40 Jahre Zeit-Magazin - ein Gespräch:"Die Gräfin war not amused"

Zeit-Magazin-Chef Christoph Amend über Angela Merkels Fingernägel, einen Anruf von Thomas Gottschalk und Cannabis im Kühlschrank.

Christina Maria Berr

Das Zeit-Magazin war das erste Zeitungsmagazin seiner Art. Seit 40 Jahren gibt es nun den rebellischen Ableger der Wochenzeitung Zeit. Nach einer Pause von acht Jahren wurde vor dreieinhalb Jahren das Magazin wieder ins Leben gerufen - und seitdem leitet Christoph Amend die Redaktion.

!!!ACHTUNG!!! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT ARTIKEL IN MEDIEN_ONLINE!!! Die Zeit - Cover

Das erste Zeit-Magazin ist vor 40 Jahren erschienen. Die Titelgeschichte drehte sich um langhaarige Männer.

(Foto: Zeit Magazin)

sueddeutsche.de: Das Zeit-Magazin feiert 40. Geburtstag - war das eine geniale Erfindung von Gerd Bucerius?

Christoph Amend: Im Nachhinein betrachtet, ja. Zehn Jahre später kam ja das FAZ-Magazin und nochmal zehn Jahre danach das SZ-Magazin. Insofern hat Bucerius damit in Deutschland ein Magazin-Genre eingeführt. Damals gab es jedoch ziemlich große Widerstände. Man darf nicht vergessen, dass die Zeit 1970 komplett in Schwarzweiß gedruckt wurde und Fotos keine große Rolle spielten.

sueddeutsche.de: Und dann erschien im Oktober 1970 das erste Heft mit einem langhaarigen jungen Mann auf dem Cover - war das Heft damals innovativ?

Amend: Von heute aus betrachtet ist bereits in der ersten Titelgeschichte alles drin, was modernen Magazinjournalismus ausmacht: Aus der scheinbar banalen Frage, warum Männer plötzlich lange Haare tragen, wird das Lebensgefühl einer Generation beschrieben. Der Titelheld auf dem Cover antwortete auf die Frage, warum seine Haare so lang seien: "Es ist alles fürchterlich kompliziert." Herrlich, oder?

sueddeutsche.de: Die Stammredaktion hat das damals vermutlich nicht so herrlich gefunden.

Amend: Für die war das anfangs eine Art Schock. Einige Redakteure haben sich zunächst geweigert, für das Magazin zu schreiben. Auch die Gräfin war not amused.

sueddeutsche.de: Sie meinen die damalige Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff. Was hat sie denn gesagt?

Amend: Sie hat sich durchaus gefragt, ob das sein müsse. Hellmuth Karasek erzählt in unserem Jubiläumsheft, dass die Gräfin dafür in peinlichen Momenten durchaus Contenance behalten hat. Karasek gehörte 1970 zur Entwicklungsredaktion, und an einem heißen Sommertag kam die Gräfin in sein Büro, weil sie den jungen Kollegen kennenlernen wollte. Das Problem war nur: Karasek badete seine Füße unter dem Schreibtisch in einem Eimer mit Eiswasser. Sie hat ihm trotzdem die Hand gereicht - und später den Vorfall nie auch nur erwähnt.

sueddeutsche.de: 1989 sollen Zeit-Chef Theo Sommer und der damalige Magazin-Chef Michael Schwelien ja direkt miteinander gekämpft haben.

Amend: Es gab Auseinandersetzungen um die Neuausrichtung des Magazins. Gerd Bucerius wollte es verjüngen, aber nicht so, wie es dann wurde.

"Es breitete sich Panik aus."

sueddeutsche.de: 1999 wurde das Magazin abgesetzt.

Christoph Amend

"Das Magazin tut der Zeitung gut", meint Redaktionsleiter Christoph Amend über das renommierte Supplement der Zeit.

