Pressefreiheit in der Türkei:Türkei will 136 Webseiten sperren

Pressefreiheit in der Türkei: Journalistin Nadire Mater gehört zu den Gründern von Bianet.

Journalistin Nadire Mater gehört zu den Gründern von Bianet.

(Foto: Murat Bayram/Bianet)
  • Aus einer vom Portal Bianet veröffentlichen Richteranordnung geht hervor, dass 136 Webadressen in der Türkei gesperrt werden sollen, darunter Social-Media-Konten von oppositionellen Politikern, Künstlern und linken Medien.
  • Außerdem könnten bald auch Netflix-Inhalte zensiert werden - zum Beispiel, wenn alkoholische Getränke zu sehen sind.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Dreißig Jahre gab es in der Türkei die Zeitung Zaman , im Juli 2016 wurde sie per Gerichtsbeschluss geschlossen, und alle Spuren im Internet, das doch eigentlich nichts vergisst, wurden getilgt. Zaman hatte zeitweise die höchste Auflage aller türkischen Tageszeitungen, hinter dem Blatt stand das inzwischen zerschlagene Medienimperium des Predigers Fethullah Gülen, den Präsident Recep Tayyip Erdoğan für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Heute geben Erdoğans Anhänger nicht einmal mehr zu, dass sie die konservative Zeitung gelesen haben, und sollte jemand noch mal nachschauen wollen, was dort eigentlich stand, er wird es nicht mehr finden: die digitalen Archive sind gelöscht, alles weg.

Nun fürchtet das eher linke, regierungskritische Webportal Bianet, dass es ihm genauso gehen könnte. Nur zufällig erfuhren die Macher der in drei Sprachen - Türkisch, Kurdisch, Englisch - publizierten Nachrichtenwebseite, dass ein Richter in Ankara schon im Juli beschlossen hat, den Zugang zu Bianet zu sperren. Am Mittwoch war die Seite noch zugänglich. Dort hieß es, man wisse auch nicht, wann die Anordnung umgesetzt werde. Und gegen diesen "massiven Angriff auf die Pressefreiheit" werde man mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen.

Betroffen sind Accounts von Politikern, Künstlern und linken Medien

Aus der von Bianet veröffentlichen Richteranordnung geht hervor, dass insgesamt 136 Webadressen zur Sperrung anstünden, darunter Twitter, Instagram- und Facebook-Konten von oppositionellen Politikern, Künstlern und linken Medien. Dazu gehört auch der Twitteraccount, der den Strafprozess gegen Künstler und Akademiker begleitet, die derzeit im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 angeklagt sind. Die Sperrungen habe das Generalkommando der Gendarmerie beantragt, hieß es. Die ist in der Türkei gewöhnlich für die Sicherheit außerhalb von Großstädten zuständig.

Bianet entstand Ende der Neunzigerjahre. Zu den Gründern gehört die Journalistin Nadire Mater, einst Vertreterin von Reporter ohne Grenzen (ROG) in der Türkei. Als Unterstützer fungiert auch die EU, über ihre Mediterrane Partnerschaftsinitiative. Seit November 2003 ist die Webseite mit der internationalen Agentur IPS verbunden. Deren Fokus liegt auf den Themen Umwelt, Menschenrechte, ziviles Engagement. Etwa 200 000 Artikel hat Bianet nach eigenen Angaben bislang veröffentlicht - und damit auch im digitalen Archiv. ROG nannte die Anordnung "vollkommen willkürlich" und forderte die Justiz in der Türkei auf, sie zu korrigieren.

Erst vor wenigen Tagen hatte die staatliche Rundfunkaufsicht in Ankara auf ihrer Webseite bekannt gemacht, dass künftig sowohl nationale als auch internationale digitale Medien in der Türkei einer besonderen Kontrolle unterstellt würden. Nach dem teilweise noch unklaren Regelwerk sollen an die Provider "Lizenzen" vergeben werden. Sendungen könnten zudem überwacht werden, wie dies bereits bei den TV-Kanälen geschieht. Dort sieht man immer wieder gepixelte Bilder, zum Beispiel, wenn Leute Alkohol trinken, oder hört bisweilen Pfeiftöne über Dialogen. "Wir könnten auch auf Netflix bald gepixelte Bilder oder zensierte Konversationen erleben", sagte Ilhan Taşcı, ein Mitglied des Aufsichtsgremiums. Betroffen könnten auch türkischsprachige Programme ausländischer Sender sein, zum Beispiel der Deutschen Welle. Oder türkische Internetsender wie Medyascope. Der wurde von Journalisten gegründet, die ihre Jobs bei den inzwischen überwiegend regierungsnahen großen Medien verloren haben. Sie bilden bislang eine regierungskritische Alternative.

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