"1, 2 oder 3" wird 40:"Vergesst mir die Kinderseelen nicht"

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Michael Schanze war lange Jahre das Gesicht vieler Kindersendungen im Fernsehen. Hier gestikuliert er während einer Sitzung mit dem "Internationalen Kinderparlament" auf der Weltausstellung in Hannover im Jahr 2000. (Foto: DPA)

Wenn sich Michael Schanze zum 40-jährigen Bestehen von "1, 2 oder 3" an die Anfänge des ZDF-Klassikers erinnert, wird deutlich, wie sehr sich Kindsein verändert hat - nicht nur im Fernsehen.

Von Hans Hoff

Die berühmten Locken sind weg, und die Resthaare sind deutlich kürzer als früher. Das ist nicht mehr der Michael Schanze von früher, der da über den Hof von Schloss Neersen am Niederrhein geschritten kommt. Er hat sichtlich an Umfang gewonnen und sich zu einer auf besondere Art imposanten Erscheinung gemausert. Er ist jetzt ein Mann von 70 Jahren, einer, der vor einiger Zeit schon eine neue Berufung als Bühnenschauspieler gefunden hat - oder eher: eine alte wiedergefunden hat, denn schon zu Beginn seiner Karriere spielte er in einigen Filmen mit. Bei den Neersener Schlossfestspielen gibt er den Dorfrichter Adam in Heinrich von Kleists Lustspiel-Klassiker " Der zerbrochne Krug". Am 29. Juli ist Premiere, weshalb nun beinahe täglich geprobt wird, weshalb Schanze auch nicht zum vorgezogenen Jubiläum einer Fernsehsendung reisen kann, die er einst nicht nur für Kleine ganz groß gemacht hat.

Am 10. Dezember 1977 war es, als er zum ersten Mal mit 1, 2 oder 3 auf dem Bildschirm erschien, viel sang und vor allem mit den Kindern im Studio einfühlsam umzugehen verstand. Kurz vor Weihnachten wird das 40 Jahre her sein, aber weil das ZDF gerade viele große Shows braucht, um das Sommerloch zu füllen, wird das Jubiläum kurzerhand auf den 22. Juli vorverlegt. Da schafft es die inzwischen von Elton moderierte Show sogar ins Abendprogramm. Dabei wird er - wie schon Horst Lichter bei den Bares für Rares-Specials - von Steven Gätjen unterstützt.

Heute moderiert Elton (hintere Reihe links) die Show. Das Kamerakind (ganz rechts) gibt es immer noch in jeder Sendung. (Foto: Ralf Wilschewski/ZDF)

Man kann anhand von "1, 2 oder 3"-Elementen prima feststellen, wie alt jemand ist

1, 2 oder 3 ist ein Klassiker der deutschen Fernsehgeschichte. Mehr als 1000 Ausgaben sind gelaufen, was nach ZDF-Rechnung über 27 600 Sendeminuten entspricht. Stets geht es um spielerische Wissensvermittlung in Quizform, müssen Kinder Fragen beantworten und können zwischen drei Antwortmöglichkeiten wählen. Das tun sie, indem sie wild herumhüpfen und sich dann für eins von drei Feldern entscheiden und sich genau dort aufstellen.

Man kann anhand von 1, 2 oder 3-Elementen prima feststellen, wie alt jemand ist. Fragt man nämlich nach dem Spruch, den der Moderator dabei sagt, gibt es zwei Alternativen. Sagt jemand "Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht", dann hat er die Sendung ziemlich sicher nach 1985 kennengelernt, als die Moderatoren Biggi Lechtermann, Gregor Steinbrenner, Daniel Fischer oder eben Elton hießen. Lautet die Antwort indes "Ob ihr recht habt oder nicht, sagt euch gleich das Licht", dann war er ziemlich sicher schon Fernsehkunde, als Michael Schanze die Show in den späten Siebzigerjahren aus der Taufe hob.

Für Schanze ist die erste Sendung immer noch sehr präsent. Einen Norwegerpulli habe er getragen, erinnert er sich, und dann seien noch Weihnachtslieder gesungen worden, unter anderem "Lasst uns froh und munter sein". Das mit dem "froh und munter sein" war damals für Kinder beileibe keine Selbstverständlichkeit. Aus den muffigen Sechzigern schwappte noch sehr die Überzeugung herüber, dass sich Kinder gefälligst zu fügen und brav irgendwo zu hocken hatten, bis es den Erwachsenen gefiel, sich ihnen erzieherisch zu widmen.

Kinder, wie die Zeit vergeht: Der erste Moderator der Kult-Show war Michael Schanze. (Foto: imago/United Archives)

1, 2 oder 3 brach mit dieser Tradition. Die Kinder durften herumtollen, mitmachen, wild sein und am Ende trotzdem noch was lernen. Dass dies nicht aus dem Ruder lief, war vor allem Schanze zu verdanken, der gut mit Kindern konnte und sich im Fernsehen schon einen ordentlichen Namen gemacht hatte. Hätten Sie heut' Zeit für mich? hieß die Musikshow, die er seit 1972 moderierte, von der er aber offensichtlich genug hatte.

"Ich wollte mit dem Fernsehen aufhören", berichtet Schanze. Bei einer Sporthochschule habe er damals angefragt, wollte Latein und Sport studieren, als ihn der Anruf eines Fernsehhierarchen ereilte. Ob er denn Lust habe, ein Quiz zu moderieren, wollte der wissen. "Auf gar keinen Fall", lautete Schanzes Antwort: "Quiz fand ich furchtbar, das erinnerte mich immer so an Schule."

