"90 Minuten sind kein Leben" in der ARD:Illusion von Leichtigkeit

Young supporter of Germany's national goalkeeper Robert Enke writes in book of condolences outside headquarters of Germany's first Bundesliga soccer team Hanover 96 in Hanover

Fans schreiben kurz nach Robert Enkes Tod im Jahr 2009 in Hannover in ein Kondolenzbuch.

(Foto: REUTERS)

Vor fünf Jahren nahm sich der Torwart Robert Enke das Leben. Er war einer der besten jungen Fußballer - und litt an Depression. Jetzt zieht das Erste mit einer Dokumentation Bilanz. Hat der Bundesliga-Betrieb dazugelernt?

Von Ralf Wiegand

Für einen Moment in dieser Nacht vor fünf Jahren, in der die Menschen Tausende kleine Lichter anzündeten gegen die Dunkelheit, die sich in ihnen und um sie herum ausbreitete, dachte man: Es wird im Fußball vielleicht tatsächlich nie mehr so sein, wie es einmal gewesen ist. Robert Enke hatte die Show beendet, indem er sich umgebracht hatte. Er war einer der besten unter all den jungen, starken Männern, die ihren Jungstraum lebten. Fußballprofi. Nationalspieler.

Robert Enke hat das nicht retten können. Auch das gleißende Flutlicht eines Stadions, die schneeweißen Trikots der Nationalmannschaft, die leuchtende Nummer 1 auf seinem Rücken als Zeichen des besten Torwarts konnten die Dunkelheit in ihm nicht vertreiben. Erkrankt an schwerer Depression, nahm er sich das Leben.

Dass fünf Jahre später an einem Samstagabend, an dem die Bundesliga nicht spielt, um 19 Uhr im Ersten nicht die Sportschau läuft, sondern ein Film über Robert Enke und damit ein Film über Depression - das allein ist schon eine Folge dieser tieftraurigen Nacht. Noch immer wird wenig gesprochen über diese Krankheit, schon gar nicht im Spitzensport, aber immerhin häufiger als nie. Und sei es nur zu den Todestagen von Robert Enke.

Fußball ist nicht alles, kommt zur Besinnung

Diesmal haben sich die Autoren Nick Golüke und Michael Müller auf Spurensuche begeben, was fünf Jahre nach Robert Enkes Tod geblieben ist von all den guten Vorsätzen von damals, Schwäche im Sport der Starken zuzulassen, hinter die Kulissen zu schauen, aufeinander aufzupassen. 90 Minuten sind kein Leben heißt ihr Film. Es ist als Bilanz gedacht, vor allem ist es eine Erinnerung. Eine Erinnerung an all die guten Vorsätze.

"Denkt nicht nur an den Schein. Denkt auch an das, was in einem Menschen ist. An Zweifel und Schwäche. Fußball ist nicht alles." Es ist vielleicht der beste Satz, den der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, als Funktionär je gesagt hat. In diesem Moment, den der Film ausführlich zitiert, im mit 40 000 Zuschauern besetzten Stadion von Hannover 96, auf dessen Rasen im Mittelkreis kein Ball lag, sondern der Sarg Robert Enkes stand, meinte Zwanziger das wirklich so: Haltet inne, kommt zur Besinnung.

Einer war einfach untergegangen

In diesem Augenblick und während all der endlos durchdiskutierten Tage davor und danach war das schlechte Gewissen spürbar, das den Betrieb Fußball drückte. In all diesem Mannschaftsgetue, der Illusion von Freundschaft und Leichtigkeit, in der Ära der fürsorglichen Klinsmänner und Löws, war einer einfach untergegangen. Vor aller Augen. Damals glaubte der Betrieb Bundesliga, etwas damit zu tun zu haben und schien sich zu schämen.

Fünf Jahre später gehören Psychologen selbstverständlich zum Personaltableau jedes gut geführten Leistungszentrums, immerhin. Der Film zeigt am Beispiel eines Nachwuchsspielers die Verführbarkeit, die Schwärmerei für die vermeintliche Glitzerwelt in den Arenen. Einer von tausend Jungs schafft es zum Profi. Er wird gefeiert, aber auch er kommt dann irgendwann, spät nach einem Spiel, in ein leeres Hotelzimmer.

Das schlechte Gewissen ist verschwunden

Oder gerät unter Leistungsdruck wie Markus Miller, ebenfalls Torwart, ebenfalls Hannover 96, ebenfalls zwischenzeitlich an Depression erkrankt. Er erklärt, wie das ist, wenn man plötzlich glaubt, nicht das zu leisten, was man leisten könnte. Wie der Druck wächst. Wie die Leere kommt. "Ein Teufelskreis. Ich hatte keine Lust mehr, meinem Traum nachzugehen." Und man fragt sich: Wie kann das sein?

Der Film zeigt den gestiegenen Stellenwert von mentaler Betreuung im Sport, er zeigt die größere Intensität, mit der Forscher den Ursachen von Depression nachspüren. Aber deutlich wird auch, dass das schlechte Gewissen verschwunden ist. "Der Fußball", sagt DFB-Psychologe Hans-Dieter Hermann, "macht nicht krank". Dieser Eindruck sei durch Zwanzigers Rede damals entstanden, fälschlicherweise. Also alles beim Alten

90 Minuten sind kein Leben, ARD, Samstag, 19 Uhr .

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