Neue Zeichentrickserie auf Netflix:Matt Groenings beste Bohne

Disenchantment Netflix  Matt Groening Simpsons

Prinzessin Bean mit Elfo, der das Unglück sucht, und Luci (l.), ihrem persönlichen Dämon.

(Foto: dpa)
  • Simpsons-Erfinder Matt Groening hat seine erste Netflix-Serie geschaffen.
  • Disenchantment zeigt das Mittelalter aus Sicht einer dem Alkohol zugeneigten Prinzessin, mit liebenswerten Figuren und einem fantastischen Klezmer-Jazz-Soundtrack.
  • Die Serie setzt zwar auf viel Bewährtes - aber das auf höchstem Niveau.

Von Wolfgang Luef

Wer in Hollywood eine neue Serie pitchen will, der müsse sein Konzept nur als "so ähnlich wie die Simpsons" oder als "so ähnlich wie Game of Thrones" verkaufen - in beiden Fällen bekomme er den Zuschlag. Das hat Matt Groening, Comiczeichner und Erfinder der Simpsons, vor Kurzem in einem Interview gesagt. Und wenig später stellt derselbe Groening sein neues Werk vor: Disenchantment, eine Serie, die wie eine Parodie auf Game of Thrones im Universum der Simpsons wirkt. Setzt Groening also auf die sicherste Karte? Auf ein Konzept, bei dem nichts schiefgehen kann? Ja und nein.

Die Hauptfigur der Serie ist Bean, eine 19-jährige Prinzessin mit schneeweißem Haar, die lieber in der Taverne rumhängt, Bier trinkt und Poker spielt, als daheim auf dem Hof Prinzessinnendinge zu tun. Wenn Bean nach einer Sauftour auf der Straße umkippt, landet sie auch mal versehentlich in der Pestgrube der Stadt. Als ihr Vater, der dicke, dümmliche König, sie mit einem noch dümmlicheren Prinzen vermählen will, weigert sie sich und kämpft fortan Folge für Folge für ihre Freiheit und ihr Recht auf Glück. Begleitet wird sie von zwei antagonistischen Sidekicks. Da ist einerseits Elfo, der sich aus seiner Heimat davongestohlen hat auf der Suche nach seinem Recht auf Unglück. Als sein Gegenstück fungiert Luci, ein kettenrauchender, pechschwarzer Dämon, der aus zunächst undurchsichtigen Gründen den Auftrag bekommen hat, die Prinzessin zu quälen, sich aber sehr schnell zum Freund und Begleiter entwickelt. Passanten halten den zynischen Gesellen oft für ein schwarzes Kätzchen, während Priester versuchen, ihn der Prinzessin auszutreiben. Der fünfminütige Exorzismus in Folge drei ist der vielleicht lustigste der Fernsehgeschichte.

Die erste Staffel von Disenchantment mit zehn Folgen ist ab diesem Freitag bei Netflix verfügbar. Nach den Simpsons und Futurama ist es das dritte Serienprojekt Groenings und sein erstes im nicht linearen Fernsehen, mit der Möglichkeit, eine Geschichte über viele Episoden hinweg langsam auszubreiten. Dieses Potenzial nutzt Disenchantment kaum. Doch Groening macht es sich auch nicht so leicht, nur die beiden erfolgreichsten Serien der letzten Jahre zu kombinieren. Im Gegenteil sind Anspielungen auf Game of Thrones selten. Die mittelalterliche Welt ist viel näher am England von Filmen wie Ritter der Kokosnuss oder Jabberwocky. Mit den Simpsons hingegen hat Disenchantment neben dem typischen Zeichenstrich Groenings (Glubschaugen, kleine Nasen, große Überbisse) vor allem eines gemeinsam: seine Humorfarbe. Das ist eine ganze Menge, und sowohl die Stärke als auch der Fluch der Serie.

