Zum Tod von Sir Edmund Hillary:Der letzte Abenteurer

Heute ist nahezu jeder Fleck auf der Erde im Internet abrufbar, in stehenden und bewegten Bildern. Gerade mal 60 Jahre ist es, dass Sir Edmund den Mount Everest bestiegt - zu Fuß, mit Fotokamera.

Kurt Kister

Es gibt kein Foto von Edmund Hillary auf dem Gipfel des Mount Everest. Doch, Hillary hatte eine Kamera dabei an jenem 29. Mai1953, an dem er und der Sherpa Tenzing Norgay wohl als erste Menschen auf dem höchsten Berg der Welt standen. Die Kamera diente Hillary vor allem zur Beweissicherung. Er fotografierte Tenzing Norgay am Gipfel, was sagen sollte: Wir waren wirklich oben. Und er fotografierte nach unten, um zu demonstrieren: So sind wir herauf gekommen.

Sir Hillary, Tenzing Norgay, AP

Hier präsentieren Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay ihre Ausrüstung. (Aufnahme von 1953)

(Foto: Foto: AP)

Die Kamera war nur ein Teil der technischen Ausrüstung, bei weitem nicht so wichtig wie die Sauerstoffgeräte oder die Schutzbekleidung - die im übrigen "schlechter" war als die Goretex-Gewandung und die Designer-Trekkingschuhe, mit denen der Wochenendwanderer heute den Herzogstand bezwingt oder die Stubbenkammer erforscht.

Obwohl es ihm wahrlich nicht um die Fotos ging, gehören die Aufnahmen, die Hillary wieder mit nach unten brachte, zum wirklichen Weltkulturerbe. Der Sherpa auf dem Everest prägt die visuelle Erinnerung an das 20. Jahrhundert genauso wie der brennende Zeppelin in Lakehurst oder Robert Capas Fotos von der Invasion in der Normandie.

Tat und Erzählung

Sie alle haben gemeinsam, dass sie gemacht wurden von Menschen, die das, was sie festhielten, miterlebten oder, im Falle Hillarys, sogar gestalteten. Es waren, im guten wie im schlechten Sinne, Abenteuer - aufregende, gefährliche, bedeutende Ereignisse, deren Einzigartigkeit noch nicht durch die gleichzeitige millionenfache Verbreitung definiert wurde.

Existierte heute, ganz hypothetisch, ein noch nicht bestiegener Berg, eine noch undurchquerte Wüste , gar ein weißen Fleck auf der Landkarte - diese Unkenntnis würde von hundertfach "gesponsorten" Berufsabenteurern mit angeschlossener TV-Karawane zermalmt werden. Es gäbe den Livestream im Internet, die Kinofassung und den Fernseh-Sechsteiler mit ausführlicher Johannes-B.-Maischplasberger-Begleitung.

Natürlich könnte man ein Parfüm und die entsprechenden Klamotten zum Entdeckungsereignis kaufen. Was damals die Heldentat der Männer um Edward Hillary war, wäre heute ein media event mit einem nach Quotenkriterien ausgesuchten Team: Mountain camp.

Sir Edmund Hillary, der jetzt mit 88 Jahren in Neuseeland gestorben ist, war ein Abenteurer und ein Entdecker. Er war der letzte Protagonist einer Ära, die als das "Zeitalter der Entdeckungen" bereits Geschichte geworden ist. Gewiss, dies ist eine eurozentrische Formulierung aus der Sicht des weißen Mannes: Die Quellen des Nils, die südpazifischen Inseln, die Wüste Taklamakan und die Berge des Himalaya waren den dort Lebenden längst bekannt, bevor die weißen Entdecker kamen.

Trotzdem wurden sie von diesen Entdeckern erstmals vermessen, kartiert, gezeichnet, beschrieben. Die Berge, Flüsse und Pässe existierten auch vor den Forschungsreisenden. Durch ihre Entdeckung aber wurden sie Teil des Bewusstseins der Welt.

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Der letzte Abenteurer

Käufliche Mythen

Zur Entdeckung aber gehörte nicht nur die Tat, sondern auch die Erzählung. Beginnend im 19. Jahrhundert und bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein zählten Forscher und Abenteurer zu den Bestseller-Autoren der lesenden Welt. Zeitungen und Bücher waren lange Zeit die einzigen Massenmedien. Afrika-Reisende wie David Livingstone und Henry Morton Stanley, die Polarforscher Fridtjof Nansen und Roald Amundsen oder, gerade in Deutschland, der schwedische Asienkenner Sven Hedin erzielten hohe Auflagen.

