70 Jahre "Elle":Revolution niemals im Schlabberlook!

70 Jahre "Elle": Die "Elle" im Wandel der Zeiten.

Die "Elle" im Wandel der Zeiten.

(Foto: Collage (Elle Cover, AFP))

Feminismus mit Lippenstift: Das "Elle"-Magazin wird 70. Es kämpfte für Frauenrechte und brachte Brigitte Bardot ganz groß raus.

Von Pascale Hugues

Die Geschichte der Elle spiegelt die Geschichte der Französinnen. Das Magazin hat schon das Leben unserer Großmütter und unserer Mütter begleitet. Dank Elle wissen junge Französinnen, welch weiter Weg es war, bis sie ihr Leben frei und selbstbestimmt führen konnten. Eine lange Reise. Ein kühnes Projekt.

Frankreich 1945: Kinder, Küche, Kirche

Die Elle wird am 21. November 1945 geboren, als die Französinnen endlich das Wahlrecht bekommen. Nach dem Krieg ist Frankreich ein bigottes, konservatives Land, regiert von Charles de Gaulle und seiner ergebenen Gemahlin Yvonne, "Tante Yvonne", deren hervorstechende Merkmale das Schleierhütchen und der stets auf den Boden geheftete Blick sind. Eine "Meisterin in der Alchemie der Marmeladen" nennt die Zeitung Canard Enchaîné sie mit hübscher Ironie. Wie sie verschwinden die Frauen im Schatten ihrer Ehemänner und ihres Küchenherdes.

Frankreich steht noch im Zeichen der 3K - Kinder, Küche, Kirche. Als dem General de Gaulle die Schaffung eines Frauenministeriums vorgeschlagen wird, entgegnet er mit atemberaubender Verachtung: "Warum nicht gleich ein Staatssekretariat für Stricken?" So etwa sieht das Klima aus, in dem die Elle aus der Taufe gehoben wird.

Finanzielle Unabhängigkeit statt Horoskope

Mit der Gründung der Elle verfolgt Hélène Lazareff eine Mission: Die Frauen sollen das neue Wahlrecht ebenso wahrnehmen können wie die Männer. Die temperamentvolle Tochter einer vor dem Bolschewismus nach Paris geflohenen reichen russisch-jüdischen Familie emigriert während der deutschen Besatzung nach New York. Dort arbeitet sie für Harper's Bazaar und die New York Times. Sie kehrt mit ihren amerikanischen Erfahrungen voller Elan nach Frankreich zurück und will die Frauen aufrütteln, sich zu emanzipieren und nach den entbehrungsreichen Jahren ihre Lebensfreude zurückzugewinnen. Die erste Nummer enthält ein Rezept für Croque-Monsieur mit Quark und Rettich sowie Tipps, wie den alten Kleidern mit den bescheidenen Mitteln der Nachkriegszeit ein fröhlicherer Look verpasst werden kann.

Auf keinen Fall aber sollen die Frauen auf die Rolle der fleißigen Haushaltsfee reduziert werden, auf keinen Fall soll es nur um Kochrezepte, Schnittmuster, Horoskope, Klatsch und Kummerkasten gehen. Finanzielle Unabhängigkeit! Arbeit! Die Freiheit, selbst über das eigene Leben zu bestimmen! Recht auf Scheidung! Verhütung! Gleichheit von Männern und Frauen! Mit diesen Schlagwörtern verbreitet die Elle die Ideen von Simone de Beauvoir.

Ein Spiegel des gesellschaftlichen Wandels

Ein Teil der Intelligenzija spottet zwar darüber, dass ein Frauenmagazin so frech ist, sich mit gesellschaftspolitischen Themen zu befassen - aber die Elle wird alle Emanzipationskämpfe der Französinnen begleiten: von der ersten Familienplanungsstelle 1956 bis zum Aufkommen der Pille 1967. Vom neuen Güterrecht - 1965 erhalten die Frauen das Recht, ihren Besitz selbst zu verwalten, ein Konto zu eröffnen und ohne die Erlaubnis ihres Mannes einen Beruf auszuüben - bis zum Recht auf Abtreibung 1974.

Im Jahr 1983 erscheint ein Dossier über Aids und Frauen; und 2013 eine Titelgeschichte über die Justizministerin Christiane Taubira, die den schwierigen Aufstieg der Frauen in der französischen Politik verkörpert. Die Elle schafft es, den Frauen Gehör zu verschaffen, und zwar weit über die von der Mode diktierte Länge von Rocksäumen hinaus. Sie begleitet und initiiert bedeutende Veränderungen innerhalb der französischen Gesellschaft.

Feminismus à la française

1970 finden auf Initiative der Zeitschrift die "états généraux de la femme" statt: Hunderte Frauen aus allen sozialen Schichten setzen sich zusammen, um, moderiert von der Elle, ihre Situation zu erörtern und eine Liste mit ihren Wünschen aufzustellen. Zweifellos ist die Elle ein feministisches Magazin, aber es ist ein Feminismus à la française. Sanfter, heiterer, versöhnlicher und vor allem weniger dogmatisch als der deutsche Feminismus. Für die Verteidigung ihrer Rechte gehen die Frauen auf die Barrikaden, aber sie hören nicht auf, die Männer und den Lippenstift zu lieben. Die Elle ist nicht Emma. Ganz und gar nicht.

