Wolfgangsee:Salz und Schmalz

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Helmut und Hannelore Kohl bei einer Bootsfahrt auf dem Wolfgangsee 1990. (Foto: imago stock&people)

Seit Jahrhunderten ist der Wolfgangsee ein Sehnsuchtsort für gekrönte Häupter, Kanzler und einfache Touristen. Nun trübt Corona das Vergnügen. Eine kleine Kulturgeschichte

Von Leila Al-Serori

"So ein Sommer bringt uns Geld wie Heu", trällern die Hotelangestellten im Filmklassiker "Im weißen Rößl" aus den Sechzigerjahren gleich in den ersten Minuten. Es wird fröhlich jauchzend getanzt, der "Zauber der Saison" am österreichischen Wolfgangsee besungen. Dieses Jahr liegt der Zauber der Saison brach. Schuld daran ist das Coronavirus, mit dem sich Dutzende Menschen, vorrangig Hotelpersonal, im Juli in St. Wolfgang ansteckten.

Österreich lebt bekanntlich vom Tourismus, lebt von "der Saison". Und im Salzkammergut, in der bekannten Region am Nordrand der Alpen rund um Hallstatt, Bad Ischl oder eben den Wolfgangsee, gilt das ganz besonders. Wenn hier ein Ort zum Corona-Cluster wird, dann leidet nicht nur ein Touristenort, es leidet ein ganzer Mythos: der Mythos von der heilen, fast schon kitschig idyllischen Berg- und Seenwelt, den die Besucher so gerne mit Österreich assoziieren. Vor allem der Wolfgangsee steht dafür: eine Bergkulisse wie gemalt, der grünblaue See, das deftige Essen.

Hier hat schon der Habsburger-Kaiser Franz Joseph seine Sommerfrische verbracht. So wie auch der CDU-Politiker Helmut Kohl, der am Wolfgangsee jeden Sommer seine "Kanzlerferien" verbrachte. Noch heute serviert die Konditorei Dallmann in St. Gilgen die "Kanzlertorte" mit Nuss und dunkler Schokolade zu seinen Ehren. "Dies ist eine Gegend", sagte Kohl 1985 in der ihm eigenen Art über den Wolfgangsee, "in der Kultur und Landschaft förmlich in einer Wesenheit zusammenfließen."

Der Film "Das weiße Rößl" hallt bis heute nach, denn die Leute lieben den Kitsch

Der Mythos der heiteren Idylle, der die Kassen der Hoteliers und Gastronomen klingeln lässt, hat seinen Anfang im 19. Jahrhundert. Damals entdeckte das urbane Großbürgertum die Region. Kaiser Franz Joseph machte es vor und verbrachte die heißen Sommerwochen abseits des schwülen Wiens lieber im deutlich kühleren Salzkammergut. 82 Sommer soll er in seiner Residenz in Bad Ischl verbracht, dort seine ideale Seen- und Seelenlandschaft gefunden haben. 1845 schon, damals erst 15 Jahre alt, schrieb Franz Joseph in einem Brief an seine Mutter: "Oh, wie sehne ich mich nach dem lieben, lieben Ischl."

Der Wolfgangsee auf einer historischen Karte. (Foto: imago stock&people/imago/Arkivi)

Von Bad Ischl aus regierte der Kaiser, besuchte die umliegenden Seen und Berge. Von hier konnte er jagen, wandern und 1914 sogar während seines letzten Sommeraufenthalts die Kriegserklärung an Serbien unterschreiben, die den Ersten Weltkrieg auslöste. Noch heute ist der Kaiser omnipräsent in der Kurstadt, jeden 18. August feiern die Ischler weiterhin seinen Geburtstag - inklusive Franz-Joseph-Darsteller, der mit Kutsche durch die Stadt, an den Menschenmengen vorbeifahren darf. Auch am von Bad Ischl nicht weit entfernten Wolfgangsee ist Franz Joseph überall zu sehen: Sei es an der Außenwand des Hotels "Im weissen Rössl", wo an den früheren Stammgast erinnert wird, oder in Form des nostalgischen Schaufelraddampfers, der seinen Namen trägt.

