"Das Supertalent" bei RTL:"Starte mit einem Erdbeben..."

'Das Supertalent'

Die "Das Supertalent"-Jury: Bruce Darnell, Guido Maria Kretschmer, Lena Gercke, Dieter Bohlen (von links).

(Foto: dpa)

Zum Start der siebten Staffel des "Supertalents" sieht es so aus, als hätte RTL aus Fehlern gelernt. Der Sender verkneift sich Effekte, scheint die Zuschauer der Castingshow ein bisschen ernster zu nehmen. Doch wie will sich die Sendung noch steigern, wenn Dieter Bohlen schon in der ersten Folge weint?

Eine TV-Kritik von Hans Hoff

Gutes Fernsehen schafft Illusion und macht dem Zuschauer etwas weis, das er vorher für völlig unmöglich gehalten hat. Etwa den Umstand, dass auch ein Dieter Bohlen Gefühle hat, die über die handelsüblichen Steigerungsformen "megamäßig" und "Hammer" hinausgehen. Bohlen kann auch mal ein Tränchen verdrücken. Jawoll!

Das hat am Samstag die erste Ausgabe der siebten Staffel von "Das Supertalent" behauptet, und für Sekundenbruchteile war man als Zuschauer tatsächlich geneigt, zu glauben, was man da sah und ein wenig Mitgefühl zu entwickeln mit dem Veteranen des schlechten Schlagers. Dass man das Ganze nach der Sendung als kalkulierte Emotionsvortäuschung entlarven konnte, spielte dabei keine Rolle. Beim Fernsehen gilt das Jetzt und damit ganz besonders die Fußballerdevise "Wichtig is aufm Platz."

Im Jahr eins nach dem Ausstieg von Juror Thomas Gottschalk deutet beim "Supertalent" vieles darauf hin, dass die Macher aus Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Sie verkneifen sich inzwischen meist die früher als Standard eingeführten Entfärbungen und Verlangsamungen des Bildes. Die sollten früher Spannung erzeugen, wurden aber so inflationär eingesetzt, dass selbst der letzte Depp irgendwann merken konnte, dass RTL nun aber seine volle Aufmerksamkeit einforderte.

Chef bleibt Bohlen

Da wurden überschaubare Sätze zu endlosen Stottereien zerhackt, wurden Bemerkungen in Wiederholungsschleifen geschickt und zerdehnt bis zur Unerträglichkeit. Völlig wurscht war den Machern dabei die ursprüngliche Chronologie. Was bei den Aufzeichnungen vor Ort zu sehen war, schnibbelte man hinterher nach Belieben zusammen und verkaufte den Zuschauer damit sehr offensichtlich für dumm.

Nun hat man angesichts bröckelnder Quoten wohl auch bei RTL gemerkt, dass es hilft, das Publikum ein bisschen ernster zunehmen. Nur noch die ständig wechselnden Kleider der Jurymitglieder weisen darauf hin, dass für die neun Castingshows immer noch geschnibbelt und zusammengestoppelt wird, inzwischen aber nur noch in einem Maße, das nach den Erfahrungen der ersten sechs Staffeln durchaus erträglich scheint.

Auch bei der Auswahl der Jury hat man sehr offensichtlich dazu gelernt. Zurück ist die Gefühlsschleuder Bruce Darnell, die immer noch ihren kompletten Emotionshaushalt außerhalb ihres Körpers erledigt und sich für keinen Kasperleauftritt zu schade ist. Auf dem Platz des Blondchens im Richterkreis sitzt nun das Model Lena Gercke und erweist sich als Gewinn. Sie redet klar und sachlich, was man von ihren Vorgängerinnen Sylvie van der Vaart, Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker nicht durchweg behaupten konnte.

Als vierter im Bunde hockt nun der Designer Guido Maria Kretschmer in der Jury. Den kann man aus dem Vox-Format "Shopping Queen" kennen, allerdings fällt auf, dass er beim "Supertalent" seinen gelegentlich nach Kegelklub klingenden Spötterton ein wenig aus der Prollszene befreit hat und nun den Intellektuellen im erlauchten Kreis geben soll, was ab und an ganz gut gelingt.

