"Buzzfeed" und "The Information":Digitale Trendsetter

Die Website "Buzzfeed" erzielt mit absurden Listen und geklauten Bildern große Reichweiten und finanziert damit Investigativrecherchen. Das Start-up "The Information" setzt hingegen auf Fakten gegen Geld. Beides funktioniert prächtig.

Von Johannes Boie

Jetzt mal sechs Dinge, an denen der Journalismus als solcher derzeit zu nagen hat: 1. Zu keiner Zeit hätte Journalismus bunter, digitaler, besser, erklärender sein können als heute, wenn nicht - 2. - das Geld so knapp wäre. 3. Alle finden toll, was Journalisten machen, aber nur wenige wollen bislang im Netz dafür bezahlen. 4. Lustige Bilder mit süßen Tieren gucken sich online dauernd alle an, kluge Reportagen nur manchmal einige. 5. Werbung im Netz ist viel billiger zu haben als in der gedruckten Zeitung. 6. Mit Listen wie dieser holt die Webseite Buzzfeed Millionen Leser jeden Tag, aber wenn man in der Zeitung eine Liste statt einen Text schreibt, halten einen alle für bescheuert.

Alle, außer Scott Lamb. Dreitagebart, kurze Haare, Hornbrille, die Grundausstattung für den digitalen Trendsetter. "Sollen wir nach Deutschland kommen?", fragt Lamb, extrem wacher Blick, sehr freundlich "wird Buzzfeed hier funktionieren?" Ja, ähh, nein, aber wer interviewt hier eigentlich wen? Lamb pfeift auf die Regeln. Buzzfeed, wo er als Vizepräsident für internationales Wachstum zuständig ist, hat schon weit mehr umgekrempelt als diesen Interviewversuch auf der Münchner Digitalmesse DLD. Zum Beispiel die Medienbranche in den USA.

Bilder von süßen Tieren

Buzzfeed, das steht für vieles, was alte, etablierte Medien eher nicht machen. Zusammengeklaute Bilder aus dem Netz, neu aneinander gereiht. Bilder von süßen Tieren und verdammt viele Listen: "21 Corgis, die dich, was für ein Hintern' sagen lassen", "27 Anzeichen dafür, dass du in Wahrheit zur Hunderasse Shiba Inu gehörst", "10 Fakten über den Super Bowl, die du kennen solltest" und so weiter und so fort.

Am unangenehmsten für die etablierten Medien sind aber - und das geht jetzt noch mal im Buzzfeed-Jargon - die folgenden drei Punkte: 1. Buzzfeed ist komplett kostenlos, verdient aber Geld mit Werbung, und zwar mit Werbung, die die Firma für Werbekunden selbst herstellt, und die verdammt ähnlich aussieht, wie der Rest der Internetseite. Außerdem sammelt das Startup ordentlich reiche Financiers.

Ernste Themen von Investigativjournalisten

2. Die Listen werden von Millionen Lesern wie irre angeklickt. 3. Buzzfeed hat neben dem ganzen Unsinn auch sehr gute, lange Texte zu sehr ernsten Themen, geschrieben von Investigativjournalisten wie dem mittlerweile verstorbenen Michael Hastings, die Buzzfeed für viel Geld von anderen Medienhäusern abwirbt. So kommen dann auch Geschichten zustande wie jene, in der anonyme Pentagon-Mitarbeiter dem Whistleblower Edward Snowden drohen, ihm "liebend gerne eine Kugel in den Kopf schießen zu wollen." Ein Text wie dieser würde auch der New York Times gut stehen. Und Buzzfeed investiert in mehr Reporter und mehr Büros. Von den 400 Angestellten sind 175 Journalisten.

Buzzfeed, 2006 von dem Huffington Post-Gründer Jonah Peretti ins Leben gerufen, steht also auch für teures, exklusives Nachrichtenmaterial, das gelesen wird, weil die Trash-Umgebung, in der es präsentiert wird, sehr viele Leser anzieht. Dabei zeigt Buzzfeed nebenbei, dass manche Vorurteile über das Netz nicht stimmen. Eine extrem lange Geschichte über einen jungen Mann, der ausgerechnet im verfallenden Detroit ein Haus gekauft und renoviert hat, riefen die Leser über eine Million Mal auf, viele auf ihren Smartphones. Soll noch einmal jemand sagen, lange Geschichten hätten im Netz oder auf kleinen Bildschirmen keine Chance.

Die Zukunft des Journalismus

Nur zwei Räume neben Scott Lamb sitzt in München eine schlanke, elegant gekleidete Dame. Lambs Visitenkarte ist dünn, orange, im Hochformat bedruckt und hinten drauf ist ein kleines "OMG", Buzzfeed-Nerd-Nuller-Jahre-Sprache für "Oh mein Gott". Die Visitenkarte der Dame ist mindestens aus 600 Gramm-Karton und trägt neben dem Namen "Jessica E. Lessin" vor allem ein dezentes Logo, das sorgfältig eingeprägt ist. Lamb und Lessin haben nur eins gemeinsam: Sie halten sich beide für die Zukunft des Journalismus.

Lessin hat keine Millionen Leser. Sie hat keinen Unsinn auf ihrer Seite. Stattdessen: Information. Und so heißt ihr Startup auch: "The Information". Schlicht, klein und teuer, zumindest nach den Maßstäben des Netzes. 399 Dollar muss zahlen, wer lesen will, was Lessins Team aus fünf Festangestellten und drei Freelancern schreibt, oder wenigstens 39 Dollar im Monat.

Ihre Zielgruppe sind Geschäftsleute, die aus ihren Branchen einerseits die exklusivsten Nachrichten und andererseits extrem detailliert recherchierte Hintergrundtexte lesen möchten: "Informationen, die Sie als Firmenchef Ihren Managern schicken." Die Leser kommen nicht unbedingt auf die Webseite, Lessin lässt viele Texte per E-Mail verschicken. Sie hat in Harvard studiert und beim Wall Street Journal gelernt, jenem Blatt, das seit vielen Jahren mit bezahlten Texten im Netz sehr gute Erfahrungen macht. Sie sagt weder, wie viele Kunden sie hat, noch wie viele Einnahmen; sie ist noch in der Aufbauphase. The Information, das ist ein altes Journalismusmodell in einer neuen Umgebung.

Kopiert zu werden, ist Alltag

The Information und Buzzfeed sind wohl die größten beiden Gegensätze, die es unter den Journalismus-Modellen im Netz derzeit gibt. Beide sind auf ihre Art erfolgreich, beide gelten den großen, alten Marken als Vorbild. Investigativen Journalismus teuer im Netz zu verkaufen ist auch für deutsche Verlage ebenso eine Strategie wie die Nachahmung der neuen Formen, die Buzzfeed täglich auf den Jahrmarkt des Internetwahnsinns wirft. Was zum Beispiel upcoming.de oder das Magazin Stern bei Facebook veröffentlicht, ist klassischer Buzzfeed-Kram. In der Schweiz hyperventiliert die Szene gerade wegen des Projektes Watson.ch.

Kopiert zu werden ist für Lamb Alltag. Er hat keine Angst davor. Schließlich ist sein eigener Laden damit großgeworden, die Ideen anderer zu kopieren. Buzzfeed ist für ihn kein Feind der etablierten Medien, eher ein Vorbild: "Wir haben dieselbe Herausforderung wie Zeitungen. Wir alle fragen uns, wie Journalismus in 15 Jahren aussehen wird." Und, ach ja, es sehe ganz danach aus, als werde Buzzfeed demnächst tatsächlich nach Deutschland kommen.

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