Das Salzkammergut und die Habsburger verband aber schon lange vor Franz Joseph eine jahrhundertelange Beziehung. Später war es vor allem die schöne Landschaft, die sie in die Region lockte, doch ganz zu Beginn, im Mittelalter, ging es vor allem um den Stoff, der im Inneren der Berge verborgen war. Albrecht (1255 - 1308), Herzog von Österreich und der Steiermark, zeigte als erster Habsburger reges Interesse an der Salzindustrie, er führte sogar einen "Salzkrieg" mit dem Salzburger Erzbischof um die Vorherrschaft in der Region. In dieser Zeit bekam das an Salz so reiche "Kammergut" einen Sonderstatus im Habsburgerreich, als direkter Besitz der Landesherrn gehörte es den Kaisern des Heiligen Römischen Reichs und garantierte den Bewohnern Lohn und Brot.

1823 eröffnete Bad Ischl, das erste Heilbad mit Salzwasserkuren, und mit Staatskanzler Fürst Metternich und Erzherzog Rudolf kamen die ersten prominenten Kurgäste. Die Sommerfrische im wahrhaft frischen Salzkammergut mit seinem häufigen "Schnürlregen" zu verbringen, wurde modern. Kaiser Franz Joseph adelte die Region Ende des 19. Jahrhunderts endgültig mit seinen Besuchen. In Bad Ischl bezog er die Kaiservilla, die ihm und seiner Gemahlin Elisabeth fortan als Sommerresidenz diente. Große Teile des Hofes und des Adels folgten, die kulturelle Elite seiner Epoche reiste an. Komponisten wie Johann Strauß, Johannes Brahms oder Franz Léhar, der Schriftsteller Stefan Zweig oder der Maler Gustav Klimt: Sie alle verbrachten Zeit im Salzkammergut und verewigten die malerische Landschaft in ihren Werken.

Die Erschließung der Alpen für den Tourismus wurde nun immer professioneller. Über die türkisfarbenen Seen dampften die Raddampfer, es wurden Promenaden und Nobelhotels errichtet, die Infrastruktur und die Bahnstrecken ausgebaut. Die Touristen waren fortan die Haupteinnahmequelle der Region.

Dass der Wolfgangsee internationale Schlagkraft gewann, lag aber ausgerechnet an einem Berliner: dem Autor und Theatermacher Oskar Blumenthal. Er schrieb 1896 während eines Urlaubs in seiner Villa in Bad Ischl gemeinsam mit dem österreichischen Autor Gustav Kadelburg ein heiteres Lustspiel über das Liebesleben "Im weißen Rößl" und feierte damit einen Publikumserfolg im Berlin der Jahrhundertwende. Und auch wenn Blumenthal der Legende nach gar nicht das Hotel am Wolfgangsee im Kopf gehabt haben soll, als er das Stück verfasste, so vermarktete die geschäftstüchtige Wirtin des "Rössl" von St. Wolfgang ihr Haus fortan als Original - mit beträchtlichem Erfolg.

1930 vertonte Ralph Benatzky das Stück als Operette und ließ es in Berlin inszenieren. Der Theaterkritiker Alfred Kerr sagte über die Uraufführung, die "fremdesten Parkettbesucher" seien "einander an die Brust" gesunken "vor Wonne". Die BZ am Mittag schrieb: "Die Landschaft von Wolfgang baut sich bis in die alpenglühenden Gipfel auf." Das "Rößl" mit seinen bekannten Ohrwürmern ("Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist", "Die ganze Welt ist himmelblau") ging nun um die Welt, In London, Paris oder New York gab es Theateraufführungen. Der See wurde zur beliebten Destination, 1930 gab es sogar Flugverkehr von Berlin nach St. Wolfgang. Die Landung erfolgte mit einem Wasserflugzeug.

Wenig später verboten die Nationalsozialisten das Erfolgsstück, das Propagandaminister Joseph Goebbels als "jüdische Kitschoperette" verunglimpfte. Doch gleich nach dem Zweiten Weltkrieg ging es weiter mit dem Rößl-Rausch, der Stoff wurde mehrfach verfilmt. Am bekanntesten ist die Version von 1960 mit Peter Alexander und Waltraut Haas in den Hauptrollen. Die Filmemacher verlegten die Liebesgeschichte rund um den Oberkellner und die Wirtin des "Weißen Rößl" in die Gegenwart, reicherten die Musik mit Swing- und Schlagerelementen an und brachten die Farben der Landschaft im buntesten Technicolor auf die Leinwand. Gefilmt wurde dafür an Originalschauplätzen - dass im weißen Rössl am Wolfgangsee "das Glück vor der Tür" steht, wie es im Schlager heißt, kriegt man nicht mehr so schnell aus dem Kopf.