Amend: Es war eine wirtschaftlich schwierige Zeit für die Zeit, und die Magazine hatten immer weniger Anzeigen. Zeit und FAZ haben ihre Magazine im selben Jahr eingestellt. Im Nachhinein war das ein Fehler, das sehen heute auch die damals Verantwortlichen so. Bei der Zeit hat die Einstellung hat dazu geführt, dass die Zeitung 30.000 Leser verloren hat.

sueddeutsche.de: Ist es mittlerweile harmonischer geworden zwischen Hauptblatt und Magzin?

Amend: Ja, der Austausch ist ein ganz anderer. Zeit-Autoren schreiben im Magazin und umgekehrt. Die Zeit erscheint längst auch in Farbe, und dafür kiffen wir nicht mehr, was ja in den 70er Jahren gute Tradition war im Magazin. Da gab es einen Kühlschrank, in dem das Hasch gelagert wurde. Damals musste man sich unbedingt mit der Redaktionsassistentin Elke gutstellen, denn die hatte den einzigen Schlüssel.

sueddeutsche.de: Aber nur im Magazin?

Amend: Ich bin zu jung, um wirklich zu wissen, ob wir das exklusiv hatten.

sueddeutsche.de: Das klingt nach Kreativität - aber auch nach Chaos.

Amend: Mit großem Einfallsreichtum rettete die Redaktion einiges. Michael Naumann, Magazin-Mann der ersten Jahre, kann davon erzählen: In einer der ersten Ausgaben waren auf einmal einen Tag vor Redaktionsschluss noch 13 Seiten frei. Es breitete sich Panik aus. Aber einer kannte den Fotografen der Rolling Stones, die an dem Abend zufällig in Hamburg auftraten. Also ist die ganze Redaktion aufs Konzert gefahren und brachte für den nächsten Tag einen 13 Seiten langen Bericht und Fotos mit.

sueddeutsche.de: Kann das Magazin sich denn heute auch mehr erlauben als damals?

Amend: Es geht nicht darum, was man sich erlauben kann, eher darum, immer wieder Neues auszuprobieren. Mein Kollege Matthias Stolz hat beispielsweise, gemeinsam mit den Zeichnern Ole Häntzschel und Jörg Block, im Laufe der letzten Jahre die ursprünglich eher nüchterne Form der Infografik auf unterhaltsame Weise weiterentwickelt, jede Woche in seiner Kolumne "Deutschlandkarte" und regelmäßig mit größeren Infografiken. Er gewinnt regelmäßige Preise dafür, zuletzt den ersten Platz bei den dpa-Infografik-Awards für ein "Grüno-O-Gramm" über die Parteigeschichte der Grünen. Das ZEIT-Magazin erweitert das Spektrum der Zeit, formal wie inhaltlich Eine Fotokolumne wie die von Juergen Teller ist ein klassisches Zeit-Magazin-Format und im Hauptblatt weniger vorstellbar.

"Das letzte Wort hat der Chefredakteur"

sueddeutsche.de: Und dann kommt Giovanni di Lorenzo, der Zeit-Chef und mischt sich auch noch ein?

Amend: Mit guten Ideen und natürlich auch mit seinen Interviews, wie etwa den Gesprächen mit Helmut Schmidt oder seiner Titelgeschichte über die Geigerin Anne-Sophie Mutter. Giovanni di Lorenzo hat mich als Jungspund bei der Süddeutschen Zeitung für die Seite 3 schreiben lassen, das war Ende der 90er. Ich denke, dass der Zeitraum der Zusammenarbeit für sich spricht.

sueddeutsche.de: Und wer hat das letzte Wort?

Amend: Das letzte Wort hat der Chefredakteur.

sueddeutsche.de: Wie viele Zigaretten hat er denn nun mit Helmut Schmidt schon geraucht?

Amend: Wir haben tatsächlich für die Jubiläumsausgabe recherchiert, wie viele Zigaretten es waren und sind auf den Schätzwert 268 gekommen.

sueddeutsche.de: Davon hat wie viele Giovanni di Lorenzo geraucht?

