Medien in Hongkong:Neue Leser für jeden Tiefschlag

Demonstration in Hongkong - Schweigemarsch für Pressefreiheit

Medien werden von Peking-freundlichen Unternehmern aufgekauft, Redaktionen unter Druck gesetzt, Journalisten an ihrer Arbeit gehindert - aber auch Proteste für die Pressefreiheit reißen in Hongkong nicht ab.

(Foto: Kin Cheung/dpa)
  • Trotz zunehmender Einschränkung der Pressefreiheit und Drohgebärden seitens der Politik berichtet die Hong Kong Free Press kritisch und unabhängig.
  • Gegründet wurde die Online-Zeitung vom Briten Tom Grundy, der ursprünglich nach Hongkong gekommen war, um Englisch zu lehren.
  • Inzwischen berichtet das fünfköpfige Team von Hong Kong Free Press täglich über die politische und gesellschaftliche Lage in der Stadt, 2018 sammelte die Zeitung mehr als 220 000 Euro Spenden ein.

Von Lea Deuber, Hongkong

Mit Schutzhelmen, Gasmasken und neongelben Warnwesten sind Journalisten an diesem Nachmittag in die Pressekonferenz der Hongkonger Polizei gekommen. Zu diesem Zeitpunkt ist ein Tag vergangen, seitdem die Einsatzkräfte die Straßen der Metropole gewaltsam geräumt haben. Aufnahmen zeigen, wie rigoros sie dabei auch gegen Journalisten vorgingen. Gezielt schossen sie ihnen Tränengas ins Gesicht, jagten sie durch die Menge. Ein paar Wochen ist das inzwischen her. Die Proteste sind seitdem nicht abgebrochen. Immer wieder ziehen Zehntausende durch die Straßen. Auch gegen die Gewalt gegen Journalisten.

Will man verstehen, was in diesen Tagen in Hongkong geschieht, muss man in den Stadtteil Aberdeen im Süden der Insel fahren. Im Eingang eines Bürogebäudes, das unter britischer Kolonialzeit noch eine Fabrik war, hängt ein unscheinbares Schild. Darauf steht der Name Hong Kong Free Press. Vor einer Weile ist die Redaktion der Onlinezeitung in den Coworking-Space eingezogen. Der Betreiber lässt sie dort zu einem vergünstigten Preis arbeiten. Die Redaktion besteht aus einem einzigen Holztisch. Dort sitzt an diesem Vormittag der Gründer und Chefredakteur Tom Grundy.

Ein Spendenaufruf im Netz soll 17 000 Euro erbringen. Am Ende kommt das Vierfache zusammen

Wann der Journalist sich genau entschied, dass sich etwas ändern muss in seinem Hongkong, das kann der 36-Jährige selbst nicht mehr sagen. Es war irgendwann im Herbst 2014, irgendwo im Zentrum der Finanzmetropole. Hunderttausende besetzten damals über Wochen die Innenstadt, sie protestierten für mehr Freiheit in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Grundy war damals selbst als freier Journalist in den Straßen unterwegs. Neben seinem Job als Lehrer berichtete er für internationale Medien. "Ich hatte damals das Gefühl, dass die existierende Berichterstattung über die Ereignisse in Hongkong nicht mehr die ganze Geschichte erzählte", sagt Grundy heute.

Der Brite stammt aus der Nähe von Birmingham. Er hat Journalismus studiert, konnte sich danach aber nicht leisten, unbezahlte Praktika zu machen, mit der vagen Hoffnung, später einen Job in London zu ergattern. Stattdessen ging er als Englischlehrer nach Hongkong, um die Schulden aus seinem Studium abzuzahlen. Geld für seine Idee einer unabhängigen Nachrichtenseite hatte er im Frühjahr 2015 nicht. Dafür ein Konzept. Nachdem die Proteste aufgelöst worden waren und die Stadt zur Normalität zurückgekehrt war, startete Grundy einen Spendenaufruf im Internet. Er bat um 17 000 Euro als Startkapital. Nach zwei Tagen hatte er die Summe zusammen. Am Ende spendeten Unterstützer mehr als viermal so viel.

Inzwischen berichtet das fünfköpfige Team von Hong Kong Free Press täglich über die politische und gesellschaftliche Lage in der Stadt. Bei Ereignissen wie den Massenprotesten in diesen Wochen gilt das englischsprachige Medium als eine der verlässlichsten Quellen. Nur wenige Publikationen werden im Ausland häufiger zitiert. Seit der Gründung im Juni 2015 wurde die Seite über 34 Millionen Mal angesteuert. Das Team hat 85 000 Follower bei Facebook und 95 000 bei Twitter. 5000 Abonnenten lesen den wöchentlichen Newsletter - ein Plus von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die meisten Leser sind zwischen 25 und 34 Jahre alt.

Grundy selbst hat nie in einer anderen Redaktion als in seiner eigenen gearbeitet. "Ehrlich, ich wusste anfangs nicht, was ich tue", sagt er. Auch deshalb arbeitet das Team womöglich heute so, wie es das eben tut: ohne Hierarchie, ohne Chefsessel. Alle Themenideen werden zusammen besprochen, Artikel werden gegenseitig korrigiert, finanzielle Entscheidungen gemeinsam getroffen. Wenn jemand eine Idee hat, darf er sie ausprobieren. Bei der Gedenkfeier zum 30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers übersetzte ein Kollege live die Ansprachen aus dem Kantonesischen ins Englische. Das erste Mal, seit die jährliche Gedenkfeier im Hongkonger Victoria Park stattfindet.

