1000. Folge von "Wer wird Millionär?":Günther Jauch - die beste Form der Routine

Eine der letzten großen Konstanten im deutschen Fernsehen feiert Jubiläum. RTL sendete "Wer wird Millionär?" mit Günther Jauch zum 1000. Mal. Millionär wurde diesmal zwar niemand. Doch die Sendung zeigte, wie der Moderator mit ihr noch sehr alt werden kann.

Michael Grill

Nach 13 Jahren und 999 Sendungen "Wer wird Millionär?" bei RTL mit Günther Jauch stellt sich die Frage, was da denn noch groß kommen soll eigentlich nicht mehr. "WWM" ist als Konzept unangreifbar und läuft scheinbar endlos als eine der letzten großen Konstanten im deutschen Fernsehen weiter und weiter. Während der Moderator parallel in der ARD ein Abenteuer mit noch offenem Ausgang als Polit-Talker begonnen hat, ist seine Millionärs-Show sehr berechenbar. Doch war sie das nicht auch schon nach der 100., 250. und 500 Sendung, ohne dass sie uns langweilig wurde?

Kristina Schröder bei Wer wird Millionär

Solange es Moderator Günther Jauch nicht langweilig wird, kann er mit seiner Sendung "Wer wird Millionär?" noch sehr alt werden.

(Foto: dpa)

Nach insgesamt 26.500 Fragen, 74 Millionen Euro verteilten Gewinnen und einer 62 mal gestellten Millionenfrage ist die Zuschauer-Quote mit durchschnittlich 6,7 Millionen in der letzten Staffel so stabil wie die des Wetterberichts nach der Tagesschau, nur auf deutlich höherem Niveau. Gestern wollten gar mehr als acht Millionen Menschen die Sendung nicht verpassen: 8,16 Millionen Zuschauer. Längst hat sich um die Sendung eine ganze Frage-Industrie etabliert, die Wissensspiele für alle medialen Kanäle produziert, manche sehen dabei ein bisschen mehr und manche ein bisschen weniger wie "WWM" aus. Selbst die Fragen aus der originalen Sendung werden zweit- und drittverwertet von den Boulevardzeitungen: Gierig schnappt man nach den von RTL gelieferten Resten. Es ist billiger Stoff für die einen, kostenlose Werbung für die anderen. In Jauchs Wirbelschleppe ziehen die Medien der Republik dorthin, wo sie Masse vermuten.

Das ist weder gut noch schlecht, doch vielleicht fragt sich ja auch Günther Jauch selbst, was man denn noch machen kann, wenn Routine so sehr zum Prinzip geworden ist.

Für die Jubiläumssendung sieht die Antwort so aus: "Es wird spannender, spektakulärerer sein", sagt Jauch, und das ist für seine Verhältnisse dick aufgetragen. Es werde diesmal (und er wird es in der dreistündigen Sendung etwas zu oft wiederholen) auf jeden Fall die Millionenfrage gestellt - auf welche Weise, das verrät er in den Ankündigungen nicht. Wie sich später herausstellt, ist es ja auch nicht sehr spannend (eine neue Auswahlrunde bringt einen der bereits abgelegten Kandidaten zur Frage aller Wissensfragen).

Man neigt dazu, diese Sendung zu unterschätzen

Außerdem gibt es diesmal nur vier Kandidaten, die aber alle drankommen werden, denn sie zeichnen sich durch ungewöhnliches und selbstloses soziales oder caritatives Engagement aus. Für ein bisschen Glamour sorgt der Extra-Joker des Jubiläumstages: Ein kleines Prominenten-Team aus Barbara Schöneberger, Oliver Pocher und dem bislang letzten WWM-Millionär Ralf Schnoor. Letzterer ist Caféhausbetreiber aus Hannover, und er ist ein solches Unterhaltungstalent, dass er neben Schöneberger und Pocher locker bestehen kann. Jedenfalls: So richtig Jubiläums-glamourös ist das alles nicht, und damit andererseits wieder recht passend zur Sendung.

Doch man neigt dazu, diese Sendung zu unterschätzen, wahrscheinlich gerade deshalb, weil sie so scheinbar gewöhnlich ist. "Wer wird Millionär" hat manchmal ein viel höheres Tempo als man glauben mag. Diesmal dauerte es keine vier Minuten vom Vorspann über die Erklärungen zur Sendung und die Auswahlrunde bis zum Einstieg in die erste Fragerunde. Dort sitzt Sheila Kußmann, 35, im Osten geboren und in Köln lebend, die als Friseurin Obdachlosen kostenlos die Haare schneidet.

Jauch hilft auch ihr bei den Antworten, wie er es immer tut, wenn "WWM" eine Sonderausgabe hat, bis an die Grenze zur Albernheit. Er werde ja sonst inzwischen sogar von Kandidaten beschimpft, wenn es zu schwierig werde, klagt Jauch, offenbar nur halb im Scherz. Schnoor rief: "Sie machen das sehr gut." Jauch erwiderte: "Vergiftetes Lob ist das schlimmste." Pocher feixte: "Sehr gut, Gottschalk!"

