Süddeutsche Zeitung

Trends:Was ist denn nun das neue Yoga?

Lesezeit: 3 min

Von überall her kommen Meldungen, die nahelegen, dass Yoga längst ein alter Hut ist. Doch was ist der neuste Trend: Stricken, Backen, Imkern oder doch lieber Jagen?

Glosse von Christian Mayer

Männer ab einem gewissen Alter müssen aufpassen, die Zeichen der Zeit zu erkennen; um beweglich zu bleiben, bedarf es schon einiger Anstrengung. Zumindest glauben das die Männer, die jetzt, während der Pandemie, endlich mal ihr Leben ändern wollen - und anfangen, sich sehr bewusst in Stellung zu bringen, in die richtige Stellung natürlich. Das erfordert Überwindung, wenn man sich jahrelang gegen den Trend gewehrt hat, aus purem Trotz und aus Bequemlichkeit: Sollen doch die anderen auf ihren Yogamatten herumturnen und die Kobra probieren, bis das Rückenmark quietscht - man selbst blieb lieber beim Hanteln und Granteln.

Und dann kommt der Tag, an dem man doch noch in die Knie geht beziehungsweise in den nach unten schauenden Hund. Gerade noch rechtzeitig, um Schlimmeres zu verhindern. Der österreichische Gelegenheits-Buddhist André Heller weiß, wovon die Rede ist: Als er sich nicht mehr alleine die Schnürsenkel binden konnte, wurde er auf einmal ganz demütig, soweit das einem Künstlergenie wie ihm überhaupt möglich ist. Auch Heller ist in der Blüte seiner Jahre durch Yoga ein dehnbarer, dankbarer Mann geworden, der in seinem marokkanischen Gartenparadies offenbar nur noch "Glücksluft" atmet und das wunderbare Wirken der weiblichen Seele spürt, wie er gerne erzählt - an so einen Punkt würde man selbst auch gerne mal gelangen.

Dummerweise hat man den richtigen Zeitpunkt schon wieder verpasst. Denn von überall her kommen Meldungen, die nahelegen, dass Yoga längst ein alter Hut ist. Wann das Ganze losging, kann man nicht genau sagen, möglicherweise mit einer Geschichte, die der Deutschlandfunk sendete: "Saubermachen ist das neue Yoga". Youtuberinnen erzählten enthusiasmiert von der meditativen Wirkung des Staubwischens. Wo kann man sich besser dehnen und strecken, wo bleibt man geschmeidiger als beim Versuch, die festgetrocknete Spaghettisoße unterm Küchentisch wegzuwischen?

Die Pandemie musste doch auch ihr Gutes haben

Allerdings war das nur eine Variante, schließlich verbreitete die Welt fast zeitgleich die Botschaft: "Angeln ist das neue Yoga". Auch bei dieser Tätigkeit können gestresste Großstädter den Kopf freibekommen, ohne dass die Sache einen Haken hat, wenn man mal von den Fischen absieht. Ähnlich heilsam wie das Angeln ist zudem das Wald-Wellness in Oberösterreich, das von der Süddeutschen Zeitung ebenfalls als "das neue Yoga" angepriesen wurde, weil der Gesang der Bachstelze ungeheuer berauschend sei und überhaupt, die Kraft der Bäume ...

Wenig später surfte auch die Zeit auf der Welle: Stand-up-Paddling sei "das neue Yoga". Das war im April 2020, als viele noch glaubten, dass sich Corona spätestens im Herbst erledigt haben würde. Seit dieser Zeit überschlagen sich die Medien mit Vorschlägen für ein besseres, gesünderes, wertvolleres Leben; die Pandemie musste doch auch ihr Gutes haben. Stricken oder Häkeln, Töpfern oder Brot backen? Winterwandern oder Eisbaden? Oder doch lieber die Bienenzucht, das bevorzugte Hobby für "junge Städter", das unlängst von der FAZ gefeiert wurde, weil das Summen auf Dächern und Balkonen "heute zum guten Ton" gehört? Auch hier darf die obligatorische Titelfrage nicht fehlen, genauso wenig wie die achtsam hochgezogene Augenbraue: "Ist Imkern das neue Yoga?"

Ja, es ist schon irritierend. Soll man vielleicht sogar auf die taz hören, die man bisher zwar für etwas verschroben, aber nicht komplett durchgeknallt gehalten hat? Die Zeitung hat erkannt, dass man "dem Essen ins Auge sehen" sollte, am besten, indem man auf die Pirsch geht, denn: "Jagen ist das neue Yoga". Das ist nun wirklich erstaunlich, zumal ein vertrauenswürdiger Nachwuchsjäger von wildem Herzpochen berichtet, sobald er in bayerischen Wäldern mit dem Schießeisen auf das Reh seiner Wahl zielt. Andererseits sei er dabei, wie bei jeder Geschicklichkeitsübung, hochkonzentriert bis in die Fingerspitzen. Der Bekannte, alles andere als ein Gewaltmensch, zitiert auch gerne den spanischen Philosophen Ortega y Gasset: "Ich jage nicht, um zu töten, ich töte, um gejagt zu haben."

Und das klingt zwar bedeutungsvoll, aber nicht wirklich stressfrei. Vielleicht sollte man als Mann ab einem gewissen Alter doch lieber beim guten alten Yoga bleiben, in der Hoffnung auf ein wenig Glücksluft. Die Elastizität muss man sich dagegen hart erarbeiten.

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