Süddeutsche Zeitung

Zivilschutzkonzept der Bundesregierung:"Angstgefühle können verstärkt werden"

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Was die Debatte um Hamsterkäufe, Pfefferspray und Bürgerwehren über unsere Gesellschaft sagt, erklärt Sozialpsychologe Ulrich Wagner.

Interview von Hannah Beitzer

SZ: Herr Wagner, wie viele Kästen Wasser haben Sie zuhause stehen?

Wagner: Das weiß ich überhaupt nicht, da müsste ich erst einmal nachschauen. Zehn Liter werden es nicht unbedingt sein.

Mit Vorschlägen zum Anlegen von Lebensmittelvorräten hat die Bundesregierung für Aufregung gesorgt. Die Opposition spricht von Panikmache. Was halten Sie als Sozialpsychologe davon?

Viele der Maßnahmen, die darin vorgesehen sind, betreffen ja gar nicht den Bürger direkt und sind durchaus sinnvoll. Es geht um Erdölvorräte, die Wasserversorgung im Fall einer Naturkatastrophe und ähnliches. Wenn so etwas Gegenstand eines Berichts der Bundesregierung ist, dann ist dagegen erst einmal nichts zu sagen.

Also war der Vorwurf der Panikmache selbst nur Panikmache?

Nicht ganz. Es kommt ja auch immer darauf an, in welchem Kontext ein solcher Bericht erscheint. Wir erleben gerade eine Reihe von Terroranschlägen und Amokläufen in Deutschland und weltweit. Auch wenn das Konzept eigentlich gar nichts mit den jüngsten Vorfällen zu tun hat, auch wenn es weder um Flüchtlinge noch um den Amokläufer von Nizza geht, spielen alle diese Fragen in unserer Wahrnehmung eine Rolle.

Wir führen bereits eine Sicherheitsdebatte, eine Debatte über stärkere Kontrollen, in die ein solches Konzept dann passt. Deswegen muss nicht gleich eine Panik ausbrechen - aber vorhandene Angstgefühle können verstärkt werden.

In letzter Zeit wird immer wieder Hysterie und unangemessene Panik angesichts politischer Ereignisse beklagt - sind wir heute ängstlicher als früher?

Wer in der Geschichte zurückblickt, wird feststellen, dass es immer wieder hysterische Zeiten gegeben hat. Denken Sie einmal an die Pestepidemien im Mittelalter, für die Juden verantwortlich gemacht wurden! Und auch in den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Phasen, in denen sich die Gesellschaft besonders bedroht gefühlt hat. Im Kalten Krieg gab es Anleitungen, wie sich Bürger Bunker in ihren Gärten bauen können. Es gibt aber heute einen wesentlichen Unterschied zum Kalten Krieg.

Welchen?

Im Kalten Krieg war klar, wer der Feind war. Es gab eindeutige Fronten, guter Westen gegen bösen Osten. Das ist bei den heutigen Terroranschlägen anders. Da ist oft gar nicht so klar: Wer ist eigentlich Opfer, wer ist Täter? Wenn sich zum Beispiel in der Türkei ein Kind auf einer Hochzeit in die Luft sprengt, Zivilisten, andere Kinder mit in den Tod reißt - dann ist das für viele gänzlich unvorstellbar. Wenn die Eindeutigkeit fehlt, wer Freund und Feind ist, dann machen wir uns unsere eigenen Feindbilder im Kopf. Und plötzlich hat ein recht harmloses Konzept zum Zivilschutz irgendwie doch mit muslimischen Flüchtlingen zu tun.

Inwieweit ist die Politik für diese Ängste mitverantwortlich?

Das Paradoxe ist, dass die Politik mit dem Versprechen von mehr Sicherheit, mehr Kontrolle auf die Vorfälle reagiert - auch, um Parteien wie der Alternative für Deutschland die Argumente zu nehmen. Ich finde jedoch, dass sie die oben beschriebenen Nebeneffekte zu wenig einkalkuliert. Wenn ein Politiker den Menschen die ganze Zeit erzählt, dass er sich jetzt verstärkt um ihre Sicherheit kümmert, dann fangen diese vielleicht erst an sich zu fragen: Bin ich noch sicher?

Welche Rolle spielen die Medien in diesem Prozess?

Eines ist ganz klar: Die Medien müssen über Terroranschläge und andere Katastrophen berichten. Es bringt überhaupt nichts, da etwas zu verschweigen. Aber es kommt eben auf das Wie an. Ein Negativbeispiel war die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zum Münchner Amoklauf. Stundenlang sah man dort Redakteure, die keine Neuigkeiten zu berichten hatten, dauerhaft hinterlegt mit Bildern flüchtender Menschen, rennender Polizisten. Das war völlig unverantwortlich. Da trifft der Vorwurf der Panikmache zu.

In dieser gesellschaftlichen Stimmung berichten Hersteller von Pfefferspray von steigenden Verkaufszahlen, auch die Anträge auf einen kleinen Waffenschein steigen, mancherorts gründen sich Bürgerwehren...

Das ist tragisch. Denn es ist eine Illusion anzunehmen, dass dadurch die Sicherheit des einzelnen steigt. Zum einen ist die Vorstellung doch ziemlich absurd, dass man einen Terroristen mit Pfefferspray oder einer Schreckschusswaffe abwehren kann.

Zum anderen müssen den Bürgerinnen und Bürgern die negativen Auswirkungen einer solchen Bewaffnung spätestens klar sein, wenn sie einen Blick in die USA werfen. Mehr Waffen in privater Hand führen eben nicht zu mehr Sicherheit. Es ist ja kein Zufall, dass in einem Land, in dem Waffenbesitz sehr alltäglich ist, der Tod durch Erschießen für die Gruppe der jungen Männer die häufigste Todesursache ist. Das sollten wir uns wirklich nicht zum Vorbild nehmen. Es ist wichtig, dass der Schutz vor Gewalt beim Staat liegt - und nicht bei Privatleuten.

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