Ihre Geschichten waren dramatisch oder wurden, zum Zwecke der Popularisierung, dramatisiert: Die angebliche Rettung Livingstones durch Stanley; die Wettrennen um Nord- und Südpol; die lebensgefährliche Durchquerung von Wüsten und unwirtlicher Landstriche voller feindseliger Eingeborener. Viele dieser Schilderungen waren Annäherungen an die erlebte Wahrheit. Nachprüfbar war vieles nicht, aber es diente allemal der Bildung von Mythen und Legenden. Unter den wagemutigen Forschern waren etliche skrupellose Tollkühne. Stanley etwa nahm weder Rücksicht auf Leib und Leben seiner schwarzen Bediensteten noch jener, die bei den Entdeckungen seinen Weg kreuzten. Den Forschern wiederum folgten Handel und Ausbeutung oft auf dem Fuß. Die Helden und Kontinentdurchquerer jedenfalls waren auch die Wegbereiter des Kolonialismus.

Zu Zeiten Hillarys allerdings war dieser Prozess abgeschlossen. Der Neuseeländer zählte eindeutig zu den guten Abenteurern, er hat sich sein Leben lang für die Sherpas in Nepal eingesetzt, Schulen, Hospitäler und Stipendien finanziert oder organisiert. Tausende folgten Hillary auf den Gipfel der Gipfel. Heute kann man über Kathmandu nach Lukla am Fuß des Everest-Massivs fliegen. Die Invasion der Trekking-Leute und Bergsteiger hat allerdings auch Hillary erleichtert: Lukla Airport ist eines der wohltätigen Werke Hillarys.

Die Besteigung des Berges ist mittlerweile, wenn auch für viel Geld, bei spezialisierten Veranstaltern zu buchen. Gewiss, man muss trainiert sein und ein paar zehntausend Euro bezahlen können. Auch 2008 ist der Everest noch schwieriger zu bezwingen als etwa die Quellen des Nils (17 Tage, 2890 Euro einschließlich Berggorillas) zu erreichen sind oder die Besteigung des Kilimandscharo (7 Tage, ab Nairobi 840 Euro) angeboten wird.

Everest, Nilquellen und Seidenstraße sind käufliche Mythen geworden. Man kann sie von so gut wie jedem Punkt der Welt aus zu jeder beliebigen Zeit im Internet in stehenden und bewegten Bildern abrufen, sich in Satellitenaufnahmen an sie heranzoomen oder, wenn man noch so altmodisch ist, Bücher zu benutzen, einen der viel hundert Bildbände erwerben. Es gibt kaum mehr Geheimnisse um den höchsten Berg der Welt, den längsten Fluss der Erde und erst recht nicht mehr um den Schnee am Äquator, weil der nämlich wegen des Klimawandels vom Gipfel des Kilimandscharo wegschmilzt. Wo es aber keine Geheimnisse mehr gibt, gibt es auch keine Abenteuer mehr.

Natürlich kann man sich seine eigenen Abenteuer basteln, die gefährlichen (den Everest mit Skiern befahren) und die weniger gefährlichen (mit Hape Kerkeling den Jakobsweg bewandern). Am einfachsten und bis zu einem gewissen Grad auch durchaus gefühlsintensiv aber sind jene Abenteuer, die immer mehr Menschen vor dem Computer erleben. Hier sind in allen Arten von Simulations- und Strategiespielen Welten zu erforschen, zu besiedeln und zu erobern. Dieses Eintauchen in beliebig formbare Universen erfüllt jeden Bedarf an Mythen: Wer will, kann einen Drachen reiten, Rom regieren, Sophia Loren poppen oder ein Pokemon sein. Für alles das muss man nicht einmal mehr seine eigene Phantasie anstrengen, weil man diese Welten auf CD gebrannt im Kaufhaus bekommt.

Knapp 60 Jahre liegen zwischen Hillarys Gipfelsturm und der nahezu allumfassenden Konsumierbarkeit des höchsten Berges der Welt. Der Tod des letzten Abenteurers macht deutlich, wie schnell es gegangen und wie schade es ist.

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