Unterhaltsame Zeichentrick-Sitcom mit liebenswerten Figuren

Für Bean und ihre Begleiter sind die ersten Folgen ein einziger Höllenritt. Bräutigam Nummer eins kommt auf brutale Weise auf einem Thron aus Schwertern ums Leben, Bräutigam Nummer zwei wird in ein Schwein verwandelt. Neue Bedrohungen, lebensverändernde Schicksalsschläge, Subplots und Running Gags entstehen und vergehen im Minutentakt. Dass dem Zuschauer der Atem wegbleibt, ist gewollt: Man wird überrollt von popkulturellen Referenzen, Anspielungen auf Filme, Serien, Computerspiele, man kann die abgefeuerten genretypischen Klischees kaum zählen. In einem Moment ist Disenchantment ein Coming-of-Age-Drama, dann plötzlich ein ziemlich brutaler Western, im nächsten Augenblick eine dämliche Romantic Comedy. Die besten Gags erwischen einen unvorbereitet, sie übernehmen den Plot aus dem Hintergrund.

Ein Beispiel aus Folge fünf: Bean hat einen Nebenjob als Scharfrichterin der Stadt angenommen, sie soll eine verwirrte alte Frau als Hexe zum Richtblock führen und mit der Axt köpfen. Bean hadert und zögert, sie fleht die alte Frau an, sich für ihre Taten zu entschuldigen oder wenigstens irgendeine Emotion zu zeigen. In einer quälend langen Einstellung hebt sie ihre Axt mit beiden Armen über den Kopf, dramatische Musik, der Zuschauer wartet gebannt darauf, ob sie es tun wird. Dann sagt aus dem Hintergrund einer der Zaungäste der Hinrichtung einen einzigen Satz, der das gesamte Geschehen regelrecht aushebelt, in der Sekunde umdeutet und ihm jegliche Bedrohung nimmt. Vom Höhepunkt des Suspense gelangt Groening mit einem Fingerschnippen in eine unglaublich komische Szene - nur durch eine neue Perspektive auf ein und dasselbe Bild. Es gibt wohl keinen zweiten Trickfilmer, der das so gut beherrscht wie er.

Und da ist man gleichzeitig auch beim Problem der Serie: Sie vereint all das, was die Simpsons seit mehr als zwei Jahrzehnten zu einer großartigen Serie macht, doch sie fügt dem erprobten Konzept des anarchistischen Erzählens auf höchstem Niveau nichts Neues hinzu. Zumindest in den ersten sieben Folgen, die Netflix vorab für Rezensionen zur Verfügung gestellt hat, gibt es keine nennenswerte überwölbende Geschichte. Bean wird ins Kloster geschickt - und kommt verlässlich zum Ende der Folge zurück. Bean zettelt aus Versehen einen Krieg an, davon ist eine Episode später keine Rede mehr. Die Figuren können sich dadurch nur sehr langsam entwickeln, wenn überhaupt. Denn wer sich nicht an die eigenen Erfolge und Fehler erinnert, der kann nichts aus ihnen lernen.

Am schlimmsten trifft es Elfo: Der kleine grüne Geselle sucht nicht sein Glück, denn davon hat er im zuckrigen Elfenland, wo alle andauernd Süßigkeiten essen und gut gelaunt sind, wahrlich genug gehabt. Er flieht und sucht sein Unglück. Doch dieses Thema taucht im Lauf der Serie nicht noch einmal auf. Weder er noch die Autoren können sich später überhaupt noch daran erinnern, dass Elfo in Folge eins eine Freundin hat, die er zurücklässt; er steht später als ewiger Single da, der aus lauter Scham eine angebliche Freundin erfinden muss.

Trost findet man, wenn man sich die erste Staffel der Simpsons in Erinnerung ruft. Auch damals war vieles, was die Serie später so großartig machte, bestenfalls im Keim angelegt. Ausgearbeitet und zur Perfektion gebracht wurde es erst Jahre später. Doch selbst wenn das hier nicht gelingen sollte, bleibt Disenchantment eine unterhaltsame Zeichentrick-Sitcom mit liebenswerten Figuren und einem fantastischen Klezmer-Jazz-Soundtrack. Es könnte einer Neuerscheinung Schlimmeres passieren, als dass sie den direkten Vergleich mit der erfolgreichsten Zeichentrickserie der Welt knapp verliert. Selbst dann, wenn sie von Matt Groening stammt.

Disenchantment, bei Netflix*

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