"Anne Will" zur Sicherheitskonferenz:Ein Blick in den Abgrund

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Anne Will wollte von ihren Gästen wissen, wie sie Deutschlands Rolle in der Sicherheitspolitik sehen. (Foto: dpa)
  • Die Gäste von Anne Will sehen schwarz für die sicherheitspolitische Weltlage.
  • Spätestens seit die USA und Russland den nuklearen Abrüstungsvertrag INF gekündigt haben, kommen vergessen geglaubte Begriffe aus dem Kalten Krieg wieder hoch.
  • Deutschlands Rolle ist zwiespältig. Die Bundesregierung predigt Frieden. Kann aber nicht ohne Rüstungsexporte.

Nachtkritik von Thomas Hummel

60 Minuten lang eine Talkrunde zum Thema Sicherheitspolitik, das ist ein Blick in den Abgrund: Aufrüsten, Wettrüsten, nukleare Bedrohung, hybride Kriegsführung, autonome Waffensysteme, Killer-Roboter, Cyberwaffen - das Arsenal an furchteinflößenden Begriffen scheint unerschöpflich. Ist es wirklich wieder so schlimm? Liegt das alles nicht längst verstaubt in Kellern gemeinsam mit den Erinnerungsstücken aus dem Kalten Krieg. Oder hat Außenminister Heiko Maas recht mit dem Satz: "Das Thema ist den letzten Jahren schön verdrängt worden, weil keiner was damit zu tun haben wollte."

Jetzt ist das Rüstungsthema also wieder zurück in den deutschen Wohnzimmern. Anfang des Monats haben erst die USA, dann Russland den INF-Abrüstungsvertrag für atomare Mittelstreckenraketen gekündigt. Und an diesem Wochenende bestätigte die Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) den Eindruck, dass vor allem die Führer der Großmächte USA, Russland und China derzeit wenig Lust haben, Friedenstauben in die Welt zu schicken. Anne Will stellte also in ihrer Sendung die Frage: "Die neue Welt-Unordnung - muss Deutschland mehr Verantwortung übernehmen?"

Sicherheitskonferenz
:Merkel will Rüstungsexporte erleichtern

Voraussetzung für die Entwicklung gemeinsamer Waffensysteme in Europa sei eine "gemeinsame Kultur" für die Ausfuhr von Waffen, sagt die Kanzlerin. Die SPD dagegen dringt auf eine Verschärfung der Richtlinien.

Von Daniel Brössler und Paul-Anton Krüger

Tenor der Runde von Anne Will: Die Deutschen müssen im Moment hoffen und bangen, dass die Mächtigen der Welt nicht durchdrehen. Und dass Bundeskanzlerin Angela Merkel noch ein paar ähnlich fulminante Reden hält wie am Samstag im Ballsaal des Münchner Hotels Bayerischer Hof. Dann stellt wenigstens jemand diese Hasardeure des Militarismus als das dar, was sie sind.

Constanze Stelzenmüller, Juristin und Publizistin vom angesehenen Washingtoner Thinktank Brookings Institution, bringt erste Kompetenz mit in die Runde. Sie hatte Merkels Rede vor Ort gehört. Die Bundeskanzlerin hatte in einer halben Stunde fast der gesamten Weltgemeinschaft ins Gewissen geredet. Und all die Trumps, Putins und Xis dazu aufgefordert, endlich wieder vernünftig zu werden und miteinander ins Gespräch zu kommen. Es hatte phasenweise tosenden Applaus gegeben, gänzlich unüblich für die Siko. Stelzenmüller bezeugt, dass auch viele der Amerikaner im Raum aufgestanden seien und Merkel beklatscht haben.

US-Vizepräsident Mike Pence hatte dagegen eine, wie Stelzenmüller es nennt, roboterhafte und peinliche Rede gehalten. Eine Rede wie aus dem Mund seines Chefs, US-Präsident Donald Trump - voller Angriffe und Drohungen. Auch gegen die eigentlichen Verbündeten aus Europa. In München waren auch mehr als 50 Kongressabgeordnete aus den USA zugegen, die größte US-Delegation in der Geschichte der Konferenz. In einem Panel am Samstagabend hätten sich Demokraten wie Republikaner größte Mühe gegeben, den Europäern ihre Solidarität auszudrücken. "Mir hat das schon ein bisschen Hoffnung gemacht", sagt Stelzenmüller.

Auch Außenminister Maas gründet seinen Optimismus auf die Reaktionen während der Siko. Er findet, dass Pence höchstens freundlichen Applaus erhalten habe. Ansonsten war "großes Schweigen". Maas folgert daraus: "Wir sind nicht allein."

