Kommunikationsforscher Marshall McLuhan:Der Medienprophet

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Twitter, Facebook und das "global village" - der Medientheoretiker Marshall McLuhan ahnte die digitalen Umbrüche des 21. Jahrhunderts schon in den sechziger Jahren.

Jan Füchtjohann

In diesem Jahr wäre Marshall McLuhan einhundert Jahre alt geworden. Der Pionier der Medientheorie nahm um Jahrzehnte vorweg, was er ironisch das "elektrische Drama" nannte: Computer würden einmal alles miteinander verbinden und ein "globales Dorf" schaffen; Raum und Zeit verschwinden in einer Geschwindigkeit, die alles simultan macht, das Private löst sich auf, und die Grenzen von gestern sind bald Geschichte.

Der amerikanische Schriftsteller und Kommunikationsforscher Marshall McLuhan wäre in diesem Jahr einhundert Jahre alt geworden. (Foto: SZ Photo)

Kriege, Revolutionen, Volksaufstände? Das waren für McLuhan schon in den 1960er Jahren bloß die Schnittstellen, durch die der Strom in die Zukunft fließt. Bald werde das Wohnzimmer zur Wahlkabine, die Masse kreativ und die Welt endlich weise.

Der Prophet aus Toronto hat der Gegenwart also wichtige Begriffe geliefert: vom "global village" über die "15 minutes of fame" (die Warhol von ihm übernahm) bis zum "Surfen" im Meer der Information. Sein wichtigster Satz ist aber bekanntlich ein anderer: "The medium is the message" - "Das Medium ist die Botschaft".

McLuhan zufolge werden Gesellschaften deutlich mehr durch die Medien geformt, mit denen sie kommunizieren, als durch das, was sie kommunizieren. Ob man nun Hitlers "Mein Kampf" liest oder "Die Sprache des Herzens" von Mutter Teresa - egal.

Wichtiger als solche bloß zufälligen Inhalte ist, dass beide in gedruckten Büchern stehen. Hitler und Mutter Teresa waren sich insofern ähnlich, als beide geschrieben und damit eine bittere oder süße, bunte oder graue, tiefe oder flache, glatte oder raue, leise oder laute Welt in eine Sequenz abstrakter Zeichen verwandelt haben.

Gleich sind Christen und Nazis auch, wenn sie lesen, ihre Augen auf die Seite richten und anhand der Buchstaben des Alphabets Wörter, Sätze und vielleicht sogar Vorstellungen und einen Sinn entziffern.

Ob man an die Gleichheit der Menschen in Gott oder an die Verschiedenheit der Rassen glaubt? Irrelevant, denn als Leser tausendfach gedruckter Bücher ist man Teil einer Masse, die so feine Unterschiede gar nicht kennt.

McLuhan war ein brillanter Denker. Sein Verweis darauf, dass Botschaften immer an einen materiellen Körper gebunden sind, der eigenen Bedingungen und Gesetzen unterliegt, war wichtig und richtig.

Gleichzeitig begründete er einen seltsam vulgären, aber ungeheuer weit verbreiteten Medien-Determinismus. Dass das Medium die Botschaft sei - der Satz hallt nach, wenn politische Aufstände als "Facebook"- oder "Twitter"-Revolutionen beschrieben werden.

Oder wenn man mal wieder die Frage diskutiert, ob das Internet den Beginn eines neuen Zeitalters oder den Untergang des Abendlands bedeute. Präsent ist er auch in dem in den vergangenen Jahren in Unternehmen und Medienhäusern geäußerten Befehl: "Wir müssen endlich etwas für das neue iPad machen."

In all diesen Fällen wird akzeptiert, dass Medien stärker sind als ihre Nutzer. Dass eher das Buch oder das iPad Geschichte schreibt als der menschliche Autor seiner Inhalte. Zugespitzt gesagt: Nicht wir hämmern mit dem Hammer, sondern der Hammer mit uns.

