Journalismus in Afghanistan:Warlords herrschen im TV

Afghanistan besitzt heute 150 Radiosender und 30 Fernsehkanäle. Der Journalismus ist nach dem Ende der Taliban völlig neu entstanden. Doch welche Freiheit hat er? Und welchen Manipulationsversuchen sind Reporter ausgesetzt?

Marian Brehmer

Als die Talibanherrschaft vor einem Jahrzehnt stürzte, endete eine jahrelange Grabesruhe der afghanischen Medienlandschaft. So viel Bescheidenheit im internationalen Militäreinsatz jetzt nach zehn Jahren angebracht ist - am Aufbau der Presse engagieren sich im ganzen Land recht dynamische Medienmacher. Auf dem 2010 veröffentlichten Pressefreiheitsindex von "Reporter ohne Grenzen" rangierte Afghanistan - immerhin - deutlich vor seinen Nachbarn Pakistan und Iran.

Journalismus in Afghanistan: Jahrelang war Frauen das Arbeiten untersagt. Traditionelle Strukturen engen Journalistinnen aber nach wie vor ein - und die prekäre Sicherheitslage.

Jahrelang war Frauen das Arbeiten untersagt. Traditionelle Strukturen engen Journalistinnen aber nach wie vor ein - und die prekäre Sicherheitslage. 

(Foto: Berouz Mehri/AFP)

Während vor 2001 nur der Taliban-Rundfunk mit dem programmatischen Namen Stimme der Scharia existierte, hat das Land nun 150 Radiosender. Radio ist das am weitesten verbreitete Medium in Afghanistan, wo Analphabetismus ein großer Faktor ist und Printmedien eher eine geringe Auflage besitzen.

Humaira Habib aus Herat steht an der Spitze des lokalen Senders Radio Sahar, der ausschließlich von Frauen geführt wird und Aufklärungsarbeit zu gesellschaftlichen Themen leistet. "Sahar" bedeutet Morgendämmerung. Es war wirklich ein Tagesanbruch, als Radio Sahar 2003 auf Sendung ging. Jahrelang war Frauen das Arbeiten untersagt und sie waren auf die eigenen vier Wände beschränkt. Bei Radio Sahar werden sie stark gemacht. Traditionelle Strukturen engen Journalistinnen aber nach wie vor ein. Journalismus wird nicht als passender Job für eine Frau angesehen, viele Familien sind deshalb dagegen.

Zudem macht die Sicherheitslage eine normale journalistische Arbeit unmöglich. "Frauen arbeiten nur in der Redaktion in Herat. Für uns ist es viel zu gefährlich, draußen in der Provinz zu recherchieren", sagte Habib in der vorigen Woche auf einem deutsch-afghanischen Medienseminar in Bonn. Organisiert hat das Treffen der Verband entwicklungspolitischer deutscher Nichtregierungsorganisationen Venro und das Journalists Network für junge Reporter.

Journalisten in Afghanistan stehen nicht nur unter dem Druck der Taliban, sondern auch der Warlords. Jene Milizenführer, die im Krieg gegen die Sowjets zu Macht und Reichtum kamen, stecken bis zum Hals in einer breiten Palette krimineller Aktivitäten wie dem lukrativen Drogenhandel. Zugleich haben sie ihre eigenen Medien eröffnet. Der Fernsehkanal Ayna TV beispielsweise gehört dem einflussreichen Warlord und General Abdul Raschid Dostum.

In Afghanistans Medienlandschaft haben sie heute große Präsenz. "Die Hälfte der 30 Fernsehsender in Afghanistan wird von Warlords betrieben", sagt Danish Karokhel, Leiter der privaten Nachrichtenagentur Pajhwok und Preisträger des Press Freedom Awards, der jährlich vom Committee to Protect Journalists vergeben wird. Danishs Leben war lange vom Krieg bestimmt. Als er sieben Jahre alt war, wurde sein Vater im Sowjetkrieg getötet. Die schier endlose Reihe von Konflikten in Afghanistan trieb ihn ins pakistanische Exil, den Wunsch, Journalist zu werden, hatte er schon immer.

Meist zu hohe Opferzahlen

Pajhwok liefert Nachrichten an die meisten afghanischen Medien und hat sich durch Zuverlässigkeit und Qualität einen Namen gemacht. Doch auch Karokhels Arbeit ist nicht immer einfach. "Oft fehlt es uns an verlässlichen Informationen, das macht die Recherche schwierig", sagt Karokhel. Er gibt das Beispiel eines Terroranschlags. Wie soll man da die Opferzahl ermitteln? Die Regierungsbehörden gäben bei Anfrage zumeist gar keine Antwort, nur die Taliban meldeten sich schnell zu Wort. "Wir bekommen dann einen Anruf in der Redaktion und kriegen eine Zahl gesagt. Meistens ist die viel zu hoch", sagt Karokhel.

Auch die Isaf sei in ihrer Informationspolitik nicht viel hilfreicher. Denn auch die ausländischen Truppen wollen nach Karokhels Erfahrung manipulieren. Nicht selten versuche die Isaf, zivile Opfer bei Militärschlägen zu vertuschen. "Sie sagen uns dann, die Attacke sei von Taliban ausgeführt worden", berichtet Karokhel und deutet damit auch an, wie hart die Wahrheit umkämpft ist in Afghanistan.

Karokhel selbst hat bereits drei seiner Mitarbeiter verloren. Einer von ihnen wurde von Talibankämpfern, einer von Warlords und einer von der Nato umgebracht. Das zeigt, von wie vielen Seiten afghanische Journalisten gefährdet und unter Druck gesetzt werden.

Die Attacken der Aufständischen haben nur ein Ziel. "Sie wollen unser Humankapital zerstören", meint Shahir Zahine, Leiter der Kilid-Mediengruppe. Shahir Zahine spricht mit einer dröhnenden Bassstimme. Für Zahine steckt die Presse seiner Heimat noch in den Anfängen. "Das größte Medium in Afghanistan ist nach wie vor das Freitagsgebet der Mullahs", sagt Zahine. Er hatte sogar schon einmal die Idee, eine Wochenzeitung für Mullahs zu gründen.

Auch Selbstzensur ist bei den Journalisten weit verbreitet, konservative Sensibilitäten in der Gesellschaft bestimmen, was geschrieben werden darf und was nicht. Und zudem ist das Überleben qualitativ hochwertiger Medien am Hindukusch auch eine Sache des Geldes, das oft fehlt. Und schließlich: Passt die Unabhängigkeit eines Mediums zur Finanzierung durch einen Warlord? Auch ein verlässliches Pressegesetz und Trainingsinstitute für Journalisten fehlen noch.

Enayat Najafizada aus Masar-i-Scharif, mit 23 der jüngste afghanische Journalist in Bonn, ist dennoch zuversichtlich. "Die Leidenschaft der neuen afghanischen Journalisten ist großartig. Ich sehe eine gute Zukunft vor uns", sagt er. Doch man sollte ihn besser nicht auf die Bonner Außenministerkonferenz ansprechen. Die ist nämlich für Najafizada zunächst erst einmal nichts weiter als eine große Show, sagt er. Auch seine Kollegen bei dem Treffen in Bonn sind sehr zurückhaltend mit der Hoffnung, dass sich an ihrer Realität zu Hause dadurch etwas bewegen wird.

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