Süddeutsche Zeitung

"A Short Story of Moria":Emotionale Aufklärung

Die Prosieben-Entertainer Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf nutzen 15 Minuten Sendezeit wieder einmal, um relevantes Privatfernsehen zu machen - und das Leid der Menschen in Moria zu zeigen.

Von Johanna Bruckner

Die Bilder seien "am Rande des Erträglichen, wenn man es sich nur anschauen muss", sagt Klaas Heufer-Umlauf in seiner Anmoderation. "Es ist aber die Gegenwart und die Realität der Menschen, die dort sein müssen und dort leben müssen." Und dann schickt der Pro-Sieben-Entertainer noch eine Warnung hinterher: Es seien in dem Film viele Kinder zu sehen - "aber nicht mit Kindern angucken". Er tut gut daran.

Zum wiederholten Mal hatten Heufer-Umlauf und sein Co-Moderator Joko Winterscheidt die Show Joko & Klaas gegen ProSieben gewonnen - und sich 15 Minuten Sendezeit von ihrem Arbeitgeber erspielt. In der Vergangenheit nutzten sie die Viertelstunde, samt enormer Reichweite gerade bei jungen Zuschauerinnen und Zuschauern, um über Themen wie Sexismus und Verschwörungsmythen aufzuklären. Am Mittwochabend zur besten deutschen Sendezeit um 20.15 Uhr ging es um die Zustände im inzwischen abgebrannten griechischen Lager Moria. 1,63 Millionen Zuschauer sahen zu, bei Instagram erreichte das Video anschließend 2,9 Millionen Aufrufe.

Ursprünglich habe man auf die "vergessenen Schicksale" der Menschen in Moria aufmerksam machen wollen, sagt Heufer-Umlauf. Seit dem Feuer sei die mediale Aufmerksamkeit nicht mehr das Problem, und in der Tat gibt es ja einige gute, berührende Berichte aus Moria. Aber, ergänzt Kollege Winterscheidt: Die Lebensumstände dort haben sich noch einmal dramatisch verschlechtert.

"Go back, go back"

In "A short story of Moria", einer Art Mini-Doku, schildert dann ein Migrant auf Englisch, unter welch widrigen Bedingungen er nach Europa kam und welch unwürdige Zustände er antraf. "Mein Name ist Milad Ebrahimi, ich bin 21 Jahre alt und komme aus Afghanistan", sagt der junge Mann. Er sei seit neun Monaten in dem Camp auf der Lesbos. "Es war der größte Fehler meines Lebens, dass ich auf diese Insel gekommen bin."

Er erzählt von seinen drei Versuchen, von der Türkei aus nach Griechenland überzusetzen; davon, wie die griechische Küstenwache den Motor des Schlauchboots zerstört und das Boot zurück aufs Meer gezogen habe. Die Beamten hätten "Go back, go back" gerufen, geht zurück. Zu Ebrahimis Erzählungen werden Videosequenzen eingeblendet, die wohl mit einer Handykamera aufgenommen wurden. Darauf zu sehen: zusammengepferchte Menschen in einem Schlauchboot, darunter viele Frauen und Kinder.

Als er es schließlich nach Lesbos geschafft habe, war die Hoffnung: "dass das nun das Ende ist". Doch die Zustände im Camp seien eine Enttäuschung gewesen. Seit Jahren ist Moria völlig überfüllt, laut dem griechischen Migrationsministerium leben dort etwa 12 600 Menschen, andere schätzen die Zahl auf 16 000. Ausgelegt ist das Lager für knapp 2800 Menschen.

Die behelfsmäßige Zelte, die dreckigen sanitären Anlagen ohne Wasser, dass es an Essen und medizinischer Versorgung fehlt - "ist das wirklich Europa?", fragt Ebrahimi in die Kamera seines Handys.

Und dann kam der Brand, der das Lager am 9. September nahezu vollständig zerstört hat. Die Ursache ist noch nicht abschließend geklärt - die griechischen Behörden vermuten Brandstiftung durch Campbewohner, es gab Festnahmen. Ebrahimi sagt im Video: "Es gibt viele Gründe, die ein Feuer entfachen." Viele Menschen hätten bereits drei oder vier Jahre unter desaströsen Bedingungen im Camp gelebt. "Sie haben die ganze Welt zum Hinsehen gezwungen."

Authentisch wirken die Aufnahmen allemal

Besonders erschütternd sind die Szenen, die dann folgen: Menschen auf der Flucht aus dem brennenden Camp, griechische Behörden, die Straßen sperren und Tränengas in die Menge schießen, so stellt es der Film dar. Eltern sind zu sehen, die ihren weinenden Kindern mit Wasser aus Plastikflaschen die Augen auswaschen. "Wir waren von Europa enttäuscht", sagt Ebrahimi, "wir waren vom Leben enttäuscht."

Hier und da wird die Quelle der gezeigten Aufnahmen eingeblendet - meistens fehlt ein entsprechender Hinweis aber. Ob die Ausschnitte tatsächlich das zeigen, was sie vorgeben zu dokumentieren, lässt sich daher kaum überprüfen. Authentisch wirken sie. Strengen journalistischen Maßstäben genügt der Film nicht - so kommen beispielsweise an keiner Stelle Vertreter der griechischen Behörden zu Wort. Bewusst natürlich. Joko und Klaas dürften journalistische Standards kennen. Wenn sie sie ignorieren, mit den schnellen Schnitten, mit der dramatischen Geigenmusik, geht es ihnen um etwas anderes: Ihre 15 Minuten arbeiten vor allem gegen die kollektive Teilnahmslosigkeit, mit der Nachrichten aus Moria lange aufgenommen wurden und wohl auch immer noch werden. Sie betreiben, wenn man so will, emotionale Aufklärung.

"Vielleicht können diese 15 Minuten ein Stück dazu beitragen, dass zukünftig mehr Menschen Bescheid wissen, wenn man den Begriff ,Moria' hört oder liest", hatte Heufer-Umlauf sich zu Beginn gewünscht.

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