Wohnformen:Funktionale WG: Mein-T-Shirt ist auch dein T-Shirt

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Teilen ist in einer WG an der Tagesordnung. In der Funktionalen WG geht das soweit, dass niemand mehr ein eigenes ZImmer hat. (Foto: IMAGO)

Gemeinsame Kleiderschränke, das Essen ist Gemeingut und alle schlafen im gleichen Zimmer: Bei der neuen FuWo-WG gehört allen alles und statt eigener Zimmer sind die Räume nach Funktionen aufgeteilt.

Von Philipp Bovermann, Berlin

Das eigene Zimmer gibt der Individualität seines Besitzers Raum - echten, messbaren Raum, umschlossen von den sprichwörtlichen eigenen vier Wänden. Seit ein paar Jahren allerdings gibt es bei WGs in den überteuerten Szenevierteln der Großstädte einen neuen Trend, in dem eigene Zimmer für die Bewohner nicht mehr vorgesehen sind.

Der trügerisch nüchterne Begriff "Funktionales Wohnen" bedeutet, dass die Räume stattdessen nach Funktionen aufgeteilt werden. So entsteht etwa ein gemeinsames Schlafzimmer für alle Mitbewohner, ein Zimmer für die ungestörten Stunden zu zweit - und bürgerlicher Luxus wie ein Hobbyraum oder ein Wohnzimmer. Das gelingt ausgerechnet durch die Preisgabe zweier wesentlicher Bedingungen des bürgerlichen Selbstverständnisses: Privatheit und Besitz.

Ohne die Dogmatik der Siebzigerjahre-Kommunen

Denn die meisten "FuWos" teilen nicht nur die Zimmer, sondern auch alles, was sich darin befindet. Wem was gehört, wessen Bereich wo liegt, ist alles egal, und zwar ganz ohne die Dogmatik der Kommunen in den Siebzigern.

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Denen gegenüber neu ist ein letztlich pragmatisches, ökonomisches Denken: Wenn es nur einen einzigen Kleiderschrank in der WG gibt, hat jeder mehr zum Anziehen. Es ist einer der ganz seltenen Punkte, an denen sich das Denken von Hippies und das neoliberaler Technokraten berühren - das alte Versprechen des Kapitalismus und der Religion: Alles wird eins, vor dem Göttlichen, oder vor dem Geld.

Diese radikale Form einer Sharing Economy hängt allerdings zugleich mit einem veränderten Selbstverständnis der Bewohner zusammen: Nicht mehr das Individuum und die Bereiche des Eigenen, über die es sich darstellt, stehen im Vordergrund, sondern das soziale Geflecht, mit dem es sie teilt.

Die Bewohner müssen sich ständig miteinander auseinandersetzen, so entstehen verstörend intensive, familienähnliche Beziehungsgeflechte, mit Formen körperlicher Intimität diesseits des Sexuellen.

Klingt toll, ein wenig abgehoben vielleicht, aber wie funktioniert das genau in der Praxis? Unser Autor hat eine FuWo in Berlin-Neukölln besucht. Er hat während eines "WG-Plenums" auf dem Riesenbett einer Berliner FuWo gesessen und erfahren, wie das Leben ohne privaten Rückzug aussieht. Er hat bei der "Emo-Runde" zugehört, wie es den Bewohnern geht in einer WG, in der das Eigene auch das Öffentliche ist, und insofern das Private ganz unmittelbar auch politisch. Und er hat einen jungen Mann kennengelernt, der eigentlich nicht hier wohnt, aber irgendwie auch doch - so eindeutig kann man das gar nicht mehr sagen in einer "Super-FuWo" aus mehreren Wohnungen.

Lesen Sie die ganze Reportage aus der FuWo in Berlin-Neukölln mit SZPlus:

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