TV-Kritik: Sissi:Die jährliche Kaiserin

Der Film "Sissi" war schicksalshaft für die deutsche Kinogeschichte, für seine Stars Romy Schneider und Karlheinz Böhm. Er ist, was man heutzutage Kult nennt. Und ein Meisterstück von Harmonie und Happiness, feelgood pur? Nicht doch.

Fritz Göttler

Ich bin doch keine Nihilistin, sagt das Mädchen entrüstet zu dem zappeligen Gendarmeriemajor, der sie vom Wagen des jungen Kaisers wegscheuchen will - er ist verantwortlich für die Sicherheit des jungen Mannes. Es ist ein hässlicher Verdacht, den er gegen sie hegt, wie sie da heftig an der jungkaiserlichen Uniform fummelt. Sie war am Ufer gestanden und wollte ihre Angelrute mit weitem Schwung auswerfen, dabei hat der Haken sich im Kragen verfangen, als der Kaiser im Wagen vorüberfuhr.

Sissi, Teil 2

Eigentlich sollte er ja die Schwester heiraten, aber dann pickt der junge Kaiser doch die Sissi heraus. Doch die Glücksgleichung geht nicht wirklich auf.

(Foto: Herzog-Filmverleih)

Es ist das Jahr 1853, eine unruhige, krisenanfällige, nervöse Zeit. Die alte Ordnung bröckelt, die auf dem Wiener Kongress noch einmal restauriert wurde, es gibt verstärkt antiautoritäres Denken, auch einige Revolutionsversuche in ganz Europa. Nervös ist die Stimmung, beinahe hektisch. Nihilismus, das steht für Staatsfeindlichkeit, Anarchie, Terrorismus. Eine Attacke, hatte der Major vermutet, der Haken im Uniformstoff, womöglich eine Bombe im Ranzen des Mädchens ...

Es ist eine schicksalshafte Begegnung, schicksalshaft für die deutsche Kinogeschichte und ihre Stars Romy Schneider und Karlheinz Böhm - die junge Prinzessin Elisabeth aus Possenhofen trifft den Kaiser Franz Joseph von Österreich, der gerade in Ischl weilt zum Geburtstagfeiern. Der Sissi-Kino-Mythos beginnt, eine sagenhafte Erfolgsgeschichte, auf den ersten Film, Sissi, folgen zwei Fortsetzungen in den nächsten Jahren, und es hätten noch einige mehr werden können, wenn es nach den Produzenten und dem Regisseur Ernst Marischka gegangen wäre.

Der Film ist das, was man heutzutage Kult nennt. Mit schöner Regelmäßigkeit zu sehen an den Festtagen, nachmittags oder abends, im Familienprogramm, fest in der Erinnerung der verschiedenen Generationen verankert. Bei jedem Wiedersehen kann man Entdeckungen machen - Sissis naive Neugier zum Beispiel im Telegraphenamt von Bad Ischl. Da gibt sie ein Telegramm auf an den Vater daheim, und sie ist ganz fasziniert von dem Drücker, den der nervöse alte Beamte hingebungsvoll tackern lässt, und von dem dünnen weißen Band, das sich durch den Apparat schlängelt und ihre Worte übermittelt. Haben Sie den Apparat gebaut, fragt sie, nein nein, erwidert der Beamte, erfunden hat ihn der Herr Morse und gebaut Carl von Siemens.

Ein Meisterstück von Harmonie und Happiness, feelgood pur? Nicht doch: Beim Wiedersehen muss man staunen, wie viele Brüche es in diesem Film gibt, wie unter der agfacolorbunten Operettenpracht ein traurig-schwarzer Untergrund hervorlugt. Das Märchen vom Dornröschen auf den Kopf gestellt, schreibt Georg Seeßlen, das sind viele Filme des deutschen Kinos in den Fünfzigern. Müde Männer, ohne Initiative, körperlich erschöpft und psychisch gebrochen durch den Druck des Naziregimes, den Krieg. Nun, nach dem Niedergang, herrscht das Nachkriegsmatriarchat - der Wiederaufbau, das deutsche Wirtschaftswunder ist zum großen Teil der Energie, der Dominanz der Frauen zu verdanken. Für Erlösung von Mutlosigkeit und Selbstzweifeln sorgen - im Kino zumindest - die jungen Mäderln, und am schönsten von ihnen tut das Romy Schneider.

Die böse Mutter, die Grausamkeit, der Krieg

In Sissi, so noch mal Georg Seeßlen, "ist sie das Mädchen, das in ein Land kommt, in dem die Männer in einen tiefen, traurigen Schlaf verfallen sind und in dem die böse Mutter mit strengem Regiment herrscht. Diese böse Mutter schreckt auch vor Grausamkeit und Krieg nicht zurück, und der schwache Sohn, der eigentlich ja ein Kaiser ist, kann nicht gegen sie auftreten. Da erscheint das Mädchen, es wirbelt durch die verwunschenen Schlösser, es gibt den Männern neue Kraft und den Mut, gegen die Herrschaft der bösen Mütter aufzustehen, wenn auch nicht ganz offen."

Für die Verwunschenheit dieser Welt sorgt der Kameramann Bruno Mondi, der bei der Ufa Veit Harlans Melodramen in sehnsuchtsvolles Licht getaucht hatte - Immensee, Opfergang, Kolberg - und nach dem Krieg ein paar Jahre für die Defa arbeitete. Die böse Mutter ist die Erzherzogin Sophie, die den Heiratsdeal einfädelt, allerdings ursprünglich mit Sissis Schwester Helene - das ist ein bitterer Jungmädchenmoment, wenn der junge Kaiser sie dann vor den Augen der Hofgesellschaft blamiert und sich die kleine Schwester rauspickt.

Nein, diese Glücksgleichung geht nicht wirklich auf an diesem Ende, das nicht nur happy ist. Die Schwiegermama darf sie natürlich nicht duzen, das strenge Hofzeremoniell muss gewahrt werden, unter allen Umständen. Man sieht nun Sissi mit dem berühmten langen, den ganzen Rücken hinabfallenden Haar. Sie verwandelt sich in die historische Figur, in die Ikone. Eine traurige Müdigkeit liegt auf ihrem Gesicht. Es ist auch die Müdigkeit der jungen Romy Schneider, die von ihrer Mutter und dem Stiefvater gemanagt und zu immer neuen Sissi-Projekten gedrängt wird. Aber Romy will eine richtige Schauspielerin werden und muss dazu mit der Familie brechen, sie geht nach Paris, mit dem Geliebten Alain Delon, begibt sich in die Obhut des Regisseurs Luchino Visconti. Startet ihre Weltkarriere.

Karlheinz Böhm wird 1960 den Peeping Tom spielen, einen mörderischen Voyeur, im gleichnamigen Film von Michael Powell. Der Film wurde in England als absolut widerlich verrissen und beendete die Karriere seines Regisseurs. Heute gilt er als Meisterwerk des modernen Kinos. Eine Ahnung vom Untergang des alten Kinos, des klassischen Unterhaltungsfilms ist in Sissi immer wieder zu spüren. Davon unberührt bleibt nur eine einzige Figur, Sissis Vater, der Herzog Max, verkörpert von Gustav Knuth, in seinem Schloss in Possenhofen. Er eröffnet den Film, man sieht ihn in der Früh am Ufer seines Sees angeln. Zwei seiner Söhne landen bei den Turbulenzen dabei im Wasser und kommen pitschpatschnass zum Weißwurstfrühstück. Was für ein angenehm unwürdiger Vater.

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