"Ernst im Leichten, Ironie im Schweren"

Und warum sollte man Mode, Schönheit und die anderen Besonderheiten der Weiblichkeit à la française denn überhaupt in der Versenkung verschwinden lassen? "Ernst im Leichten, Ironie im Schweren", ist die Devise von Hélène Lazareff. Die Befreiung der Frauen umfasst auch ihren Kleidungsstil und ihr Verführungstalent. Seinerzeit durften die Frauen nicht in Hosen zur Arbeit kommen.

Im Mai '68 engagiert sich die Zeitschrift sehr für die Studentenbewegung, versäumt es aber auch nicht, die jungen Frauen, die mit erhobener Faust über die Boulevards des Landes ziehen, mit Modetipps zu versehen. Im Schlabberlook die Revolution ausrufen? Unmöglich! In den 60er Jahren trägt die Elle zur Verbreitung der Konfektionskleidung, des prêt à porter ebenso bei wie zum Aufstieg junger Modeschöpfer wie Pierre Cardin, André Courrèges, Yves Saint Laurent und Emmanuelle Khanh.

Eine Startrampe für Stars

Und sie greift die Faszination der Frauen für Filmschauspielerinnen auf. Sie ist eine Startrampe für Stars. 1949 bemerkt die stets in ein Chanel-Kostüm gekleidete Hélène Lazareff auf einem Bahnsteig eine hinreißende Brünette mit unglaublichen Kurven. "Melden Sie sich bei mir!", ruft sie ihr zu. "Wir werden Fotos von Ihnen machen lassen!" Brigitte Bardot ist geboren.

In diesem Herbst wurden auf den Champs Elysées 80 der 3600 Titelseiten der Elle ausgestellt - ein Panthéon. Grace Kelly, Isabelle Adjani, Emmanuelle Béart, Catherine Deneuve, Prinzessin Diana und David Beckham lächelten den Passanten zu. Und noch eine ganz eigene Revolution bedeutet diese Zeitschrift: Als Hélène Lazareff die Elle gründet, wird selbstverständlich keine einzige große Zeitung in Frankreich von einer Frau geleitet. Der Journalismus ist ein fast ausschließlich männliches Metier. Den Frauen bleibt in den Redaktionen die undankbare Aufgabe der Stenotypistinnen. Bestenfalls dürfen sie als freie Mitarbeiterinnen Theaterkritiken schreiben.

Mit Elle wird der französische Journalismus weiblicher

Die Elle bietet jungen Journalistinnen ein Sprungbrett für die Karriere in diesem den Männern vorbehaltenen Beruf. Von Françoise Giroud, der Grande Dame des französischen Journalismus, stammt eine der ersten großen von einer Frau verfassten Reportagen: Sie berichtet über die US-Wahlen 1952. Von 1946 an ist sie Chefredakteurin, bis sie 1953 die Elle verlässt, um gemeinsam mit Jean-Jacques Servan-Schreiber das Magazin L'Express zu gründen. In der Regierung Valéry Giscard d'Estaing wird Françoise Giroud 1974 Staatssekretärin für Frauenfragen.

Auch der Literatur öffnet Elle ihre Seiten. Hier wird ein Roman von Colette abgedruckt. Françoise Sagan, Symbol für die junge Göre, erfährt von der Zeitschrift Unterstützung, als ihr Roman Bonjour Tristesse einen Weltskandal auslöst. Simone de Beauvoir, Benoîte Groult, Clara Malraux, Françoise Mallet Joris, Marguerite Duras publizieren in Elle lange Texte. Die Elle bietet Schriftstellerinnen eine Plattform. 1971 wird der Grand Prix des Lectrices de Elle ins Leben gerufen, der erste Preis, der ausschließlich durch die Leserinnen einer Zeitschrift verliehen wird.

Heute hat Elle, die inzwischen zur Lagardère-Gruppe gehört, ihren militanten Charakter schon lange abgelegt und sich im Lauf der Jahre in ein riesiges Imperium mit 46 internationalen Ausgaben und mehr als 20 Millionen Leserinnen verwandelt. Auch der britische und der amerikanische Ableger haben gerade Geburtstag, sie werden 30 Jahre alt. Wegen der Attentate in Paris hat Elle allerdings ihre für diese Woche geplante Sonderausgabe zum 70. Geburtstag verschoben. Auf der Online-Seite wird politische Aktualität berichtet. Im Moment ist den Französinnen nicht nach Feiern zumute.

Pascale Hugues ist Deutschland-Korrespondentin des französischen Nachrichtenmagazins Le Point. Sie lebt in Berlin. Aus dem Französischen von Elisabeth Thielicke.

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