Kolumne: Vor Gericht:Darf ein Springseil mit ins Flugzeug?

Lesezeit: 2 Min.

Seilspringen hält fit - das Sportgerät ist aber bisweilen sogar ein Grund, um vor Gericht zu klagen. (Foto: OneInchPunch/Westend61/IMAGO)

Und dürfen Privatleute ein Krematorium betreiben? An deutschen Gerichten werden oft kuriose Fälle verhandelt, die aber auch eines zeigen: Wie schwer Menschen manchmal im Alltag miteinander klarkommen.

Von Verena Mayer

An ein Zivil- oder ein Verwaltungsgericht verschlägt es die Presse eher selten. Das liegt nicht nur daran, dass die Verfahren weniger spektakulär sind als Strafprozesse. Sondern auch daran, dass die Urteile oft nur schriftlich ergehen. Wenn man Glück hat, schreibt eine Pressesprecherin den Fall zusammen. Meistens aber erfährt die Öffentlichkeit nicht viel über diesen Bereich der Justiz. Die Sache mit dem Springseil etwa. 2,74 Meter lang, Verkaufspreis 17 Euro.

Ein solches wollte ein Fluggast im Mai 2023 in eine Maschine von Berlin nach Köln/Bonn mitnehmen. Doch das Sicherheitspersonal ließ ihn damit nicht an Bord, Menschen könnten verletzt werden. Der Mann sagte, er sei aber schon auf dem Hinflug mit Springseil geflogen, es gab eine Diskussion. Die Bundespolizei musste kommen, die dem Mann drei Möglichkeiten ließ: Das Seil als Gepäck aufgeben, per Post versenden oder auf dem Flughafen zurücklassen. Spätestens an dieser Stelle würden sich die meisten von uns wohl von einem 17-Euro-Seil trennen, aber es gibt eben auch Menschen, die von einem Gericht geklärt haben wollen, ob sie mit einer Springschnur fliegen dürfen oder nicht.

Das ist nur eine der jüngsten Entscheidungen, die das Berliner Verwaltungsgericht getroffen hat. Andere, von denen ich aus Pressemitteilungen erfahren habe: Darf ein Schüler, der einen anderen ins Gesicht schlägt, von der Klassenfahrt ausgeschlossen werden (ja); muss ein Polizist, der im Einsatz einen Unfall verursacht, für den Schaden am Polizeiauto haften (ja); darf man ein Boot als schwimmende Bar nutzen (nein); müssen Eltern die Rückreise für ihr Kind zahlen, wenn es auf der Klassenfahrt Alkohol gekauft hat und heimgeschickt wird (ja); muss sich das Frauchen eines Hundes namens Dino für 17,50 Euro ins Berliner Hunderegister eintragen lassen (ja); können Privatleute ein Krematorium betreiben (ja), darf eine Frau auf einem Grundstück, das sie bebauen will, einen Zaun zum Schutz vor der wandernden Wechselkröte einrichten (ja); ist es gegen die Grundrechte, wenn eine Schule einem Jugendlichen für ein paar Stunden das Handy abnimmt (nein); darf eine Studentin, die während einer Online-Klausur über Prüfungsinhalte gechattet hatte, exmatrikuliert werden (ja); ist es zulässig, einem Autofahrer nach 159 Mal Falschparken den Führerschein zu entziehen (ja)?

Gerichtsverfahren sind ein Spiegel der Gesellschaft. Am Strafgericht erfährt man, warum Menschen sich über moralische und rechtliche Übereinkünfte hinwegsetzen. Die Zivilgerichte erzählen davon, wie schwer es für Menschen ist, im Alltag miteinander klarzukommen. Wie viele Aushandlungsprozesse es braucht, damit wir alle unser Leben führen können. In der Schule oder auf der Uni, mit Nachbarn oder mit Hunden, auf dem Wasser oder auf einer Immobilie, im Auto oder im Flugzeug. In Letzteres darf man übrigens kein Springseil mitnehmen.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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