Murdoch und das "Wall Street Journal":Starker Tobak

Was ist mit dem "Wall Street Journal" los? Statt sich einfach herauszuhalten, verspielt die renommierte Zeitung im "News of the World"-Skandal ihren guten Ruf: Kritik an ihrem Besitzer Rupert Murdoch wird zum Angriff auf die Pressefreiheit umgedeutet.

Nikolaus Piper, New York

Die Meinungsseiten des Wall Street Journal waren schon immer eine Welt für sich: streng getrennt vom Rest der Zeitung und so weit rechts, dass manche Reporter mit den Editorialists am liebsten gar nichts zu tun haben wollten. An dieser Trennung änderte sich auch nicht viel, als Rupert Murdoch die Zeitung im Dezember 2007 für fünf Milliarden Dollar von der zerstrittenen Familie Bancroft kaufte.

Oder vielleicht doch? Am Montag jedenfalls erschien das Journal mit einem ungezeichneten Leitartikel, den man als große Presseerklärung des Managements zum Skandal um News of the World lesen kann. Etwas Vergleichbares hat es, soweit feststellbar, noch nie gegeben in der 122-jährigen Geschichte des Blattes. Zentraler Satz darin: "Politiker und Konkurrenten benutzen den Abhörskandal, der sich vor Jahren in einer britischen Ecke von News Corp ereignete, um das Journal anzugreifen und vielleicht die Pressefreiheit im Allgemeinen zu beschädigen." Kritik an Rupert Murdoch als Angriff auf die Pressefreiheit? Das ist selbst nach den Maßstäben rechter Medien in Amerika starker Tobak.

Der Leitartikel hat zumindest eines erreicht: Das Journal als das mit Abstand angesehenste Druckerzeugnis aus Murdochs Reich wurde in den Skandal hineingezogen. Am Freitag war Lesley Hinton als Geschäftsführer von Dow Jones, der Muttergesellschaft des Journal, zurückgetreten, nicht wegen irgendwelcher Verfehlungen im Amt, sondern weil er zur Zeit der Abhöraktionen Murdochs Statthalter in London gewesen war. Der Leitartikel vom Montag gibt dem Rücktritt, ungewollt möglicherweise, erst das richtige Gewicht. Dabei muss man zwischen den Zeilen lesen: Der Autor beklagt die "Selbstgerechtigkeit" und die "Schadenfreude" der Konkurrenten und ideologischen Gegner des Journal. Eine Institution greift er dabei besonders an: die Recherche-Website "ProPublica".

Die gemeinnützige Organisation hatte zuvor mit Christopher Bancroft gesprochen, einem der früheren Eigentümer des Journal. Er hätte dem Verkauf 2007 nie zugestimmt, hätte er gewusst, welche Praktiken es im Hause Murdoch gibt, sagte Bancroft. Dazu muss man wissen, dass der Gründer von ProPublica Paul Steiger ist, von 1991 bis 2007 hoch geachteter Chefredakteur des Journal. In dem Leitartikel wurde also auch mit der Vergangenheit der Zeitung abgerechnet.

Der Linke vom Dienst ist wieder verschwunden

Womit die Frage auftaucht: Was hat Rupert Murdoch seit 2007 aus dem Wall Street Journal gemacht. Die Zeitung sei "foxifiziert" worden, schrieb Joe Nocera am Samstag in der New York Times. Will sagen: Er passte die Zeitung an die niedrigen Standards seiner Senderfamilie Fox an: stark in der Ideologie und schwach in der Recherche. Fairerweise muss man zugeben, dass das Bild ein wenig differenzierter ist.

Zunächst das Positive: Murdoch hat trotz Zeitungskrise in sein Blatt investiert. Es macht angeblich Gewinne und ist mit einer Auflage von 2,1 Millionen Exemplaren unbestritten die größte Zeitung der Vereinigten Staaten. Die New York Times folgt mit 916 000 nach USA Today an dritter Stelle. Auch der von vielen befürchtete ideologische Durchmarsch blieb nach 2007 erst einmal aus. Im Gegenteil: Die Meinungsseiten wurden unter dem von Murdoch eingesetzten Chefredakteur Robert Thomsen sogar ein wenig offener. Der liberale Journalist Thomas Frank wurde als Linker vom Dienst mit einer festen Kolumne engagiert. Während der Finanzkrise war das Journal eine verlässliche und hoch aktuelle Informationsquelle.

Und doch hat sich Grundlegendes geändert bei der Zeitung. Rein äußerlich wurde das Journal konventioneller: kürzere Artikel, weniger Wirtschaftsthemen, dafür mehr Buntes und Flaches. Fast unmerklich nehmen im Hauptteil Geschichten mit klarer republikanischer Tendenz zu. Der Liberale Thomas Frank ist wieder verschwunden. Man weiß bisher nichts über eindeutig politisch motivierte Eingriffe von Murdoch oder Chefredakteur Robert Thomson in den Redaktionsalltag. Aber es gebe, so stellte der New Yorker fest, eine Art "vorwegnehmender Selbstzensur" der Redakteure. Eine Folge ist ein regelrechter Exodus angesehener Journalisten.

Und dann der Umgang mit dem Skandal selber. Auffallend war, dass das Journal über die Vorgänge in London erst mit Verzögerung reagierte. Dann brachte die Zeitung ein, nach deren früheren Maßstäben, ungewöhnlich braves Interview mit Murdoch selbst, das dieser ausführlich zur Selbstrechtfertigung nutzte. Die nächstliegende Frage: "Herr Murdoch, wann haben Sie eigentlich zuerst von den Praktiken Ihrer Reporter erfahren?", wurde gar nicht erst gestellt.

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