Amend: Die Zahl 268 bezieht sich auf den Konsum von Helmut Schmidt. Da die beiden ja zu zweit miteinander sprechen, müssten Sie Giovanni di Lorenzo fragen, ob er auch mal eine mitraucht.

sueddeutsche.de: Lassen Sie uns über Herta Müller sprechen, die schrieb 1986 ein paar Reportagen in Ihrem Heft - haben Sie damals- Sie waren zwölf Jahre alt - schon das Zeit-Magazin gelesen?

Amend: Meine Eltern hatten die Zeit abonniert, und ich habe das Zeit-Magazin öfter aus dem Briefkasten geklaut. Meine Mutter war dann auf den Postboten sauer, weil sie ihn als Täter vermutete. Aber an die Reportagen Herta Müller konnte ich mich nicht erinnern, vermutlich nicht ungewöhnlich für einen Zwölfjährigen.

Ungeduld ist überhaupt keine Schwäche

sueddeutsche.de: Im Rückblick, wie finden Sie denn die Texte? Nobelpreisverdächtig?

Amend: Als ich Müllers Stücke jetzt gelesen habe, waren sie für mich schon sehr bewegend.

sueddeutsche.de: Und warum schreibt sie jetzt nicht mehr fürs Magazin?

Amend: Wir würden jederzeit Geschichten von ihr drucken. Ich fürchte, sie hat jetzt anderes zu tun, aber wer weiß, vielleicht klappt es eines Tages ja. Das Zeit-Magazin war damals einfach sehr früh dran. Überhaupt ist es eine interessante Erfahrung im Zuge der Rückschau auf die Magazin-Geschichte, wie oft die Redaktion Strömungen früh entdeckt hat, durchaus auch Kurioses. Zum Beispiel gab es 1978 eine Geschichte über moderne Kommunikation. Da ist ein Foto von einer Frau zu sehen, die vor einem Fernseher sitzt, in der Hand eine Fernbedienung neben sich ein Telefon. Auf dem Bildschirm steht eine Nachricht von dem Ehemann auf Dienstreisen: "Mitteilungsdienst: Bitte am Bahnhof abholen." Das war, von heute betrachtet, nichts anderes als eine Ahnung, wie unser Alltag in Zeiten der SMS werden würde.

sueddeutsche.de: Wen würden Sie sich denn als Autor noch wünschen?

Amend: Ein Wunsch ist schon in Erfüllung gegangen, dass Moritz von Uslar in diesem Jahr zu uns gekommen ist. Andere Wünsche verrate ich mal lieber nicht.

sueddeutsche.de: Sie haben zahlreiche Prominente interviewt. Wer war denn nun der spannendste Gesprächspartner?

Amend: Eine schöne Erfahrung habe ich mit Thomas Gottschalk gemacht. Ich habe ihn während der Proben zu einer Folge von Wetten, dass ..? mehrere Tage begleitet und immer wieder längere Gespräche mit ihm geführt, in denen er auch überlegte, was wäre, wenn er denn aufhören würde. Als das Zeit Magazin mit der Geschichte erschien, gab es ab Donnerstagmorgen große Aufregung, was das nun bedeute. Am Nachmittag rief plötzlich Thomas Gottschalk aus Malibu an und erklärte die Geschichte für gut. Das fand ich richtig souverän.

sueddeutsche.de: Diese Souveränität hat man nicht immer bei Promiinterviews - und auch nicht das Individuelle.

Amend: Meine Lieblingsantwort bei Prominenten auf die Frage nach ihren Schwächen ist: Ungeduld. Denn in Wirklichkeit ist das ja überhaupt keine Schwäche.

Eine minutenlange Schockstarre

sueddeutsche.de: Wagen denn die Prominenten grundsätzlich immer weniger persönliche Antworten?

