3sat-Dokumentation:Blicke aus dem KZ

Lesezeit: 3 Min.

Mutige KZ-Häftlinge riskierten ihr Leben und fotografierten mit versteckten Kameras, manche tarnten diese mit einer Zeitung. (Foto: Celine Bozon/ZDF)

Eine Doku widmet sich Fotografien aus Lagern, die Gefangene heimlich aufgenommen haben.

Von Hendrik Feindt

Von den Bildern aus den Konzentrationslagern der Nazis haben sich dem fotografischen Gedächtnis vor allem diese eingeprägt: die von der Ordnung der kargen Baracken und den auf nackten Böden und Bettstätten dort Gepferchten sowie die von den vielen Siechenden und den unzähligen Leichnamen, Opfer von Tötung und Misshandlung, verstreut auf ödem Gelände oder gar zuhauf im Vorwege ihrer Massenbestattung. Aufgenommen hatten diese Bilder bekanntlich die Befreier, Kameramänner der Alliierten. Es sind Tatort- und Tatopferfotografien, entstanden im unmittelbaren Nachhinein der Verbrechen.

Der französische Dokumentarfilmer Christophe Cognet hat die vergleichsweise sehr wenigen anderen im Blick: Bilder, die den vormaligen Alltag der Häftlinge zeigen, von ihnen selbst fotografiert, unter den Bedingungen ihrer umfassenden Entrechtung in den Lagern. Entrechtung, das hieß zugleich, dass sie bei jeder dieser Aufnahmen ein stetiges Risiko für Leib und Leben eingingen.

Über die von insgesamt sechs Inhaftierten in Auschwitz, Buchenwald und Dora-Mittelbau, in Dachau und Ravensbrück gefertigten Fotos berichtet Cognets Film, der unter dem Titel Blinden Schrittes im Rahmen des diesjährigen Holocaustgedenktags zur Erstausstrahlung kommt. Vorgestellt bereits auf der Berlinale vor zwei Jahren und gedreht in Vor-Corona-Zeiten im Sommer 2019, war mit ihm selben Jahres eine Buchpublikation des Autors beim französischen Verlag Éditions du Seuil einhergegangen. Das Buch ist hierzulande, beklagenswerterweise, in kaum einer Handvoll Bibliotheken präsent. Denn Cognets Buch - betitelt "Eclats" (was nur unzureichend mit "Lichtsplitter" zu übersetzen wäre) - erkundet auf mehr als 400 Seiten und mit fototheoretischem Rüstzeug bewaffnet weitaus umfassender den historischen Stellenwert seiner Belegstücke.

Bild im Bild: Das alte Motiv einer KZ-Baracke ist unter dem Wuchern der Bäume nicht mehr zu erkennen. (Foto: Celine Bozon/ZDF)

Doch dem Dokumentarfilm liegt eine andere Gewichtung zugrunde, da die Fotos auf den ersten Blick nüchtern erscheinen; mit wenigen Ausnahmen, etwa den drei polnischen Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück, die vor der Kamera ihrer Leidensgefährtin Joanna Szydłowska ihren Status als, wie sie es nannten, "Versuchskaninchen" demonstrierten. Aber wenn die Dachauer Aufnahmen des Gefangenen Rudolf Císař, eines ehemaligen Bibliothekars und zuletzt tschechischen Spions, Häftlinge vor den Krankenbaracken in sonntäglichem Licht porträtieren, so liege ihre Widerständigkeit, wie der Archivar der dortigen KZ-Gedenkstätte, Albert Knoll, kommentiert, weniger in dem auf den Fotos Gezeigten - als vielmehr in ihrer damaligen Illegalität. In dem Faktum, dass sie überhaupt gemacht wurden.

Wissenschaftler versuchen vor Ort, die Aufnahmeposition zu erschließen

Gleiches gilt für ein Foto des dortigen Krematoriums, das der französische Häftling Georges Angéli aufgenommen hatte: Dem Fotografen selbst war es nach dem Krieg so verstörend friedfertig vorgekommen, dass er eine Partie des Bildes mit mehreren Mitgefangenen, die im Angesichte des Schlots ein Sonnenbad auf der angelegenen Rasenrabatte nehmen, auf zahlreichen Abzügen wegretuschiert hatte. Christophe Cognet geht es daher, wie er im Gespräch betont, um die Rekonstruktion des jeweiligen "acte photographique", des fotografischen Vorgangs, der rein körperlich, physikalisch zu verstehen sei: als Lichtspur des Bildgegenstands vor der Kamera auf der chemischen Emulsion des Filmstreifens (ganz im Sinne von André Bazin und Roland Barthes) sowie als körperlicher Umgang des Bildermachers mit seinem Apparat.

Jeweils viele Minuten nehmen dann die Bemühungen des Dokumentarfilmers ein, im Zusammenspiel mit den Wissenschaftlern der Gedenkstätten die Aufnahmeposition der damals fotografierenden KZ-Gefangenen zu erschließen. Auch akustisch (dankenswerterweise verzichtet Cognet auf jede Hintergrundmusik) wollen die Gänge über das Gelände kaum enden, bis dass die Deckungsgleiche zwischen der originalen Aufnahme und der heutigen Örtlichkeit erreicht wird. Das Ergebnis der langwierigen Recherche: Viele Fotos waren ohne Blick durch den Sucher, gleichsam blind gemacht worden, die Kamera unter dem Arm versteckt oder in Wadenhöhe gehalten und durch den vornüber gebeugten Körper der Kontrolle etwaigen Wachpersonals entzogen.

Mit alten Fotos auf der Suche nach neuen Perspektiven und Zusammenhängen: Christophe Cognet (links) auf Recherche nach der verlorenen Zeit in Begleitung von Igor Bartoksik (rechts) vom Museum Auschwitz-Birkenau. (Foto: Celine Bozon/ZDF)

An letzter Stelle des Films stehen denn auch die vier mittlerweile hieratischen, aus gekippter Position gemachten Bilder aus Auschwitz-Birkenau. Alberto Errera, ein aus Griechenland deportiertes Mitglied des in den Gaskammern eingesetzten sogenannten "Sonderkommandos", hatte sie aufgenommen und die belichteten Filme seinerzeit dem polnischen Widerstand übergeben können. Cognet ist hier der Nachweis wichtig, dass ihre Zeugenschaft nicht allein auf dem Bildsujet von im Freien entkleideten Frauen und sodann von ebendort verbrennenden toten Körpern beruhe, sondern auf dem spezifischen Standpunkt der Aufnahme aus dem Gebäudeinneren: Der Fotograf habe sich genau dort befunden, wo zuvor die Ermordung durch Giftgas stattfand. Es ist dies eine Feststellung, die in ihrer technischen Faktizität nahezu anmaßend erscheint.

Der Titel von Cognets Film, im Original A pas aveugles, ist dem Roman "Mit blinde trit iber der erd" geschuldet. Ihn hatte, im Film ungenannt, Leïb Rochman geschrieben, ein hierzulande noch so gut wie unentdeckter jiddischer Autor, dem es 1942 gemeinsam mit seiner Ehefrau gelungen war, einem Arbeitslager in der Nähe von Majdanek zu entkommen und bis zur Befreiung in einem geheimen Versteck zu überleben.

"Blinden Schrittes", am Montag um 22.25 Uhr auf 3sat und bis zum 22. Februar in der Mediathek.

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