Süddeutsche Zeitung

Worte als Waffen:Stiche mit dem "linguistischen Messer"

Worte sind nicht nur Schall und Rauch, wie der Volksmund behauptet. Sie können seelisch verletzen und die körperlichen Leistungen schmälern.

Patrizia Odyniec

Beleidungen und Provokationen lassen kaum jemanden ungerührt. Manchmal reagieren Betroffene sogar mit Gewalt. Man denke nur an den Kopfstoß von Zinedine Zidane gegen Marco Materazzi während der Fußball-WM in Deutschland. Der Ausfall des Italieners - angeblich gegen Zidanes Mutter und Schwester - hatte den Franzosen offenbar schwer getroffen. Schwer genug, um auszurasten.

Der Vorfall ist nur ein Beispiel dafür, dass sich Worte zu Gewalt nicht verhalten wie Zivilisation zu Barbarei. Verbale Auseinandersetzungen dienen nicht nur dazu einen Sachverhalt zu beschreiben, sondern werden auch eingesetzt, um andere zu verletzen, anzugreifen oder niederzumachen. Das diskutierten jetzt Wissenschaftler auf der Tagung "Gewalt durch Sprache" an der FU Berlin.

Beleidigen auf dem Bolzplatz

Sybille Krämer ist Professorin für Philosophie an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich mit Sprache als Gewaltform: "In vielen Sportarten werden Beschimpfungen benutzt um den Gegner nervlich zu schwächen. Das wirkt sich wiederum auf die körperliche Leistung aus." Der Gegner wird abgelenkt, die Konzentration und das Selbstwertgefühl sinken.

Auch im Alltag kann Sprache körperliche Konsequenzen haben - sie wirken wie eine Art "linguistisches Messer", so Krämer. Eine Beleidigung - und schon wird man rot, fängt an zu schwitzen, der Adrenalinspiegel steigt.

Dabei ist Beleidigung nicht gleich Beleidigung. Wichtig ist zum Beispiel, aus wessen Mund sie stammt.

Das Wort "Nigger" etwa ist eine der schlimmsten, rassistischen Beschimpfungen in Amerika. "Wenn ein Weißer einen Schwarzen zusammenschlägt , kann er vor Gericht fünf Jahre wegen Körperverletzung bekommen. Benutzt der Weiße das Wort "Nigger" und haut dann drauf, handelt es sich um ein rassistisches Verbrechen und wird mit bis zu 25 Jahren geahndet" so Krämer.

Ein einziges Wort kann in den USA also einen Unterschied von zwanzig Jahren Gefängnis machen.

Auch in Deutschland wird die Beleidung ethnischer Gruppen sehr ernst genommen. Wer etwa die Menschenwürde anderer dadurch angreift, das er "Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet" (§ 130 StGB), begeht Volksverhetzung und wird einer mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

In der von dunkelhäutigen Menschen geprägten HipHop Szene hingegen gilt "Nigga" keinesfalls als Erniedrigung - allerdings nur aus dem Munde von Schwarzen: "Selbst der weiße Rapper Eminem benutzt das Wort nicht. Er erkennt es als Vorrecht der Schwarzen an", sagt Sibylle Krämer.

Prädikat Bitch

Beschimpfungen können aber auch Schutz bieten, wie die Professorin weiß: "Ausgrenzung schafft Identität. Besonders wenn man das Schimpfwort zum Prädikat erhebt"

Ähnlich wie das Wort "Nigga" hat auch der Begriff "Bitch" (Miststück, Hure) eine Bedeutungswende erfahren.

Das gleichnamige feministische US-Magazin etwa hat seinen Titel bewusst gewählt: "Das B-Wort wird auch für Frauen benutzt, die eine eigene Meinung haben und sich nicht scheuen diese auszudrücken", lassen sie auf ihrer Internet Seite www.bitchmagazin.com verlauten.

Mit dieser Wortdefinition identifiziert sich die Zeitschrift und die Beleidigung wird plötzlich zum intellektuellen Aushängeschild. Leider funktioniert dies nur für Personen, die sich in der Mitte einer Gesellschaft befinden - und wenn Beleidigungen den sozialen Status, die Identität angreifen.

"Je näher jemand an der Peripherie steht, umso tragischer ist für ihn die Verletzungen, die er erleidet, und umso stärker ist die Ausgrenzung", erklärt Krämer. Seine eigene Außenseiterposition als positive Etikettierung zu benutzen funktioniert nur so lange, wie man selbst nicht sein Geld auf der Straße verdient oder im Ghetto wohnt.

Worte wie Taten

Natürlich könne man Beschimpfungen und körperliche Gewalt nicht gleich setzen, so die Philosophin. Aber eine vollständige Trennung, wie sie oft in Philosophie und Sprachwissenschaft zu finden ist, sei ebenfalls nicht angebracht. Schließlich haben Wörter weitreichende Konsequenzen.

Das hat auch die Disziplinarkommission des Weltverbandes Fifa so gesehen. So fiel die Strafe für Kopfnussverteiler Zidane nicht viel härter aus als die für Materazzis Beleidigungsattacke.

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