"Tote Mädchen lügen nicht" auf Netflix:Schuld aus der Sicht der Täter

Lesezeit: 2 min

Jessica (Alisha Boe) ist wie Hannah vergewaltigt worden. (Foto: Beth Dubber/Netflix)

Ein Suizid und die Folgen: Die zweite Staffel von "Tote Mädchen lügen nicht" beginnt fünf Monate nach Hannahs Tod. Diesmal sprechen aber die Beschuldigten.

Von Kathrin Hollmer

Ein tätowiertes Semikolon bedeutet, dass jemand etwas überwunden hat. Dass es weitergeht, so wie ein Strichpunkt in einem Satz heißt, dass er noch nicht zu Ende ist. Clay, der in der ersten Staffel der Netflix-Serie Tote Mädchen lügen nicht seine Freundin Hannah verloren hat, lässt sich eines stechen. Mittendrin kippt er vom Tätowierstuhl. Es wird nur ein Komma. "Das bedeutet eine Pause", sagt seine Begleiterin.

Die zweite Staffel beginnt fünf Monate nach Hannahs Suizid. Clay (Dylan Minnette) und ihre Freunde haben ihn noch nicht verarbeitet. Ihre Eltern verklagen die Schulbehörde, weil sie eine Mobbingkultur toleriert und ihre Obhutspflicht verletzt hat. Die Verhandlung bildet den Rahmen der neuen Folgen. Bisher kannte man Hannahs Version der Geschichte. Auf 13 Kassettenseiten hat sie aufgenommen, was sie in den Suizid getrieben hat: Mobbing, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung. Jede Seite war einer anderen Person gewidmet. Nun kommen die Beschuldigten zu Wort: als Zeugen vor Gericht und Erzählstimme der jeweiligen Folge.

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Auch wenn man in der neuen Staffel nur wenig Neues erfährt, vervollständigen diese Perspektiven das Bild, auch von Hannah (Katherine Langford), und bieten erzählerische Abwechslung. Clay findet außerdem Polaroid-Fotos mit Hinweisen, dass Hannah und Jessica, die beide vom Baseball-Teamkapitän Bryce vergewaltigt worden sind, nicht die einzigen Opfer eines Systems sind, in dem Stärkere ihre Macht missbrauchen und ihre Opfer schweigen. Mehr noch als um die Schuld der Schule geht es darum, ob Bryce bestraft wird und Opfer sich trauen, Anzeige zu erstatten. Hannah selbst erscheint Clay in Tagträumen und verlangt, dass er alles aufklärt.

Im vergangenen Jahr kritisierten Gesundheits- und Suizidpräventionsorganisationen die erste Staffel, vor allem wegen der expliziten Darstellung von sexueller Gewalt und Hannahs Suizid. Netflix reagierte mit diversen Warnhinweisen. Die 13 neuen Folgen kommen gleich mit Gebrauchsanweisung. Vor der ersten Episode warnen vier Darsteller vor Triggern. "Solltest du selbst mit den angesprochenen Problemen zu tun haben, ist das hier vielleicht nicht das Richtige für dich", sagt Alisha Boe (Jessica). Vor zwei Folgen wird vor der Darstellung sexueller Gewalt und von Waffengebrauch gewarnt, zum Bonusmaterial gehört ein Video über einvernehmlichen Sex.

An der ersten Staffel gab es viel Kritik, die zweite ist pädagogischer

Die sehr gute erste Staffel nahm Jugendliche ernst und beschönigte nichts, die neue ist pädagogischer. Immer wieder verlässt sie die Teenager-Innensicht, um Hannah nicht als Heldin wirken zu lassen und um einen Ausweg aufzuzeigen. Für die neuen Folgen gibt es keine Romanvorlage von Jay Asher mehr, dennoch ist es eine würdige Fortsetzung, aktueller denn je. In einer Gerichtsszene berichten Frauen verschiedener Generationen von ihren Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt - #Metoo in der Highschool, der Disco, der Kanzlei. Mit dem Außenseiter Tyler, der am Ende der ersten Staffel Schusswaffen versteckt hat, deutet sich eine neue Eskalation an. Erst am Freitag wurden bei einem Amoklauf an einer Schule im texanischen Santa Fe zehn Menschen getötet.

Tote Mädchen lügen nicht, bei Netflix*

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Von den SZ-Fernsehkritikern

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© SZ vom 22.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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