Süddeutsche Zeitung

70 Jahre ARD:Optimismus vom Klassensprecher

Auch zum 70. Jahrestag der ARD gibt es keine Einigkeit. Dabei ist die Anstalt mehr als "Tagesschau", "Sportschau" und "Tatort" - wenn sie sich nur bemüht.

Von Hans Hoff

Es war vor 70 Jahren noch kein sehr fernsehöffentlicher Tag, als NWDR, BR, HR, RB, SDR und SWF die ARD ins Leben riefen. Damals funkte man noch vorwiegend ins Radio. Erst fünf Jahre später sollte die Bundespost den 100 000. Fernsehteilnehmer vermelden. Im Jahre 1950 ahnten noch die wenigsten, dass sie bald am Schirm erleben würden, wie Deutschland die Fußball-WM gewinnt, wie Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff auf Sendung gehen, wie die Tagesschau und Das Wort zum Sonntag starten.

Wenn sich nun an diesem Dienstag zum 70. Mal der Tag der ARD-Gründung jährt, dann wird jenseits der natürlich professionell verbreiteten Anstaltseuphorie nicht allen nach einer Feier zumute sein. Wie soll man auch feiern, wenn man permanent in der Klemme steckt, wenn man sich nicht einig ist als Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, so der ausgeschriebene Titel des Kürzels, das erst 1954 eingeführt wurde. Jüngst erst ist wieder mal deutlich geworden, wie unterschiedlich die Interessen in der ARD gelagert sind. Während acht Rundfunkanstalten beschlossen, ein gemeinsames digitales Kulturangebot, angesiedelt beim MDR, zu etablieren, stimmte der BR dagegen.

Nun ist Uneinigkeit nichts Neues im Anstaltenverbund. Schon seit seiner Gründung schleppt die ARD die Verschiedenheit der Sender mit sich wie eine Art negatives Markenzeichen. Nicht ohne Grund wird ja der Begriff ARD auch gerne spöttisch mit "Alle reden durcheinander" dechiffriert. Da half auch der zum 60. Geburtstag ausgerufene Werbespruch "Wir sind eins" nicht weiter, behauptete er doch etwas, das sich selbst beim flüchtigen Hinsehen als falsch erwies. "Wir sind viele" hätte vielleicht gepasst, aber "Wir sind eins"?

Naturgemäß fällt es der ARD schwer, mit einer Stimme zu sprechen

Es stimmt so einiges nicht in der Gemeinschaft der Vielen. Nicht selten ist zu hören, die ARD sei viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, mit ihrer komplexen Organisation, den divergierenden Standortinteressen in den einzelnen Funkhäusern, mit der Frage, wer wie viel Macht hat oder haben sollte. Naturgemäß fällt es der ARD schwer, mit einer Stimme zu sprechen.

Dass diese Vielfalt von der Politik gerne auch mal als Unbeweglichkeit ausgelegt wird, liegt in der Natur der föderalen Sache. Man kann zudem allzu leicht Beifall erheischen, wenn man eine Breitseite gegen die ARD abfeuert. Wenn man dann noch etwas von Zwangsgebühr murmelt, ist man stets auf der populistisch sicheren Seite.

Dabei müsste sich die ARD gar nicht so dauerhaft in der Defensive einrichten, denn sie hat viele Pfunde, mit denen sich wuchern ließe. Nur fehlt ihr zu oft der Mut, dies auch offensiv und nachhaltig zu tun.

Ein neuer Claim soll verdeutlichen, dass die Anstalten den Menschen nicht nur auf der Tasche liegen

Gerade hat die ARD in der Corona-Krise bewiesen, dass sie eine unabhängige Informationsadresse von erstem Rang ist, dass sie über die beteiligten Sender in den Ländern nah bei den Menschen sein kann, wenn sie sich denn bemüht und beweist, dass sie mehr ist als Tagesschau, Tatort und Sportschau. Immerhin strahlt die ARD im wahrsten Wortsinne etwas aus. Nicht nur das Erste, sondern auch die sogenannten Dritten und um die 60 Hörfunkprogramme. Sie ist verbunden mit Funk, Phoenix, dem Kika, Arte, 3 Sat und dem Deutschlandfunk, unterhält Digitalkanäle, und als zehntes Mitglied ist auch die Deutsche Welle im Verbund mit dabei. Zudem unterhält die ARD rund 50 Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa ARD aktuell, die Degeto, den Beitragsservice.

Zunehmend legt die ARD in den jüngsten Jahren den Schwerpunkt auf den Dienst, den sie als föderaler Medienverbund der Gesellschaft erweist. "Wir sind deins" lautet deshalb ein aktuell kursierender Claim, der deutlich machen soll, dass die Anstalten den Menschen nicht nur auf der Tasche liegen, sondern tatsächlich auch Mehrwert zu bieten haben.

Und natürlich macht der aktuelle ARD-Vorsitzende demonstrativ auf Optimismus. "Dass das in so vielen Bereichen so gut klappt, zeigt, dass die Gründung der ARD vor 70 Jahren eine wichtige und richtige Entscheidung war. Sie bündelt unsere Stärken", sagt Tom Buhrow. Was man halt so sagt als Klassensprecher.

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SZ vom 09.06.2020/tmh
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