mailboxen abzuhören. Und das sei ja eher ein Schulhofstreich.

McMullan erzählte, wie er einmal die Mailbox des Fußballers David Beckham habe abhören wollen - es habe aber nicht geklappt, weil Beckham den Anruf leider beantwortete, bevor McMullan zur Fernabfrage gelangte.

Nicht mehr so hart wie früher

Der Vorsitzende Richter Lord Justice Leveson hörte McMullans Ausführungen mit wachsendem Erstaunen zu. Der frühere Reporter, der heute einen Pub betreibt, sagte: "Unsere Absichten waren gut, unsere Motive ehrenhaft." Es sei schließlich um die Wahrheit gegangen. Und die Privatsphäre? Nach seiner Erfahrung würden Menschen mit zu viel Privatsphäre meist etwas Illegales auskochen, sagte McMullan.

Ob die Chefs von den Praktiken gewusst hätten? "Natürlich", sagte McMullan. Namentlich beschuldigte er Andy Coulson, ehemals NotW-Chef und später Sprecher von Premierminister David Cameron, sowie Rebecca Brooks, vormals Chefin von Rupert Murdochs englischem Zeitungskonzern. Insgesamt, sagte McMullan, sei die Boulevardpresse aber nicht mehr so hart wie früher.

© SZ vom 01.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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