Gerührt, nicht geschüttelt

Natürlich sind die drei nur Angestellte des großen Bohlen. Der bleibt nach wie vor der Chef vom Ganzen und fällt vor allem dadurch auf, dass er sehr penetrant die Hemden seines Werbepartners trägt. Kaum eine Szene, in der nicht zu sehen ist, wer Bohlen die Klamotten stellt. Selbst Kandidaten stellen sich inzwischen darauf ein und tragen dieselbe Marke. Ob das aus Kalkül oder Unbedarftheit geschieht, ist wurscht. Für Bohlen bieten sie natürlich die ideale Möglichkeit, seinen Ausstatter noch einmal zu nennen. Wer das Schleichwerbung nennt, hat keine Ahnung. Von Schleich kann da keine Rede mehr sein.

Den Hemdenausstatter vergisst man allerdings, als ein Siebzigjähriger mit Klarinette die Bühne betritt. Bohlen sieht ihn, springt auf und geht ihn drücken. Es ist der Mann, der einst als erster geglaubt hat, dass aus dem jungen Dieter ein erfolgreicher Musikerdarsteller werden könnte. Bei dieser Gelegenheit können die Macher von RTL dann die Trickkiste doch nicht mehr zuhalten. Noch einmal setzen sie die Zeitlupe ein, und auch die Wiederholungsschleife wird erneut gebunden.

Ist ja auch zu schön, den selbsternannten Titanen mit Träne im Augenwinkel zu sehen, auch wenn man das kleine Feuchtgebiet zwischen den harten Zügen des Meisters schon ein Weile suchen muss. Bohlen ist sichtlich gerührt. Nicht geschüttelt. Das merkt man später, als er rasch wieder professionell wird. Immerhin reicht die Rührung aber so weit, dass sie das durchaus übersichtlich inspirierende Klarinettenspiel des Bohlen-Entdeckers in die nächste Runde befördert. Jeder andere wäre mit dem Vortrag gescheitert.

"Ich bin ein armer sensibler Junge aus Oldenburg"

Ohnehin ist die Jury bei dieser Staffelpremiere eher von der milden Sorte. Sie vergibt sehr viel Lob und zeigt sich oft ergriffen. Sie belobigt zwei Artisten, die mit gestählten Körpern die Schwerkraft vergessen machen, zeigt sich beinahe kindlich begeistert, als zwei Motocrossfahrer durch die Luft wirbeln und dabei abenteuerliche Stunts probieren, und auch eine Dreijährige, die eigentlich nichts weiter kann, als zwei vorbereitete Zaubertricks ordentlich anzusagen, kommt in die nächste Runde. Wer könnte auch einer Dreijährigen den Erfolg verwehren. Da wissen die Juroren sehr genau, dass eine Ablehnung ihnen Buhrufe einbringen würde, und daher entsenden sie den Knirps glücklich zurück in die Arme der offenbar sehr ambitionierten Eltern. So läuft es halt im Showgeschäft.

Natürlich hat RTL in die Show auch Versager eingebaut, die üblichen Selbstüberschätzer. Damit man die gleich erkennt, redet der Backstagemoderator Daniel Hartwich vorher mit den Kandidaten sehr spöttisch. Rasch bleibt kein Zweifel, dass diese Menschen gleich über ihre eigene Hybris stolpern werden. Eine ziemlich furchterregende Sängerin, die Tierlaute in ihren Vortrag einbaut, wird rasch weggebuzzert und bekommt von Bohlen noch einen seiner eher milden Standardsprüche rein gedrückt. "Für dich sollte es rote Rosen regnen - aber mit Vasen", ätzt er, der immer häufiger wie die Parodie seiner selbst wirkt. Besonders deutlich wirkt das, wenn er so tut, als gefalle ihm die Rolle des Scharfrichters nicht. "Ich bin ein armer sensibler Junge aus Oldenburg", jammert er dann, und keiner glaubt es.

Solche Momente schaden der Gesamtinszenierung indes nur wenig, weshalb "Das Supertalent" als Wochenendpanoptikum durchaus an alte Erfolge anknüpfen kann. Offen bleibt nur die Frage, wie man sich in den kommenden Wochen noch steigern kann, wenn Bohlen schon in der ersten Folge weint. Aber nicht ohne Grund lautet eine alte Showregel "Starte mit einem Erdbeben und steigere dich dann langsam." Das Erdbeben hat der Sender hinbekommen, auf die Steigerung darf man gespannt sein.

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