Buch: "Der Herausgeber":Nachtschwester Irma

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Jahrelang war sie die Vertraute Rudolf Augsteins. In dem Buch von Irma Nelles wird er zu einer wunderbaren Figur.

Von Claudia Tieschky

Das ist natürlich eine Frechheit vor dem Herrn: ein Buch über Rudolf Augstein so zu schreiben, dass die ganze illustre und selbstverständlich demokratierelevante Hamburger Pressewelt, ja sogar sein Spiegel ohne irgendwelche Ehrerbietung vorkommen. Nein, um die res gestae des großen Augstein - Spiegel-Affäre, Versuch als FDP-Politiker, Übereignung des Magazins an die Mitarbeiter - geht es seiner einstigen Büroleiterin Irma Nelles nur am Rande. Die sind anderswo längst und werden auch künftig weiter verhandelt. Der Herausgeber ist vielmehr die lakonische Geschichte über zwei Personen, die sich ein Rätsel bleiben, trotzdem sind sie sich ihr Leben lang auf eine komische Art treu.

Von Liebe kann keine Rede sein, und um es gleich zu sagen: Eine ordentliche Bettgeschichte hat Nelles auch nicht zu bieten. Faszinierend spröde verunglückt ein Versuch dazu - vormittags in einem schon von Hitler frequentierten Bonner Hotel, mehr wie ein Angebot zum Zeitvertreib vorgebracht. Der Herausgeber trägt nach Nelles' Erinnerung einen dunkelroten seidenen Morgenmantel, weiße Baumwollsocken, Birkenstock-Sandalen und macht den Vorschlag, sich zusammen hinzulegen. Nö, sagt die Dame, sie sei ausgeschlafen und wolle sich um die Tageszeit wirklich nicht hinlegen. Danach folgt, es sind die Siebziger, ein Joint, aber inhaliert wird nicht. O Gott, denkt man. O Gottogott.

Ob die jeweiligen Angehörigen von diesem unverblümten Text besonders angetan sind, weiß man nicht. Und natürlich behauptet Nelles mit dem Buch und seinen nach Jahrzehnten noch präzise erinnerten Dialogen irgendwie auch, dass sie ihn am besten kennt. Aber Der Herausgeber ist keine Enthüllungs-Story, schon gar kein Sensationsbuch. Rudolf Augstein wird hier zu einer wunderbaren literarischen Figur. Es ist der leicht melancholische Roman einer unromantischen Beziehung.

Seine Freunde finden, er braucht eine Frau, die Suppe für ihn kocht

Einer der Beteiligten ist also der Spiegel-Herausgeber, berühmt, mächtig, reich. Sie dagegen ist nur Sekretärin beim Nachrichtenmagazin in Bonn, eine junge Frau in Jeans und Turnschuhen. Die Redaktion schickt sie 1975 mit einem Spezialauftrag an seinen Urlaubsort in der Schweiz. Im Ferienhaus trifft sie einen ungezwungenen Freundeskreis, nur Augstein ist selten zu sehen. Doch die Zeit genügt, um eine Verbindung zu schaffen, die quasi privat, jenseits von Klassendenken oder der Spiegel-Redaktionsgesellschaft funktioniert. Sei es Wohlwollen oder eine modisch liberale Neugier: Man mag diese junge Frau - und man hat Verwendung für sie.

Irma Nelles kommt, als sie an den Spiegel gerät, aus einer vollkommen anderen Welt als dem Journalismus. Sie wächst als Tochter eines altkatholischen Pfarrers auf Nordstrand auf, schließt eine Versorgungsehe, bekommt zwei Kinder. Sie hat ein großes Haus in Bonn und das Gefühl, in einem Courths-Mahler-Roman zu leben. Nachdem sie als Sekretärin beim Spiegel angeheuert hat, wird die Ehe geschieden. Sie jobbt weiter beim Magazin. Journalistischen Ehrgeiz scheint sie nie gezeigt zu haben, eine Weile arbeitet sie in der Leserbrief-Redaktion, auch als sie 1993 Augsteins Büroleiterin wird, bleibt ihre wahre Rolle hierarchisch nur unpräzise definiert.

Im Jahr 1978 wird Irma Nelles mit dem Helikopter als eine Art Gesellschafterin ins Ferienhaus nach St. Tropez eingeflogen. Man sorgt sich um ihn, und nicht zum letzten Mal. Der Herausgeber arbeitet den ganzen Tag, ist schlaflos und trinkt zu viel. Ein ennui fast im Stil der Schriftstellerin Françoise Sagan ( Blaue Flecken auf der Seele) liegt über der Szenerie. Wobei die Rolle der Sagan der Herausgeber einnimmt. Er ist ein politischer Faktor, großer Kampagnenführer, Redaktions-Tyrann. Aber er ist eben auch eine unendlich komplizierte, einsame, verletzliche Person. Seine Freunde finden, dass er eine Frau braucht, die Suppe für ihn kocht, sie drängen, Nelles soll zu ihm nach Hamburg ziehen. Sie möchte nicht "als Lebenshilfekraft in ein neues Desaster einsteigen". Zunehmend wird sie widerborstig.

Vor allem in der zweiten Hälfte des Buchs kommt der Spiegel stärker ins Spiel, die Entscheidung für Stefan Aust als neuen Chefredakteur und die Entmachtung von Hans Werner Kilz - an dem Augstein hinterher schwer beeindruckt, dass er trotz der absehbaren Trennung ungerührt zum Schneider geht und einen neuen Anzug probiert. Andererseits muss Zögling Aust, als das Magazin GQ ihn zum mächtigsten Journalisten Deutschlands ausruft, eine Unterwerfungsgeste für den wütenden Augstein liefern.

Eine Wohngemeinschaft kommt doch zustande, auch wenn beide jeweils anderweitig liiert sind. Er lässt sich die Haare von ihr fönen und trägt kichernd vor, er könne das nicht selbst: wegen der elenden Hitlerei ertrage er es nicht, den rechten Arm in die Höhe zu recken. Immer wieder schauen sie zusammen Schtonk, Helmut Dietls Satire über die gefälschten Hitler-Tagebücher, die dem Konkurrenten Stern zum Verhängnis wurden. Was ich für den Spiegel gebraucht habe, das habe ich im Krieg gelernt, vertraut er ihr an. Auch das, zum Schluss: Für alles, was Deutschland den Juden angetan hat, habe er sich immer "so entsetzlich geschämt".

Er wird der alte König, sie Nachtschwester Irma. "Du hast so eine letscherte Art", teilt er ihr einmal mit, "du fragst nichts, du interessierst dich für nichts, du willst doch auch gar nichts wissen." Deshalb könne er mit ihr auch nicht streiten, das sei kolossal beruhigend.

Das muss unbedingt ein Film werden. Schade, dass Dietl nicht mehr kann.

Irma Nelles: Der Herausgeber. Erinnerungen an Rudolf Augstein; Aufbau Verlag, 320 Seiten.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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