Wenn es denn schon ein Quiz sein sollte, dann höchstens eines, wie er es gerade bei einem Englandbesuch entdeckt hatte. Dort war ihm ein Format namens Runaround aufgefallen, eine Show mit Kindern, die herumtollen und dabei sogar noch etwas lernen. "Genau die Show wollte ich Ihnen gerade anbieten", sagte der Hierarch.

Als es losging, bestand der Überredete allerdings auf Änderungen am Originalformat. In dem schieden Kinder, die falsch geantwortet hatten, nämlich rigoros aus. "Das fand ich unmenschlich", sagt Schanze, der die Regeln entsprechend abmilderte. Ihm war immer wichtig, dass ein Dritt- oder Viertklässler, der eine falsche Antwort gibt, nicht gleich als Versager dasteht vor den Klassenkameraden und der Fernsehöffentlichkeit.

"Vergesst mir die Kinderseelen nicht", hat er in sein Grußwort zum anstehenden Jubiläum geschrieben und damit natürlich ein gewisses Unwohlsein an den aktuellen Abläufen ausgedrückt, die häufig auf eine gewisse Reibungslosigkeit getrimmt sind. "Ich wünsche mir da ab und an ein menschliches Wort", sagt er. Hier und da ein bisschen mehr Trost für jene, die nicht richtig stehen, fände er schön. Dass das Medium sich zugunsten der Kleinen auch mal zurücknimmt. "Eine Sendung im Dienst der Kinder ist besser als Kinder im Dienst einer Sendung."

Jede Raterunde schloss Schanze mit dem berühmten "Plopp" ab

Fragt man ihn nach dem Geheimnis des 1, 2 oder 3-Erfolgs, definiert Schanze dieses gerade in der Anfangszeit als Gegenpol zur Schulsituation, wo man damals aufstehen musste, um eine Frage des Lehrers in "Stillgestanden!"-Position zu beantworten. "Es war schön, als wir die Aufregung der Kinder in Bewegung umsetzen konnten." Für ihn spiegeln sich in den Jahren bis 1985, in denen er seine insgesamt 59 Shows aufzeichnete, auch gesellschaftliche Entwicklungen. "Wir haben gemerkt, dass da bei den Kindern auch eine Veränderung stattfand. Sie sind freier geworden." Zu tun hat das sicherlich auch mit seinem Mut zum Chaos. Als er etwa einmal vorschlug, dass alle Kinder aus dem Publikum auf die Bühne kommen und mal eben einen Purzelbaum schlagen sollten, schlugen die Redakteure die Hände über dem Kopf zusammen. Das würde ausufern, da waren sie sich sicher. "Eine Minute danach saßen alle wieder still auf ihren Plätzen", sagt Schanze und grinst.

Auch bei anderen Aktionen waren die Macher hinter den Kulissen nicht direkt begeistert. Als er ein Kind die Kamera führen lassen wollte, wurden geschäftsschädigende Bilder befürchtet. Aber Schanze setzte sich durch, das "Kamerakind" wurde zum festen Element der Sendung und der Begriff zum Klassiker.

Auch dass er jede Raterunde mit dem berühmten Plopp abschloss, einem mit dem aus dem geschlossenen Mund herausschnalzenden Zeigefinger erzeugten Geräusch, ging in die Fernsehgeschichte ein und ist vielen Zuschauern noch so präsent, als wäre dieses Markenzeichen nicht 1985 mit Schanze aus der Show verschwunden.

Dass er das Format, das ihm so viel bedeutete, damals tatsächlich verließ, hatte mit dem Zusammentreffen zweier Faktoren zu tun. Zum einen zeigte sich das ZDF wenig glücklich mit dem Umstand, dass Schanze von 1984 an mit einer großen Personality-Show im Ersten fremdging, zum anderen missfiel wiederum dem Moderator, dass man ihm irgendwelche Fantasiefiguren an die Seite stellen wollte, die einzig und allein dazu gedacht waren, das Geschäft mit Merchandising-Artikeln anzukurbeln. "Die sollten mit mir durch die Sendung führen. Da habe ich gesagt: Das will ich nicht", erzählt er.

Den Kindern ist er trotzdem treu geblieben. Im Ersten hat er Kinderquatsch mit Michael moderiert und bis ins Jahr 2003 kleinen Sängern die Angst vor dem Auftritt genommen. Dabei wusste er stets, wer der wahre Star der Show war. Nicht er, immer die Gäste. Das schreibt Schanze gern auch seinen Nachfolgern ins Drehbuch. "Wenn man mit Kindern spontan umgeht, muss man seine Show-Eitelkeiten hintanstellen", sagt er und beschreibt, was die Kleinen so viel erfrischender macht: "Die Kinder sind Momentmenschen. Die leben im Moment, weil sie ihn nicht schon mit Erfahrungen in Relation setzen."

Er sagt das, und er meint das ganz offensichtlich auch sehr ernst. Dann verabschiedet er sich sehr höflich und geht zurück ins Schloss. Auf einmal ist 1, 2 oder 3 wieder ferne Vergangenheit. Jetzt ist Neersen, jetzt ist "Der zerbrochne Krug".

1,2 oder 3 - Das große Jubiläum , ZDF, Samstag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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