So ist diese Sendung auch diesmal eine harmonische Mischung aus perfekt verkauftem Ratespiel und einer dezent raffinierten Regie: Als Kußmann über das Thema Schluppenbluse grübelt, fährt die Kamera ihre Kleidung in aller Ruhe von unten nach oben ab. Und dann kommt, wie immer bei Jauch, auch noch redaktionelles Glück hinzu. Die Kandidatin hat einen drolligen Einfall und verkündet: "Mein Freund hat gesagt: Wenn Du aufgeregt bist, stell Dir den Herrn Jauch in Schluppen vor", woraufhin Schöneberger von hinten quietscht: "Jetzt stell ich's mir auch vor", und dann stellen wir uns das alle vor und sind sind sehr angenehm zufrieden mit dieser kleinen, aber nicht gemeinen Bosheit.

Das Publikumsjokerbefragungstalent der Nation

Jauch hingegen schießt sich mit spitzen Bemerkungen alsbald auf Pocher ein. Ein Spiel, das Poch sehr zugute kommt, denn nie ist er so gutm wie wenn er halbimprovisierend den Kaschperl geben darf. Etwa, wenn er zur Befragung des Publikumsjokers anrückt - Pocher war ja schon immer so etwas wie das größte Publikumsjokerbefragungstalent der Nation.

Als später in der Sendung das Stichtwort "Counter Tenor" fällt, sagt Jauch, Pocher könne wohl eher etwas zum Ballerspiel "Counter Strike" sagen, woraufhin dieser prompt mit Fistelstimme den uralten Modern-Talking-Hit "You're my heart, you're my soul" anstimmt. Jauch: "Das ist knapp im Kastratenbereich." Pocher, der bekanntermaßen vor einigen Monaten Vater von Zwillingen geworden ist, entgegnet: "Leider nicht!" Jauch, mit gespieltem Entsetzen: "Schnitt!"

So geht das den ganzen Abend, stilsicher unterhaltsam und in angenehmer Selbstverständlichkeit. Einmal fällt der Satz "Ich erinnere mich an nichts." - Das wäre bei Pocher normalerweise die Stelle gewesen, an der er - bei der aktuellen Nachrichtenlage - einen geschmacklosen Witz auf Kosten des an Alzheimer erkrankten Fußballmanagers Rudi Assauer gemacht hätte. Doch bei Jauch sind ihm Grenzen gesetzt - und prompt ist er witzig und nicht peinlich.

Vielleicht könnte ein richtiges Duo Jauch & Pocher sogar ein erfolgreicheres Format sein, als es das vor Jahren spektakulär gescheiterte ARD-Experiment "Schmidt & Pocher" je hat sein können. Denn Jauch bekommt durch Pocher eine ihm völlig abgehende Subversivität, Pocher ein paar Leitplanken für ihm fehlende Geschmackssicherheit. Beide arbeiten zwar schon bei "5 gegen Jauch" zusammen, doch ein Duo sind sie dort nicht.

Es fehlte die Traute

Wie gesagt, Millionär wurde an diesem Abend keiner, es ging nur bis 125.000 Euro. Es kamen noch Heinrich Schrand aus Oldenburg, Krankenpfleger und Kämpfer für Knochenmarkspenden, Vera Plein, ledige Mutter und Pflegemutter, sowie Friederike Garbe, Initiatorin eines Projekts für Kinder samt Babyklappe, die außerdem die ungewöhnliche Eigenschaft hat, die Sendung überhaupt erst zwei Mal gesehen zu haben. Schwere Schicksale, gute Taten. Aber: Könnte vielleicht jemand RTL nahelegen, dass man nicht jede bewegende Lebensgeschichte unter einem Kitsch-Sturm aus schlechter Musik und hysterischem Tremolo begraben muss? Wahrscheinlich nicht.

Nachdem Jauch abermals betont, dass er heute Abend definitiv noch die Millionenfrage stellen werde ("Wir wollen endlich mal wieder dieses Gefühl haben"), stellt er sie endlich. Sie kann nur mit dem Risiko des Verlustes des vorherigen Gewinns und ohne Joker beantwortet werden: "Was war in 1000 Sendungen ,Wer wird Millionär' am häufigsten die richtige Antwort: a) Spanien, b) Goethe, c) Angela Merkel, d) blau.

Kandidatin Kußmann bebte. Erst: "Das ist mir zu link." Dann: "Ich tendiere zu blau." Schließlich: "Soll ich zocken?" Doch es fehlte die Traute - und sie steigt aus.

Die richtige Antwort wäre gewesen: Spanien. Trotz der Millionärslosigkeit sprüht ein Millionärsregen seine Sprühfunken aus der Studiodecke. Es war ein netter Abend zu einem großen Jubiläum. Solange es Jauch nicht langweilig wird, kann er mit "Wer wird Millionär?" noch sehr alt werden, denn "WWM" ist die beste Form von Routine im TV. Aber das mit Pocher könnte er sich ruhig mal überlegen.

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