Süddeutsche Zeitung

World Press Photo Award 2007:"Wir ziehen uns immer so an!"

Spencer Platts Foto aus dem Libanon zeigt Glamour im Kriegsgebiet. Nun erklären die fünf im roten Mini, wie es zu dieser Situation gekommen ist.

Sonja Zekri

Fünf schöne junge Menschen fahren in einem roten Cabrio durch Dahije, das kriegszerstörte Schiitenviertel im Süden Beiruts. Eine junge Frau fotografiert das Elend mit ihrem Handy, eine andere hält sich angewidert ein Taschentuch vor die Nase.

Der amerikanische Fotograf Spencer Platt hatte das Bild im vergangenen Jahr zwei Tage nach dem Waffenstillstand zwischen Israel und Libanon aufgenommen und bekam dafür den World Press Photo Award. Das Bild zeige die Komplexität und Widersprüchlichkeit des wirklichen Lebens, urteilte die Jury. Es zeige kaltschnäuzigen Trümmer-Tourismus, befanden viele andere. "Wohlhabende Libanesen fahren durch das zerbombte Südbeirut", schrieb die Los Angeles Times unter das Bild.

Sechs Monate nach Kriegsende hat der belgische Journalist Gert Van Langendonck die fünf im roten Mini aufgespürt, und es zeigt sich, dass man das Bild womöglich ein wenig anders begreifen muss. Jad Maroun und seine Schwestern Bissan und Tamara sind Christen, lebten selbst in Dahije und flohen, als der Krieg ausbrach, schreibt Langendonck in der New Yorker Fotografie-Zeitschrift Photo District News.

Lana al-Chalil, der der feuerrote Mini gehörte, hatte ihr Apartment in Hamra schiitischen Flüchtlingen überlassen und stürzte sich in die Arbeit für eine Nichtregierungsorganisation, um Vertriebenen zu helfen. Am 15. August baten die drei Geschwister aus Dahije sie um ihren Wagen, um zu sehen, was von ihrem Haus noch übrig war. Dass Platt sie bei ihrer Fahrt durch die Ruinen fotografierte, haben sie nicht bemerkt.

Er habe vorher schon daran gedacht, ob das Aufklappen des Verdecks womöglich einen falschen Eindruck erwecken könnte, sagt Jad Maroun: "Aber wir waren zu fünft im Wagen, und es war heiß." Seine Schwester Bissan ergänzt: "Sehen Sie sich das Foto doch mal an! Der Ausdruck auf unseren Gesichtern ist Bestürzung. Wir hatten keinen Spaß."

Und die Sonnenbrillen? Die Tanktops? In diesem armen und konservativen Viertel?

"Mann, wir sind Libanesen!", antwortet die 21-jährige Nur Nasser: "Wir haben uns nicht extra feingemacht, um nach Dahije zu fahren, wir ziehen uns immer so an." Gerade diese Widersprüche machen ja den Libanon aus, sagt Lana al-Chalil: "Glamour ist ein Teil unseres Lebens, er transzendiert Klassenunterschiede: Selbst wer arm ist, will toll aussehen."

Dass ausgerechnet dieses Foto ausgezeichnet wurde, sei eine Beleidigung für alle Fotografen, die ihr Leben riskierten, hat der libanesische Fotograf Samer Mohdad kritisiert. Andere lobten gerade den Bruch mit der traditionellen Kriegsfotografie. Spencer Platt, der die fünf aus Beirut nie kennengelernt hat, sieht die Wirkung des Bildes heute gerade in seiner Ambivalenz: "Das Foto fordert uns, die Betrachter, auch auf, unsere stereotypen Vorstellungen von Kriegsopfern zu überprüfen."

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Quelle:
SZ vom 27.2.2007
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