Zum neuen Werk von Oswalt Kolle:"Aufhören? Der Typ bin ich nicht."

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Er war der Sexlehrer der Nation und fühlt sich noch immer so. Über Kolles Leben in Amsterdam, sein neues Buch und seine Frauen.

Thomas Kirchner

Eine Karriere als Publizist hat Oswalt Kolle nicht reich gemacht. Die Tantiemen von den Büchern und Filmen: verlebt, verloren, schlecht angelegt. Immer wieder sei er betrogen worden, erzählt Kolle, von den Produktionsfirmen, den Verlegern mit ihren Knebelverträgen. "Am Schluss kriegste zehn Prozent, so viel wie die Kioskverkäuferin von jedem Stern-Exemplar."

"Aber bis zur Bild-Zeitung ist das mit der Zärtlichkeit nicht durchgedrungen, die bringen weiterhin nur Arsch und Titten", so Kolles Fazit über seinen Feind der 60er Jahre.  (Foto: ag.ap)

Also wohnt er zur Miete, in einer ziemlich dunklen Erdgeschoss-Wohnung im Süden von Amsterdam. Dort lädt er zum Gespräch am Gartentisch. Blauer Anzug, weißes Hemd, ein bisschen zerknittert, die grauen Haare in einen Scheitel gezwungen, der nach oben hin strubbelig wird, als hätte er beim Kämmen die Lust verloren. Kolle ist jetzt 81 Jahre alt und braucht einen Rollator zum Laufen. Er könnte Ruhe geben und von den 1200 Euro Altersgeld leben, die alle Senioren in Holland bekommen.

"Hören Sie", sagt er mit einer Stimme, die von Zehntausenden Zigaretten malträtiert wurde, "ich war immer Autor. Aufhören? Der Typ bin ich nicht."

Er schreibt, hält Vorträge, lässt sich in Talkshows einladen, es gibt Pläne für eine mehrteilige TV-Sendung mit ihm. Das Thema: Sex natürlich. Sein Thema. In den sechziger Jahren schüttelte Oswalt Kolle den Muff aus den deutschen Betten, lehrte ein unwissendes Land die mannigfaltigen Spielarten der Liebe, Vorspiel und Cunnilingus, Fellatio und Masturbation, all das eben, was es noch so gibt außer rein und raus. Weltweit 140 Millionen Menschen sahen Filme wie "Deine Frau, das unbekannte Wesen" oder "Wunder der Liebe". "Aufklärer der Nation" wurde er genannt, und ein wenig fühlt er sich noch immer so, auch wenn seine sexologischen Erkenntnisse seit Mitte der Siebziger nicht mehr so gefragt waren. Die Deutschen hielten sich für aufgeklärt genug, sie brauchten ihn nicht mehr.

Das ist auch das Problem mit dem neuen Buch, das Kolle geschrieben hat. Über Sex im Alter. Auf die Idee sind schon ein paar andere Autoren gekommen, als Pionier ist er spät dran. "So bleibt die Liebe jung" heißt das schnell dahingeworfene Werk mit dem Untertitel: "49+ was? Na dann!". Erschienen ist es im Kleinverlag einer Bekannten und recycelt einige Vorträge der letzten Jahre.

Dennoch: ein echter Kolle! Ein freimütiger Ratgeber einerseits, der von Erektionsschwierigkeiten über das Vaginalmuskeltraining oder das "Stopp-and- Go-Programm" für die "Männer von der schnellen Truppe" alles Wesentliche anspricht. Auch die weibliche Ejakulation findet ausführliche Erwähnung. Von der Missionarsstellung rät er älteren Paaren ab, besser sei die stabile Seitenlage. Und Pornos schauen? Unbedingt! Gleichzeitig hat Kolle ein charmantes Plädoyer verfasst für den partnerschaftlichen Dialog, für die Geduld in der Liebe und jene "neue Kultur der Zärtlichkeit", die er von Anfang an propagiert hat. "Ich will nicht behaupten, dass ich damit sehr erfolgreich war", sagt Kolle.

Sicher, die Gesellschaft sei freier und toleranter geworden, eine Reihe von sexualfeindlichen Gesetzen, etwa zu Ehebruch und Kuppelei, ist gefallen, Schwule haben es bis ganz nach oben gebracht in der deutschen Politik. "Aber bis zur Bild-Zeitung ist das mit der Zärtlichkeit nicht durchgedrungen, die bringen weiterhin nur Arsch und Titten." Die Bild, für die er 1954 selber mal gearbeitet hatte, sie war sein Feind Ende der Sechziger, "der verlängerte Arm der katholischen Kirche". Bild und der Vatikan wüteten gemeinsam gegen die Pille. Und gegen Kolle. "Die haben mich als Schweinehund beschimpft, die wollten mich so kaputtmachen, dass ich nicht mehr aufstehe."