Bereits im Gründungsjahr schrieb die Zeitung schwarze Zahlen. Danach machte sie ein paar Tausend Euro minus. 2017 erwirtschaftete das Blatt schon ein Plus von 50 000 Euro. Allein 2018 spendeten Leser mehr als 220 000 Euro. Einmal im Jahr gibt Grundy einen Finanzbericht heraus. Jede Ausgabe - ob für den Drucker oder das Bankkonto - wird darin aufgelistet. Die Redaktion verdient Geld mit Onlinewerbung, eigenen Veranstaltungen und Spenden. "Wir haben gelernt, dass es keine Wunderwaffe beim Spendensammeln gibt", sagt Grundy. Es gibt monatliche Unterstützer und Einmalzahler. Manche Leser zahlen per Scheck, andere mit Bitcoin. Seit Kurzem kann man auch Kleingeld an Münzsammelmaschinen spenden, die in der Stadt aufgestellt sind. Ein Mal brachte ein Leser einen Lottoschein mit einem Gewinn über 60 Euro. Im Schnitt gibt jeder Spender 112 Euro. Solange die Redaktion ihre Unabhängigkeit bewahren könne, ist für Grundy alles okay.

Viele Menschen in Hongkong und im Ausland sind bereit zu zahlen, weil das Team bietet, was es in Hongkong kaum noch gibt: freie Berichterstattung. Hongkong war einst eine Insel der Freiheit in Asien. Vor der Übergabe der ehemaligen Kronkolonie an Festlandchina garantierten die Briten weitestgehende Meinungs- und Pressefreiheit. In dem Wissen, dass eine freie Presse langfristig auch gut für die Wirtschaft in der Finanzmetropole ist. Das hat sich allerdings seit der Übergabe an China geändert. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist die Stadt um 25 Plätze beim weltweiten Ranking zur Lage der Pressefreiheit abgerutscht, welche die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" einmal im Jahr veröffentlicht. Die Stadt liegt inzwischen auf Platz 73 - hinter der Elfenbeinküste, der Mongolei und Tunesien.

Bei der Mutter des Chefredakteurs tauchen Leute aus dem prochinesischen Lager auf

China weitet seinen Einfluss auf Hongkong systematisch aus. Die Stadt soll eigentlich bis 2047 als eine chinesische Sonderverwaltungszone einen Sonderstatus genießen. Medien werden aber von prochinesischen Unternehmern aufgekauft, Redaktionen unter Druck gesetzt und Journalisten an ihrer Arbeit gehindert. Vor China-kritischen Redaktionen wie Apple Daily wird regelmäßig von pro-chinesischen Demonstranten protestiert. Diese werden meist von chinesischer Seite bezahlt. Redakteure werden auf der Straße von Männern in Zivil verfolgt oder bekommen Schweineköpfe per Post geschickt. Anfang des Monats verwüsteten vier Vermummte die Radiostation Citizens' Radio und zerstörten die Studios des unabhängigen Mediums. Ein weiterer Tiefpunkt war die De-facto-Ausweisung eines Journalisten der britischen Financial Times im Oktober, dessen Arbeitsvisum die Hongkonger Behörden nicht verlängern wollten. Er hatte für den Klub der Auslandsjournalisten in der Stadt eine Veranstaltung mit einem Vertreter einer Splitterpartei organisiert, die die Unabhängigkeit der Stadt fordert. In Hongkong nannten viele die Entscheidung "den Tod Hongkongs".

Auch das Team um Grundy steht unter Druck. Im November mussten sie eine Veranstaltung mit einem chinesisch-australischen Künstler absagen, nachdem die chinesische Regierung die Redaktion vor möglichen Konsequenzen gewarnt hatte. "Wir hätten seine Sicherheit nicht garantieren können", sagt Grundy. Um den Chefredakteur einzuschüchtern, sind Menschen aus dem prochinesischen Lager schon bei seiner Mutter in Großbritannien aufgetaucht. Eine Tatsache, die Grundy eher nebenbei erzählt. Da jeder in dem Coworking-Space spazieren kann, lagert er die Finanzunterlagen und Material, in dem mögliche Informanten erwähnt werden, inzwischen zu Hause. Ansonsten macht er einfach so weiter wie in den vergangenen vier Jahren.

Die Lage in Hongkong hilft dem Team sogar: "Bei jedem neuen Tiefschlag spenden unsere Leser", sagt Grundy. "Und wir haben gelernt, im richtigen Moment zu fragen." Das heißt vor allem nach großen Recherchen, aufwendigen Artikelserien und nun während der Massenproteste. Ihr ursprüngliches Ziel für ihre diesjährige Finanzierungsrunde über 130 000 Euro haben sie bereits um 30 000 Euro erhöht, weil weit vor der Deadline mehr Geld gespendet wurde. Im März hat die Redaktion zudem eine Förderung durch die Google News Initiative gewonnen. Mit dem Geld will Grundy eine Plattform entwickeln, um es Onlineseiten wie seiner zu erleichtern, Geld einzusammeln. Dadurch soll die Abhängigkeit von teuren Drittanbieter-Plattformen geringer werden. Zielgruppe sind Redaktionen in Asien und Ländern, in denen die Lage wie in Hongkong ist: ein wachsender Einfluss Chinas und damit ein steigender Druck auf unabhängige Journalisten. Orte, an denen die Freiheit schwindet.

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