Amend: Wir leben in einer völlig anderen Medienwelt als vor 40 Jahren. Wenn heute ein Prominenter etwas Interessantes sagt, kann der Satz innerhalb von Minuten um die ganze Welt gehen. Und es gibt heutzutage Medientraining, Schulungen für Menschen, damit sie in der Öffentlichkeit nichts Falsches sagen...

sueddeutsche.de: ...und dann hat man sich endlich durch die Firewall an Agenten, Pressesprechern und so weiter gekämpft - und dann sagt ein Gesprächspartner Sätze wie "Am Set waren wir wie eine Familie".

Amend: Ja, oder: "Bei diesem Projekt ging es mir nicht ums Geldverdienen".

sueddeutsche.de: Diese Antworten haben Sie ja in Ihrem neuen Buch Sind Sie was Besonderes? zusammengetragen.

Amend: Sie ist entstanden aus einer Zeit-Magazin-Titelgeschichte, die auf große Resonanz gestoßen ist.

sueddeutsche.de: Wer ist denn unter Prominenten besonders einfallslos?

Amend: Junge Schauspieler, Sänger, Models haben es ja nicht leicht, und das meine ich frei von Ironie. Die Öffentlichkeit interessiert sich für sie, weil etwas darstellen oder singen können und meistens gut aussehen, und jetzt sitzen plötzlich in einem Hotelzimmer, geben Interviews im 20-Minuten-Takt. Ich fürchte, da würden viele von uns irgendwann nur noch Langweiliges von sich geben.

sueddeutsche.de: Mal ganz ehrlich, nicht nur die Interviewten können daneben liegen, sondern auch die Interviewer sind doof - und deren Fragen. Haben Sie ein Beispiel aus Ihrer Karriere?

Amend: Ich kann von einer Schockstarre berichten, aus der ich minutenlang nicht rauskam. Ich habe einmal gemeinsam mit Stephan Lebert Angela Merkel interviewt, das war ein paar Jahre, bevor sie Kanzlerin wurde. Sie legte als erstes ihre Armbanduhr vor sich und sagte streng: Wir haben jetzt 20 Minuten. Ausgemacht war natürlich ein längerer Zeitraum für das Gespräch. Daraufhin war ich so konsterniert, dass mir eine halbe Ewigkeit nichts mehr eingefallen ist. Gott sei Dank hat Stephan Lebert es sportlicher genommen, und ich konnte dann irgendwann miteinsteigen. Dazu kam, dass ich die ganze Zeit auf Merkels Fingernägel starren musste.

sueddeutsche.de: Was war das Besondere an Merkels Fingernägeln?

Amend: Sie sahen gestresst aus.

sueddeutsche.de: Gibt's denn etwas, worauf Sie besonders stolz sind?

Amend: Ein Glücksfall fällt mir ein: Als Karen Naundorf, eine freie Journalistin, uns aus Buenos Aires anrief und sagte, sie habe die Museumsdirektorin eines Filmmuseums kennengelernt, die behaupte, sie habe die als verschollen geglaubte Fassung des Films Metropolis gefunden. Ich dachte, entweder es sind die gefälschten Hitler-Tagebücher des Zeit Magazins, und wir sind unsere Jobs bald los - oder es ist wirklich eine Sensation. Wir haben das dann auf umständliche und aufwendige Art von Experten prüfen lassen. Die Geschichte stimmte, und als die mit dem gefundenen Material restaurierte Fassung auf der Berlinale in diesem Jahr Premiere hatte, haben wir uns schon sehr gefreut.

sueddeutsche.de: Was würden Sie sich denn für das Magazin noch wünschen?

Amend: Dass sich in 40 Jahren die Zeit-Magazin-Redaktion meldet und lustige Anekdoten von uns wissen will.

sueddeutsche.de: Liegt denn die Zukunft in Supplements von Zeitungen?

Amend: Das Magazin tut der Zeitung gut, es ergänzt das Angebot, das ist bei der Süddeutschen Zeitung nicht anders als bei der Zeit. Die Beliebtheit beider Magazine ist groß, die Zahlen beider Magazine sind gut, insofern gibt es keinen Grund, an ihnen zu zweifeln.

Christoph Amend, Matthias Stolz: Sind Sie was Besonderes? Knaur Verlag, 2010.

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