YouGov-Umfrage:Die 1980er als Sehnsuchtsort

Modern Talking, 1985

Modern Talking in den 80ern. Und da soll alles besser gewesen sein?

(Foto: dpa)

Die Deutschen trauern den 80er-Jahren hinterher. Denkt man aber an Modern Talking und Tschernobyl zurück, stellt sich die Frage: Warum nur?

Von Sebastian Herrmann

Das goldene Zeitalter ist vergangen. Verweht. Vorbei. Doch immerhin ermöglicht eine aktuelle Umfrage unter 1040 Deutschen nun, dieses goldene Zeitalter einigermaßen präzise zu datieren. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hat also ermittelt, dass die 1980er-Jahre in der Rückschau eine schier unwiderstehliche Strahlkraft ausüben. 47 Prozent der Befragten gaben nämlich an, dass in diesem Jahrzehnt irgendwie alles besser gewesen sei als heute.

Gut, die 1990er und auch die 1970er kamen ebenfalls ganz gut weg, da fanden je 43 Prozent der Befragten, dass das Leben leichter, lustiger, unbeschwerter gewesen sei. Aber das Jahrzehnt, das der Menschheit Modern Talking, Tschernobyl und den Nato-Doppelbeschluss beschert hat, hängt die anderen Dekaden in Sachen Utopia-Faktor ab. Da fragt man sich: Haben diese sehnsüchtigen Menschen die 1980er-Jahre selbst erlebt?

Gehört Nostalgie ins Reich des chronisch Pathologischen?

Nostalgie galt einst als Krankheit. Der Schweizer Arzt Johannes Hofer hatte im 17. Jahrhundert - in dem ganz sicher alles besser war als heute - diese Mär in die Welt gesetzt. Als Mediziner ist es ja durchaus karriereförderlich, ein Leiden zu erfinden. So diagnostizierte Hofer bei schwermütigen Patienten also die Krankheit der Nostalgie und schrieb eine schmissige Dissertation, in der er Quecksilber, Abführ- und Brechmittel sowie Aderlässe empfahl, um diesem Leiden Herr zu werden. Spätere Generationen verlachten Diagnose und Therapie; manche Psychologen veröffentlichten in der jüngeren Vergangenheit sogar Studien, in denen sie Nostalgie als menschliche Stärke feierten.

Angesichts der aktuellen Umfrage muss aber ernsthaft diskutiert werden, ob der Schweizer Mediziner Hofer nicht doch recht hatte und Nostalgie wirklich ins Reich des chronisch Pathologischen gehört. Die 1980er-Jahre als goldenes Zeitalter - das kann nur als Leiden verstanden werden. Saurer Regen, Waldsterben, Chemie-Unfall in Seveso, Falklandkrieg, Vokuhila-Frisuren, Karotten-Jeans, "Ein bisschen Frieden" und Thomas Gottschalk als frische Hoffnung des deutschen Fernsehens: schöne Grüße aus den Achtzigern. Danach sehnen sich die Menschen? Herr Dr. Hofer, übernehmen Sie!

Andererseits sollten Patienten auch nicht zu streng behandelt werden. Denn wonach sehnen sich die Menschen denn nun wirklich? Natürlich nach ihrer Jugend, dem goldenen Zeitalter, in dem die Freuden groß und die Pflichten gering waren. In der eigenen Jugend, da war tatsächlich alles besser. Sogar wenn diese in den seltsamen 1980er-Jahren stattgefunden hat.

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