Widerspruch kam aber auch von links. "Den Studenten galt ich als Spießer, der die Ehe retten wollte. Die glaubten, sie könnten die Welt schon verändern, wenn sie sich mit dem nackten Hintern auf den Tisch der Bürgermeister setzen." Den Lieblingsspruch der Bewegung, "wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment", den fand er frauenfeindlich.

Kolle, Sohn des erfolgreichen Psychiaters Kurt Kolle, ist gelernter Landwirt und Journalist. In Hamburg, Berlin und München hatte er in der Nachkriegszeit für diverse, vor allem bunte Blätter gearbeitet, bis er 1964 zum Sexologen wurde. Das war eine Marktlücke, und er schrieb aus Erfahrung. Er hatte viel geliebt, Frauen wie Männer verguckten sich in sein markantes, breites Gesicht.

Als Klatschreporter kam er vielen Schönheiten jener Jahre näher: Rita Hayworth, Kim Novak, der Knef. Seine Frau Marlies, mit der er drei Kinder bekam, ließ ihm große Freiheit, aber einmal hätte er es fast übertrieben, als er sich in eine Affäre mit Romy Schneider stürzte, mit der er in Kitzbühel an einer Serie für die Quick gearbeitet hatte. Erst auf dem Flughafen zerriss er das Ticket nach Paris und kehrte voll Reue zurück.

Im Herbst 1968 dann ein Schlüsselerlebnis, die Bekanntschaft mit der "Droge Holland". Bei einer Pressekonferenz in Amsterdam schlug ihm Begeisterung entgegen über das "Wunder der Liebe", den Film, der überall "verketzert und zensiert" worden war. "Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Bei so toleranten Menschen wollte ich leben."

Er rief die Familie her, die damals in Italien wohnte - und blieb für immer. In den Niederlanden, wo "sogar die Katholiken lieb sind", hatte er nicht nur Ruhe vor den deutschen Staatsanwälten, er fühlte sich unter Gleichgesinnten, "ich war nicht mehr allein". Die holländische Sexualreformvereinigung NVSH zählte damals schon 250.000 Mitglieder und empfing Kolle mit offenen Armen. Inzwischen fühlt er sich "voll hollandisiert", ihm fällt nichts ein, was ihm in den Niederlanden auf die Nerven gehen würde. "Die Menschen sind viel offener, in Restaurants komme ich mit wildfremden Leuten ins Gespräch, das wäre unmöglich in Deutschland." Auch der Umgang mit den Alten sei phantastisch. Nur dass die Holländer nun einem Demagogen wie Geert Wilders hinterherlaufen, macht ihm Sorgen.

Politisch sieht er sich als Linksliberalen, er war Anhänger der alten Scheel-FDP, aber wenn er über die diversen möglichen Koalitionen nach der Parlamentswahl in den Niederlanden fachsimpelt, spürt man, wie weit er sich innerlich entfernt hat von der alten Heimat.

"Die Deutschen sind so verbohrt", sagt er. "Jede Talkshow beginnt und endet mit einer ideologischen Auseinandersetzung. In Holland fragt man: Was bringt es den Menschen?" Die Sterbehilfe ist so ein Beispiel, ein Thema, das ihn beschäftigt seit dem qualvollen Krebstod seiner Mutter vor 30 Jahren. Holland hat ein sehr liberales Euthanasie-Gesetz, und Kolle ist engagiert bei der Vereinigung für vorzeitige freiwillige Lebensbeendung. Als seine Marlies vor zehn Jahren an Brustkrebs starb, drehte sie am Ende selbst den Hebel an der Morphiumpumpe.

Auf dem Sterbebett legte sie ihm nahe, sich eine neue Frau zu suchen. Kolle, noch immer ein attraktiver Mann, brauchte nicht lange dafür. 2002 lernte er Josee kennen, eine blonde Amsterdamer Witwe, die fünf Minuten entfernt wohnt, auf der anderen Seite der Gracht. "Wir wohnen nicht zusammen, wir führen eine LAT-Beziehung", sagt Kolle stolz, "das kennen Sie doch, oder? Living apart together." Wie er am Telefon auf Holländisch mit Josee säuselt, muss man ihm glauben: "Ich bin verliebt."

Wenn er sich nur die Qualmerei abgewöhnen könnte. Er schreibt ja selbst, dass die Blutgefäße das nicht mögen. Und die braucht man nun mal für das "schönste aller Spiele". Er würde es gern noch eine Weile weiterspielen.

© SZ vom 26.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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