Wibke Bruhns über Willy Brandt:"Ich hatte den Mann exklusiv"

War Wibke Bruhns die Geliebte von Willy Brandt? In einer Zeit, in der Journalisten in vollen Lear-Jets um die Welt flogen, wurde sie als ZDF-Nachrichtensprecherin und Autorin bundesweit bekannt. Kaum eine Journalistin war mit ihrer Arbeit näher dran an der Bonner Republik und ihren Männern. Jetzt hat sie ihre Memoiren geschrieben - und die Wahrheit über den SPD-Kanzler.

Claudia Tieschky

Die Wibke-Bruhns-Story ist die Geschichte einer Journalistin, die als Vorkämpferin der Emanzipation berühmt wurde, weil sie am 12. Mai 1971 und von da an zwei Jahre lang beim ZDF Sätze vorlas, die man ihr auf einen Zettel geschrieben hatte, die dabei eine schwarze Brille und eine unspektakuläre - also im Fernsehen unübliche - Frisur trug, und von der lange das unschlagbare Gerücht umging, sie sei die Geliebte des SPD-Kanzlers Willy Brandt.

Wibke Bruhns und Willy Brandt

Bundeskanzler Willy Brandt (l.) begrüßt Werner Bruhns, den Ehemann von Wibke Bruhns, zum Kanzlerfest im Palais Schaumburg in Bonn am 20.06.1973.

(Foto: dpa)

Auf Willy Brandt kommen wir später, zunächst aber muss man sich ein junges Mädchen im Bendlerblock in Berlin vorstellen. 17, 18 Jahre alt, an diesem steinkalten Ort, an dem sich die Attentäter des 20. Juli gegen Adolf Hitler verschworen hatten. Gedenkveranstaltung in den fünfziger Jahren. Die Witwen, schwarz verschleiert und still. Auch Else Klamroth, von Geldsorgen geplagt, fünf Kinder hat sie durchzubringen. Vom Stolz der Bundesrepublik auf die Männer des 20. Juli ist die Rede, und das Mädchen denkt an die gut versorgten Witwen der Nazi-Richter, die den gelernten Kaufmann Hans Georg Klamroth wegen Hochverrats an den Galgen brachten. Den Zorn hält es plötzlich nicht mehr aus. Laut schimpfend verlässt es die Feierstunde, Tumult, Affront. Hat Wibke Bruhns, geborene Klamroth, hat die Stern-Journalistin und erste Frau, die im Fernsehen Nachrichten verlas - hat sie diese Wut je verlassen?

Ihr Buch Nachrichtenzeit, das an diesem Donnerstag erscheint, gibt darauf keine Antwort. Überhaupt ist man unschlüssig, ob es mehr verrät oder die Person eher verhüllt, die hier ihre "unfertigen Erinnerungen" aufschreibt. Sie war früh prominent, eine öffentliche Frau. Sie weiß, wie man sich versteckt. Als Kind besaß Wibke Bruhns das Talent, nach Belieben in Ohnmacht zu fallen. Sie nutzte es bei Bedarf angstfrei. Sie ist ja nicht blöd.

Bruhns, 73, wohnt im alten West-Berlin, sie ist eine große, schlanke Frau, hellrotes Wollkleid, knöchelhohe schwarze Stiefeletten. Nichts als Himmel über mir, hat sie in dem Buch über ihr Apartment geschrieben, und genauso ist es.

In Wirklichkeit hat der Sprecherjob sie angeödet. Sie hat 1972 mit atemberaubender Lässigkeit parallel für die SPD Wahlkampf gemacht. Die Politik hat sie viel mehr interessiert. Dafür zumindest, findet sie heute, waren "die Nachrichten natürlich ein Riesenvorteil. Jeder wusste, wer ich war."

Staatsbesuch in der Kanzler-Suite

Bruhns ist Profi, sie weiß, was sie in einem Buch wie diesem abliefern muss. Auch im Fernsehen wird die Welt sendefähig gemacht. Als Journalistin hat sie alles bespielt, Boulevard, Hörfunk, Filme, Talk (Drei vor Mitternacht, WDR). Nach dem Tod ihres Mannes 1977 zieht sie als Stern-Korrespondentin nach Israel und in die USA. Sie macht Anfang der Neunziger bei Vox Privatfernsehen und geht als Kulturchefin zum Sender ORB.

