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Black Earth Rising - Netflix

Sauber kommt keiner davon: Michaela Coel und John Goodman in Black Earth Rising.

(Foto: Netflix)

Ein großer moralischer Kampf: Netflix zeigt eine anspruchsvolle Serie über den Bürgerkrieg in Ruanda, die die Gewissheiten des Publikums immer wieder hinterfragt.

Von Benedikt Frank

Noch bevor der Vorspann läuft, wirft Black Earth Rising den Zuschauer mitten in einen moralischen Boxkampf. Was ihr neokolonialistischer Bullshit soll, fragt ein Student im Publikum die renommierte Anwältin Eve Ashby bei einem Podiumsgespräch. Sie verfolgt Menschenrechtsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof, aber ausschließlich Afrikaner, sagt der Student. Kurz darauf erfährt man, dass ihre Adoptivtochter Kate als Tutsi Überlebende des Völkermordes in Ruanda ist. Nach einem Suizidversuch und einer Therapie scheint sie sich wieder im Griff zu haben, da eröffnet ihr die Mutter, dass sie eine neue Anklage anstrebt, ausgerechnet gegen den ruandischen General, der den Genozid gestoppt hatte und den Kate deshalb als Helden sieht. Doch noch während man sich auf ein Drama um die Beziehung von Mutter und Tochter einstellt, endet der Prozess brutal.

Regisseur und Autor Hugo Blick ist seit seiner mehrfach für den Emmy nominierten Serie The Honourable Woman ein Name für politische Thriller. Der Vorgänger spielte im Nahostkonflikt, zu dem heute fast jeder eine Meinung hat. Der Bürgerkrieg in Ruanda hingegen, während dessen 1994 binnen knapp 100 Tagen bis zu eine Million Menschen ermordet wurden, ist viel weniger im öffentlichen Bewusstsein verankert. Wer kann schon, ohne zu googeln, das aktuelle ruandische Staatsoberhaupt nennen? In der Serie ist es kontrafaktisch eine Frau. Blick nimmt keine Rücksicht darauf, dass durchschnittliche Europäer nicht allzu vertraut mit der Thematik sein dürften, und spinnt seine Geschichte rasant weiter.

Entsprechend unübersichtlich ist Black Earth Rising bisweilen. Als wolle Blick, dass Zuschauer die vergessene reale Geschichte zu seiner Fiktion selbst recherchieren. Erinnerungslücken gibt es auch bei der Hauptfigur Kate. Sie kennt weder ihre biologischen Eltern noch ihren ursprünglichen Namen, in Animationsfilm-Sequenzen erscheint fragmenthaft das Massaker, dem sie entkommen ist. Bei ihren Ermittlungen gerät sie in einen Strudel aus Intrigen und politischem Kalkül. Die Serie ist hochmoralisch, lässt aber keinen der Protagonisten sauber davonkommen.

Selbst an der Aufarbeitung des Völkermords Interessierte taktieren und hüten Geheimnisse. Kates Kampf mit Gegnern, die sich gegen ihr Vorhaben verschworen haben, wie auch mit sich selbst, ihrer Psyche und ihrer Identität, spielt Michaela Coel bemerkenswert. Ebenfalls stark steht John Goodman an ihrer Seite als befreundeter Anwalt, Mentor, Vaterfigur und kaum weniger mit persönlichen Problemen belastet.

Die Koproduktion von BBC Two und Netflix mutet dem Publikum vieles zu. Sie balanciert immer wieder auf der Grenze zur Überforderung, überschreitet diese hier und da und sammelt die Zuschauer erst spät mit Erklärungen wieder ein. Wer sich darauf einlässt, bekommt eine sehr dichte, fesselnde Erzählung zu sehen, die nach acht Folgen und Stunden auch wirklich ein Ende findet, statt einen mit Blick auf mögliche Fortsetzungen wie beim Cliffhanger zappeln zu lassen.

Black Earth Rising, auf Netflix*

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