Sogar die Medienkritik hat diese Struktur in vieler Hinsicht übernommen - etwa wenn gesagt wird, Twitter habe an diesem und jenem Ort für eine Revolution viel zu wenig Nutzer, man sehe dort eher fern oder habe sich telefonisch verabredet. Oder wenn die Segnungen der guten alten Medien gegen die bösen neuen verteidigt werden.

So hing in einer deutschen Landesbibliothek - die auch Werke wie "Es spricht der Führer" besitzt - vor einigen Jahren ein Plakat, auf dem Regale voller Bücher zu sehen waren. Daneben stand sinngemäß: "100.000 Argumente gegen Rassismus".

Dieser Glaube an das Medium als Botschaft hat einen interessanten Subtext: den Glauben. Marshall McLuhan ist früh zum Katholizismus übergetreten. Es wurde schon oft daran erinnert, worin der zentrale Glaubensinhalt des Christentums besteht: Dass nämlich Gott nicht als Lichtgestalt, Goldregen oder Godzilla zu den Menschen gekommen ist - sondern als Jesus Christus.

Um zur Welt zu kommen, wählt der allmächtige Gott die Gestalt eines armen Zimmermanns, darin steckt die ganze Geschichte der Erlösung des Niedrigen durch das Hohe. Gott wählte sich einen sterblichen Menschen als Medium, das ist die frohe Botschaft des Christentums.

Diese Art Messianismus hat McLuhan auf andere Medien übertragen. Und zwar mit Vorliebe auf die neuen Medien, die immer eine Zeitlang verpönt und als niedrig abgetan werden. Fernsehen macht dumm? Unsinn, es ist der Beginn einer neuen Zeit. Wobei auch die These, Fernsehen mache blöd und faul, die gleichen Prämissen teilt: Es ist dann eben ein falscher Messias, der die Leute in die Hölle führt.

So ist es also durchaus treffend, dass McLuhan 1991 zum Schutzheiligen des Netzeuphoriker-Zentralorgans Wired Magazine gekürt wurde. Auch auf der Branchenmesse DLD, die vor einigen Wochen wieder in München stattfand, war dieser religiöse Überschuss überall zu bemerken. Redner, die einfach als führende Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmens auftraten, wurden freundlich behandelt.

Enthusiastisch und wie Heilsbringer gefeiert wurden dagegen Figuren wie Eric Schmidt, der weniger Google-Chef denn Abgesandter des Mediums selbst zu sein schien - ein Botschafter aus dem Netz, der Nachrichten aus der Zukunft mitgebracht hatte.

In einem derart religiös aufgeladenen Diskurs hilft es, sich an die Kritik der Theologie zu erinnern. Das tat etwa Hans Magnus Enzensberger beim DLD, der süffisant bemerkte: "Ich weiß überhaupt nicht, was ich hier soll. Ich mache keine Milliardengeschäfte und bin kein Technologie-Experte. Und das Schlimmste: Ich bin und bleibe wohl ein analoger Mensch, denn viele meiner Lebensfunktionen wie Essen, Schlafen, Hören, Sprechen sind bisher nur unzureichend digitalisiert. (...) Der rein digitale Mensch - das ist doch Propaganda."

Enzensberger klang dabei auffällig nach Milan Kundera, der in "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" feststellt, Jesus sei in der gesamten Bibel kein einziges Mal aufs Klo gegangen. Er folgert: "Die Scheiße ist ein schwierigeres theologisches Problem als das Böse."

Doch vermutlich gibt es auch für dieses Problem bereits eine App. Dann hilft nur noch der Versuch, die Arbeit des Medientheoretikers in Frage zu stellen, indem man sie gebührend würdigt. Schließlich ist es doch bemerkenswert, wie sehr McLuhan in der Lage war, die heutige Welt und das Internet vorwegzunehmen - in Büchern.

Manchmal kommt die Nachricht eben doch vor dem Medium.

© SZ vom 10.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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