Der Ton in ihrem Buch ist das, was man flott nennt, mit gelegentlichen Schärfen. Alexander Kluge, bemerkt sie darin, habe Vox mit seinen "empörend schlechten Eigenproduktionen" gequält: "Sie vertrieben uns die wenigen Zuschauer ( . . .) Er machte so etwas am Fließband, es kostete schließlich nichts. Eine Kamera, eine Einstellung, fertig. Kluge fragte wortreich aus dem Off. Da Kluge ein Monopol hat (wieso eigentlich?), konnte er dieses Palaver überall senden, 180 Minuten die Woche."

Wenn man Wibke Bruhns fragt, ob sie die Wut aus dem Bendlerblock je verlassen hat, dann sagt sie, dass es tatsächlich lange gedauert habe. Erst mit Willy Brandt und seiner Politik sei für sie dieses Land, in dem sie lebte, dann doch erträglich geworden.

Was alle über sie zu wissen glauben, ist nicht wahr: Beim Staatsbesuch in Israel zieht der Bundeskanzler die junge Reporterin in den Fahrstuhl, sie geht zögernd mit in seine Suite, denn "ich hatte den Mann exklusiv". Brandt will einen Zuhörer. Auch hier ist sie ganz die Pressefrau, also enttäuscht: "Ich begriff schnell, dass ich nichts davon würde verwenden können." Nach eineinhalb Stunden küsst er sie "väterlich" auf die Wange, das Treffen ist beendet. Er wollte nur reden.

Sie sei, klärt sie auf, jahrelang verwechselt worden mit einer anderen Stern-Journalistin: Über die Beziehung zwischen Heli Ihlefeld und Brandt sprach man damals nicht, erst Brandts letzte Ehefrau, Brigitte Seebacher, machte sie schließlich öffentlich.

"Der Stern war damals ein richtig wichtiges Magazin"

Und sie selbst - hat sie ihn einfach nur so geliebt? Sie beantwortet diese Frage ohne Zögern und erstaunlich kühl. Sie sagt: "Ich konnte mit dem Mann eigentlich nichts anfangen. Als Mann hat er mich nicht interessiert, ich fand ihn schon verdammt spröde. Und immer meine Jagd nach zitierfähigen Sätzen. Es wäre ganz schön gewesen, wenn er mal einen von sich gegeben hätte. Er war langatmig, er schwänzelte immer in der deutschen Sprache herum." Fasziniert hat sie aber, was er ausgelöst hatte in der Bevölkerung, "wie da plötzlich die Bereitschaft, sich zu engagieren, entstand". Nie wieder danach habe es so eine Situation gegeben, ansteckend sei das gewesen. Rut Brandt nennt sie "Zauberfrau" - "Mein Gott, hab ich die gern gemocht."

Wibke Bruhns

"Die geballte Potenz eines solchen stinkreichen Blattes, die hat schon was", schwärmt Bruhns über den Stern der 1970er Jahre.

(Foto: dpa)

Gelegentlich, vor allem am Anfang, gibt das Buch einen Blick frei auf das vernachlässigte Mädchen Wibke, das herumgereicht wird, manchmal nur, um es sich irgendwo satt essen zu lassen; vor acht Jahren erschien Meines Vaters Land, ihre Wahrheitssuche über die lange nazibegeisterten Eltern. Nach Kriegsende will die Mutter nun die Familienfirma - Saatgut und Düngemittel - weiterführen, sie muss aufgeben und findet eine Anstellung an der deutschen Botschaft in Stockholm. Das Kind, Wibke, kommt erst ins Internat, dann folgt es nach Stockholm. Eine Familienidylle wird es nicht. "Kein Geld, das überschattete alles, bis ich endlich selbst verdiente", schreibt sie.