Das sind die wenigen Lichtblicke dieser Sendung, mit denen sich das Publikum eventuell beruhigt ins Bett verabschieden könnte. Wären da nicht die vielen trüben Analysen und Vorhersagen. Journalist Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, sagt, er halte ein Wettrüsten für nicht ausgeschlossen. Der Einfluss der Europäer darauf sei gering, es hänge alles an Russland und den USA. Maas erklärt, der INF-Vertrag zwischen den beiden Mächten sei vor allem wegen China gekündigt worden, das fröhlich aufrüste, weil es an dem Vertrag nicht beteiligt sei. "Wenn man ernsthaft über Abrüstung spricht, dann geht das nicht ohne die Chinesen", findet er.

Doch ob China das will, weiß niemand. Und Stelzenmüller argumentiert, Deutschland und Europa könnten nicht abrüsten, wenn alle anderen aufrüsten. Na, dann mal her mit all den Raketen.

Die politische Exoten-Haltung übernimmt Sevim Dağdelen, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Sie macht keinen Hehl aus ihrer Ablehnung der US-Politik, fordert eine "rote Karte für Trump". Der INF-Vertrag sei für Europa essentiell, die Bundesregierung hätte viel mehr tun müssen, um ihn zu erhalten. Dağdelen ist aber auch dagegen, dass Deutschland bis 2024 seine Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anhebt, wie es die Nato-Partner verabredet haben. Sie dürfte schon für falsch halten, dass die Bundesregierung derzeit nur eine Erhöhung auf 1,5 Prozent versprechen will.

"Sicherheit schafft man nicht, indem man mehr Geld für Rüstung ausgibt", sagt sie. Ihre Partei ist derzeit die einzige im Bundestag, die ihre Friedenspolitik an eine Anti-Rüstungs-Politik koppelt. Weshalb sie nicht in der misslichen Lage ist, den Leuten deutsche Rüstungsexporte erklären zu müssen.

Deutsche Rüstungsexporte sinken seit 2015

Die deutschen Rüstungslieferungen ins Ausland erleben in den vergangenen Jahren ein großes Auf und Ab. Sie sind 2015 zuletzt gestiegen. Auf den damaligen Rekordwert von 7,86 Milliarden Euro. Seitdem nehmen sie ab. Im vergangenen Jahr sind sie noch einmal um ein gutes Viertel auf 4,82 Milliarden Euro zurückgegangen. Rüstungsexporte in Drittländer, also außerhalb von Nato und der EU, sind 2018 um knapp 33 Prozent gegenüber 2017 zurückgegangen.

So könnte es weitergehen. Angela Merkel aber hat just an diesem Wochenende angedeutet, dass Deutschland seine Exportrichtlinien etwa an jene von Frankreich oder Großbritannien angleichen solle, damit eine gemeinsame europäische Sicherheitsstrategie möglich sei. Nur haben diese deutlich weniger Bedenken, Waffen zu exportieren. Am Wochenende wurde publik, dass die französische Marinewerft Naval sogar ein Joint Venture mit Saudi-Arabien gründen will, um gemeinsam Fregatten und U-Boote zu bauen. Deutschland hat neue Genehmigungen für Waffenexporte nach Saudi-Arabien inzwischen gestoppt.

Für Jürgen Trittin von den Grünen bleiben die Waffenexporte "die hässliche Seite deutscher Außenpolitik", sagt er in der Sendung "Anne Will". Mit diesen seien etwa Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate massiv aufgerüstet und dazu befähigt worden, den furchtbaren Krieg in Jemen zu führen. Die Regierung habe zugelassen, dass Waffen im Wert von einer Milliarde Euro in den Jemen-Krieg geliefert würden. Außerdem beteilige sich Deutschland an der nuklearen Modernisierungsstrategie der USA, von hier kämen die Brennelemente für neue Raketen.

Constanze Stelzenmüller gibt weitere Einblicke in das Geschäft mit dem Krieg. Die Bunderegierung nutze hier "einen ziemlich gespenstischen Begriff, nämlich den der Ertüchtigung". Deutschland ertüchtige andere Länder zum Krieg, indem es Waffen liefert - "dann müssen wir es nicht selbst machen".

Und warum steht Deutschland unter einem solch großen Exportdruck im Rüstungsgeschäft? "Weil wir nur so die Stückzahl-Kosten für die Bundeswehr gering halten können." Wer also die Bundeswehr ausrüsten will zu einem niedrigen Preis, der muss viele weitere Waffen ins Ausland liefern. Wenn nötig an Diktatoren und Autokraten. Eine Europäisierung der Industrie scheitere häufig daran, dass die Rüstungsunternehmen eng mit ihren Standorten verbunden seien. Und die Abgeordneten von dort alles tun, damit diese Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.

Nach dieser Stunde dürfte klar sein, warum mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik viele nichts zu tun haben wollen. Manchmal klingt alles nach Apokalypse, dann wieder nach real gewordenem Computer-Ballerspiel. Und unter moralischen Gesichtspunkten kommt Deutschland einfach nicht aus dem Dilemma, Frieden predigen zu wollen und Waffen verkaufen zu müssen.

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