66. Filmfestspiele von Cannes:Großes fürs Kleinformat

Behind The Candelabra - 66th Cannes Film Festival

Michael Douglas als Liberace in "Behind The Candelabra"

(Foto: dpa)

"Die Studios sind in einer ökonomischen Falle gefangen": Cannes zeigt Stephen Frears' Film über Muhammad Ali und Steven Soderberghs "Behind the Candelabra". Beide Filme laufen nicht im Kino, sondern direkt im Bezahl-TV - ein Statement.

Von Susan Vahabzadeh, Cannes

Stephen Frears lümmelt sich auf einem Sofa auf der Dachterrasse und freut sich des Lebens. Wahrscheinlich, weil die Umstände, unter denen er in der offiziellen Auswahl des wichtigsten aller Filmfestivals gelandet ist, ihm so gut gefallen: Sein Film Muhammad Ali's Greatest Fight läuft in Cannes als Spezialvorführung, außer Konkurrenz. Frears' Gefährliche Liebschaften (1989) lief bei der Berlinale, sein Die Queen (2005) in Venedig - der Mann ist an Erfolg gewöhnt, aber auch an Stress. Aber diesmal muss er nicht der Preisverleihung entgegenfiebern, und sich auch sonst keine Sorgen machen. "Ich will schon deshalb keinen 200-Millionen-Dollar-Film machen, weil ich dann nachts nicht schlafen könnte", sagt er. Hat er auch nicht getan: Muhammed Ali's Greatest Fight ist ein Fernsehfilm - eine Produktion des amerikanischen Pay-TV-Senders HBO, der Frears dafür angeheuert hat.

Es geht nicht etwa um einen der Boxkämpfe, es geht um Alis Weigerung, seine Einberufung während des Vietnamkriegs zu akzeptieren - entschieden wurde der Fall vor dem Obersten Gerichtshof der USA, 1971. "Diese Geschichte kennt kein Mensch", sagt Frears. "Ali war weltberühmt, aber diese Geschichte ist es nicht." Ali war zum Islam konvertiert und hatte den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigert, der Prozess ging durch alle Instanzen.

Frears' Film, der in Deutschland auf Sky zu sehen sein wird, ist Doku-Fiction, basierend auf den Erinnerungen eines beteiligten Anwalts. Ali sieht man nur in Archivaufnahmen, dazwischen sieht man in Spielszenen, wie innerhalb des Supreme Court, unter den neun Richtern und den jungen Anwälten, die ihnen assistieren, die Meinung umschlägt. Frank Langella, Christopher Plummer und Danny Glover spielen diese Richter. Und Frears war sofort dabei: "Ich finde, dass diese Geschichte so interessante Fragen aufwirft. Es gibt ja kaum Filme über den Supreme Court."

Seit den Neunzigerjahren hat der Kabelsender HBO immer stärker auf hochwertige Serien gesetzt, zu den bekanntesten gehören Sex and the City, Die Sopranos und The Wire. Und auch in die Produktion von Fernsehfilmen ist der Sender immer stärker eingestiegen - im diesjährigen Wettbewerb in Cannes lief Behind the Candelabra, Steven Soderberghs Film mit Michael Douglas als der Showstar Liberace und Matt Damon in der Rolle seiner großen Liebe. Trotz der hochkarätigen Besetzung hat er den Film fürs Kino nicht finanzieren können, und so landete das Projekt bei HBO. Und Michael Douglas, dessen Auftritt in Cannes als preiswürdig gehandelt wird, kommt für die Oscars im kommenden Jahr nicht in Frage, da wird das Fernsehen nicht berücksichtigt: Es wird trotz des großen Erfolgs in Cannes keine Kinoauswertung in den USA geben, sagt Soderbergh, es sei eben "ein zweites goldenes Zeitalter" fürs amerikanische Fernsehen angebrochen.

Man merkt Muhammad Ali's Greatest Fight und Behind the Candelabra natürlich an, dass ihre Schöpfer, an größere Möglichkeiten gewöhnt, auf das kleine Format Rücksicht nehmen - und auf die kleinen Ressourcen, die Fernsehproduktionen normalerweise haben, auch wenn sie mit einem Cast arbeiten, den sich das Fernsehen sonst nicht leisten kann.

Kleine Stücke für Cannes

Es ist durchaus ein Statement, wenn beim Festival in Cannes zwei Filme von HBO ins Programm nimmt, es hat auch vorher schon Fernsehproduktionen in der offiziellen Auswahl gegeben, Olivier Assayas' Mammutwerk Carlos beispielsweise, sechs Stunden lang am Stück. Auch Edgar Reitz' Heimat wurde in Venedig gezeigt. Aber dabei ging es um ureigene Tugenden des Fernsehens: Dass es einen Film zerteilen kann und in Serie zeigen, der allein durch seine Länge den Rahmen des Kinos sprengt. Frears und Soderbergh kamen mit kleinen Stücken nach Cannes, und vor allem eben: mit Filmen, die noch vor ein paar Jahren den Mittelbau des Kinos ausgemacht hätten.

"Die Studios sind in einer ökonomischen Falle gefangen", sagt Frears. Das amerikanische Studiosystem setzt fast ausschließlich auf Blockbuster, man will dort mit einem Film gleich ein paar hundert Millionen Dollar verdienen. Oder man lässt es eben bleiben, denn die zehn Millionen, die bei einem kleinen Film mit kleinem Budget zu holen wären, sind Peanuts, auf die man immer häufiger verzichtet.

Frears' Film ist, anders als Soderberghs, von Anfang an ein HBO-Projekt gewesen - vielleicht ist es längst so weit, dass kein Drehbuchautor oder Produzent noch versuchen würde, in den USA einen solchen Stoff als Kinofilm durchzuboxen: eine Geschichte über ein Dutzend Männer, die am Tisch sitzen und über Recht und Gerechtigkeit debattieren. Genau nach dem Prinzip hat auch Sydney Lumets Die Zwölf Geschworenen von 1958 funktioniert, ein Klassiker bis heute. Es lief allerdings damals noch andersherum: Die zwölf Geschworenen ist als Fernsehspiel geschrieben worden und wurde später erst zum Kinostoff deklariert.

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