Von da an probiert sie sich aus, schlägt sich durch, eine junge Frau im Journalismus der Bonner Bundesrepublik und ihrer alten Männer. Bei der Bild-Zeitung, wo damals als Chefredakteur Karl-Heinz Hagen regierte, lernt sie kurze Sätze und die Maxime, "Boulevard hat nichts mit schlechten Manieren zu tun." Sie ist ein gutes Mädchen und glaubt das. Nachdem sie ihre beiden Töchter bekommen hat, geht sie 1974 vom ZDF zum Magazin Stern, weil sie als Print-Frau unabhängiger arbeiten kann. Wegen der Kinder, sagt sie, sei sie dann schließlich nicht ganz in die Politik gegangen. Als sie viel später zögert, ob sie sich in das Buchprojekt über ihren Vater stürzen soll, als sie sich fragt, ob das überhaupt einer verlegen wird, da sagt sie sich, "ich bin noch immer gedruckt worden". Das ist keine Behauptung, sondern Erfahrungswert.

Journalismus als Maschine

Geld verdient sie eine Weile auch gemeinsam mit Presseanwalt Heinrich Senfft. Beide gewannen viele Prozesse wegen der Gerüchte um Brandt. "Immer wenn es irgendwelche Zweideutigkeiten gab, haben wir richtig abgesahnt. Meistens ging es um das Collier." Kein Gefühl schwingt bei diesem Satz in der Stimme mit. Das Collier gehörte ohnehin nicht ihr, überhaupt war es nur eine Kette, die ein Sicherheitsmann in Brandts Bett gefunden hatte. Aber Collier klingt natürlich verruchter.

Die frühere Spiegel-Redakteurin Ursula Kosser hat in ihrem Buch Hammelsprünge (DuMont Buchverlag 2012) gerade mit der Männer-Republik abgerechnet. Sie schildert Ausgrenzung, Herabwürdigung und sexuelle Diskriminierung von Journalistinnen im politischen Bonn. Wibke Bruhns unterstützt heute die Initiative Pro-Quote, die für Medienbetriebe 30 Prozent Frauen in Führungspositionen fordert.

Erfahrungen wie Kosser hat sie nicht gemacht und glaubt allen Ernstes, mit dem Stern im Rücken wäre das nicht passiert. Sicherheitshalber schiebt sie nach: "Der Stern war damals ein richtig wichtiges Magazin." Es war vor dem Fiasko um die gefälschten Hitler-Tagebücher, also vor 1983. Bei Brandts Rücktritt ist das Hamburger Magazin mit 25 Kollegen dabei. "Das konnten die anderen nicht. Da machte es die Masse." Journalismus als Maschine.

Wahr ist, es geht nicht immer nur um Männer und Frauen, aber immer ums Geld, und im Journalismus besonders. Als 1975 deutsche Geiselnehmer die Stockholmer Botschaft besetzen, schickt der Stern ein Team hin, das zwei Lear-Jets füllt, um das zu covern. Bruhns ist auch dabei. "Die geballte Potenz eines solchen stinkreichen Blattes, die hat schon was", stellt sie fest und schwärmt jetzt doch ein bisschen: "Da konnte jemand von der Welt nicht mithalten, obwohl Springer auch nicht arm ist. Aber dieses Ranklotzen - damit konnte man wirklich schöne Geschichten machen."

Der berühmte Erich Kuby - diese Geschichte steht zwar nicht im Buch, aber weil Bruhns sie erzählt, muss man sie unbedingt weitersagen, schon damit die alten Zeiten nicht vergessen werden - Kuby wollte immer einen Flügel in seinem Hotelzimmer haben. Oder aber das Hotel musste neben einer Kirche liegen, wo eine Orgel war, die er spielen konnte. Hat er gekriegt, weiß Bruhns: "Er hat gute Geschichten gemacht."

Die Zeiten waren andere, der Journalismus war anders. Und Wibke Bruhns hat irgendwann verlernt, in Ohnmacht zu fallen.

Wibke Bruhns: Nachrichtenzeit. Meine unfertigen Erinnerungen. Droemer Verlag, 424 Seiten, 22,99 Euro.

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