Das Hotel, das sich seit 1912 im Besitz der Familie Peter befindet, lebt seitdem hervorragend vom Klischee. Der Wolfgangsee ist der magische Anziehungspunkt der Region - Konkurrenz bekommt er nur von der etwa dreißig Kilometer entfernten Marktgemeinde Hallstatt, die vor allem von chinesischen Touristen überrannt wird, zumindest in der Vor-Corona-Zeit. Es ist ja auch einfach zu idyllisch, wenn man sich die Menschenmassen wegdenkt: blumengeschmückte Holzbalkone, eine Kirche, die auf einer Halbinsel beinahe in den Hallstätter See hineinragt, sogar ein Wasserfall. Dazwischen Schilder an jeder Ecke, dass man die Privatsphäre der Anwohner doch wahren solle, dass Drohnen verboten seien oder dass man sich doch bitte etwas leiser verhalten solle. Seit den Corona-Einreisebeschränkungen muss der Ort ohne die asiatischen Touristen auskommen, überfüllt ist Hallstatt allerdings wie eh und je.

Satire gegen Helmut Kohl: 1998 sollten sechs Millionen Arbeitslose den See zum Überlaufen bringen

Zurück an den Wolfgangsee, diesmal an die Nordwestseite. Diese entdeckte in den Siebzigerjahren Helmut Kohl für sich - bis zum Tod seiner Frau Hannelore 2001 verbrachte er jeden Sommer in St. Gilgen, immer im selben gemieteten Haus an der Mondseestraße mit direktem Seezugang. Dort erholte er sich von der Bonner Politik, genoss die Natur - auch gerne vor den Fotografen, die die Öffentlichkeit mit inszenierten Kanzlerferien-Fotos versorgten: Kohl beim Baden, beim Bootfahren, beim Streicheln von Tieren. Immer an seiner Seite: Hannelore mit Strohhut oder jägergrünem Janker. "Ist das nicht herrlich", soll Helmut Kohl in solchen Momenten gerne gesagt haben.

Wie um die Jahrhundertwende wegen Kaiser Franz Joseph kamen die Touristen nun wegen Helmut Kohl. Und wie der Kaiser nahm der Kanzler die Arbeit mit an den See. Auch wichtige Staatsgäste fanden sich in St. Gilgen ein, um den Bundeskanzler zu treffen. Etwa Margaret Thatcher 1984. Die britische Premierministerin soll allerdings "not amused" gewesen sein, als Kohl nach einer Stunde das Gespräch beendete, angeblich wegen eines anderen Termins - und dann im Kaffeehaus beim Kuchenessen gesichtet wurde. Womöglich aß der Kanzler sogar die für ihn kreierte Kanzlertorte, so genau ist das aber nicht überliefert. 1985 ernannte St. Gilgen Helmut Kohl zum Ehrenbürger. Das sommerliche Spektakel dort war auch eine Steilvorlage für den Künstler und Regisseur Christoph Schlingensief: Für die Satire-Aktion "Baden im Wolfgangsee" lud Schlingensief sechs Millionen Arbeitslose ein, dort ins Wasser zu springen - dadurch sollte der Pegel des Sees um zwei Meter steigen und das Ferienhaus der Kohls überfluten.

Christoph Schlingensief im August 1998 bei seinem "Protest-Bad" gegen Helmut Kohls Arbeitsmarktpolitik. (Foto: dpa)

Heute ist die Region längst nicht mehr der Sehnsuchtsort, der sie zu Kaisers Zeiten war. Schon lange bevor das Coronavirus den Mythos ramponierte, ließen die Touristenströme nach. 1990 wurden am Wolfgangsee noch mehr als 1,3 Millionen Nächtigungen gezählt, 2015 waren es knapp 900 000.

Der Großteil der ausländischen Touristen im Salzkammergut sind nach wie vor die Deutschen - vor allem die älteren. So sind sie auch in der Filmversion vom "Weißen Rößl" verewigt, wie sie verzückt auf das ruhig daliegende Wasser vor der Hotelterrasse blicken. Heute trübt das Corona-Virus die Idylle. Heil ist bei steigenden Infektionen und Massentests ja erst mal gar nichts. Auch wenn der Wolfgangsee so grünblau schimmert wie eh und je.

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