Interview am Morgen: Radikalisierung im Netz:"Mit gefestigten Rechtsextremisten treten wir nicht mehr in Kontakt"

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Jugendliche vor einem Laptop

(Foto: imago)

Cornelia Heyken ist "Digital Streetworkerin". Sie versucht, junge Menschen im Netz zu erreichen, bevor die sich radikalisieren. Zum Beispiel in Foren für Hausaufgaben.

Interview von Janne Knödler

Bei all dem Schönen und Nützlichen, das das Internet kann, kann es eines leider auch gut: radikalisieren. Weil die Zeit, die der Nutzer auf einer Plattform verbringt, deren Geld ist, zeigen Algorithmen immer extremere und aufmerksamkeitserregendere Inhalte. Inzwischen haben die meisten Plattformen ein Heer von Content-Moderatoren, um Inhalte zu löschen und Accounts zu sperren. Ein anderer Ansatz will die Nutzer dieser Portale vor Radikalisierung bewahren. Digital Streetwork versucht, Jugendliche in Foren abzuholen und mit ihnen in Dialog zu treten. Cornelia Heyken leitet das Projekt "debate" der Amadeu Antonio Stiftung.

SZ: Was ist Digital Streetwork?

Cornelia Heyken: Digital Streetwork ist Präventionsarbeit. Die Idee ist es, die Methoden und Ansätze der Jugendsozialarbeit auf den digitalen Raum zu übertragen. Als Pädagogen und Sozialarbeiter bewegen wir uns in sozialen Netzwerken, um dort mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu interagieren, die mit rechtsradikalen Inhalten konfrontiert sind. Die Interaktion passiert dann auf zwei Ebenen: One-to-One, also in Privatnachrichten, und One-To-Many, indem wir eigene Beiträge in Foren oder Kommentarspalten posten.

Wer soll angesprochen werden?

Menschen, die wir mit unserer Arbeit noch abholen können. Wir machen Prävention auf den ersten beiden Stufen der Radikalisierung: Die erste ist Empowerment, also das Ermutigen zu einer reflektierten Auseinandersetzung. Und zweitens sprechen wir Jugendliche an, die sich in Hinwendungsprozessen befinden, deren Beiträge also bereits bestimmte Schlagworte oder Tendenzen beinhalten. Beiträge mit zum Beispiel diffamierenden oder pauschalisierenden Inhalten, die oft auch die immer gleichen Themen behandeln. Mit gefestigten Rechtsextremisten aber treten wir nicht mehr in Kontakt, das ist dann Aufgabe der Ausstiegsarbeit.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Wie stellt man fest, ob jemand bereits ein "gefestigter Rechtsextremist" ist?

Meist ist schon nach der ersten Interaktion klar, ob die andere Person wirklich an einem Austausch interessiert ist. Wenn jemand uns zum Beispiel eine vierseitige Antwort schickt, in der seine Überzeugungen so ausformuliert sind, dass sie auf ein geschlossenes Weltbild hindeuten, wissen wir, dass das nicht produktiv werden wird.

Falls das Gegenüber noch kein Fall für die Ausstiegsarbeit ist: Wie läuft eine Kontaktaufnahme ab?

Seit dem Start des Projektes 2015 haben wir das immer mal wieder verändert. Wir haben auf Facebook angefangen und mit unserem Profil junge Leute angeschrieben, die uns in Kommentarspalten aufgefallen sind. Dieses Durchforsten der Kommentarspalten war allerdings extrem aufwendig - und die Rücklaufquote gering. Inzwischen sind junge Leute auf Facebook außerdem gar nicht mehr so aktiv, deshalb sind wir hauptsächlich auf gutefrage.net unterwegs. Dort posten wir in Foren Richtigstellungen und Gegendarstellungen und ermutigen Jugendliche, mit uns in Kontakt zu treten.

Welche Foren haben Sie besonders im Blick?

Schüler nutzen häufig die Hausaufgabenforen des Portals. Für unsere Arbeit besonders interessant war es, wenn es im Hausaufgabenforum um Geschichtshausaufgaben ging. Eine Diskussion dort fängt oft mit einer ganz unverfänglichen Frage an und geht schnell in eine kritische Richtung, zum Beispiel, wenn falsche Informationen verbreitet werden, oder jemand sich auf zweifelhafte Quellen bezieht. Über unser Partnerprojekt "dehate", das zu rechtsextremistischen Netzwerken forscht, wussten wir auch, dass es in Discord-Channels, einer Chatplattform, die häufig von neurechten Akteuren genutzt wird, Aufrufe gab, die Community in den Hausaufgabenforen "aufzumischen".

Interview am Morgen: Radikalisierung im Netz: Cornelia Heyken arbeitet als Digital Streetworkin am Projekt "debate" der Amadeu Antonio Stiftung.

Cornelia Heyken arbeitet als Digital Streetworkin am Projekt "debate" der Amadeu Antonio Stiftung.

(Foto: privat)

Bitte?

So ganz buchstäblich ist das natürlich nicht möglich - das Moderationsteam würde sonst wohl eingreifen und Beiträge entfernen. Es wird da wird dann lieber durch die Hintertür plötzlich über die Legitimität der NPD geredet.

Und, wie aufgeschlossen sind die Jugendlichen?

Dadurch, dass wir uns auf die Kontakte beschränkten, die wirklich reden wollten: sehr! Meistens gingen die Gespräche über mehrere Monate und es war schön, zu hören, dass man jemanden zum Nachdenken gebracht hat. Natürlich braucht man, um das langfristig und verlässlich zu machen, ganz andere Ressourcen. Jemanden, der sowohl aus einem pädagogischen Kontext kommt, als auch digitalversiert ist und die verschiedenen rechten Kommunikationsmethoden kennt und entschlüsseln kann. Aber dann ist da doch einiges möglich.

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