Süddeutsche Zeitung

Wohnungsmarkt in Berlin:Noch zu haben

  • Ein Haus in Berlin soll verkauft werden. Sieben Stockwerke hoch und in bester Innenstadtlage, Kaufpreis 6,9 Millionen Euro.
  • Alltag in einer Stadt mit einem boomenden Immobilienmarkt, auf dem sich Investoren aus aller Welt tummeln.
  • Doch die Mieterinnen und Mieter haben nicht vor, sich ihr Haus wegkaufen zu lassen. Sie haben sich zusammengetan und suchen nun selbst einen Käufer.

Von Verena Mayer, Berlin

Der Brief, der alles veränderte, kam zu Pfingsten. Darin stand, dass die Wohnung von Yvonne S. verkauft werden sollte. Sie solle sich bereithalten, bald würden Leute zur Besichtigung kommen. S., alleinerziehende Mutter einer Tochter, dachte erst, es gehe nur um ihre Wohnung. Aber als sie mit den Nachbarn redete, war klar, dass alle diesen Brief bekommen hatten. 21 Mietparteien, die plötzlich nicht mehr wussten, wie lange sie noch ein Dach über dem Kopf haben würden.

Ein Haus in Berlin soll verkauft werden. Sieben Stockwerke hoch und in bester Innenstadtlage, Kaufpreis 6,9 Millionen Euro. Alltag in einer Stadt mit einem boomenden Immobilienmarkt, auf dem sich Investoren aus aller Welt tummeln. Jeder in Berlin hat jemanden in seinem Umfeld, der aus seiner Wohnung rausmuss oder dem nach einer Sanierung die Miete um mehrere Hundert Prozent erhöht wurde. Man redet in Berlin über solche Dinge inzwischen so abgeklärt wie über das Wetter, als Teil des Lebens, den man hinnehmen muss.

Und doch ist diese Geschichte anders als sonst. Denn die Mieterinnen und Mieter haben nicht vor, sich ihr Haus wegkaufen zu lassen. Sie haben sich zusammengetan und suchen nun selbst einen Käufer. An die Öffentlichkeit wenden sie sich mit folgendem Satz: "Freundliche Mieter suchen Investor mit Herz."

Die Hausgemeinschaft ist bunt gemischt

Berlin-Friedrichshain, Anfang der Woche. In einer Wohnung im zweiten Stock klingelt es alle paar Minuten, die Hausbewohner kommen zusammen, um zu beraten, wie es weitergeht. Es ist eine bunte Mischung, die sich im Wohnzimmer auf dem Sofa und auf Stühlen zusammendrängt. Junge und Ältere, Leute, die frisch zugezogen sind, ein Paar, das seit Jahrzehnten hier wohnt. Eine Frau ist Juristin, ein Mann Dokumentarfilmer, ein anderer arbeitet im Jobcenter, viele kommen aus dem Osten. So wie Sylvia Dornbusch, 56. Sie hat einen Verlag aufgebaut, seit 1990 lebt sie in dem Haus, das nicht nur ihre Heimat ist, sondern auch der Ort, den sie nicht so einfach verlassen kann. Dornbusch ist Rollstuhlfahrerin und allein schon auf den Fahrstuhl im Haus angewiesen.

Wenn Dornbusch aus dem Fenster sieht, blickt sie auf einen besonderen Ort. Den Strausberger Platz nämlich, mit einem Springbrunnen in der Mitte und eingebettet in die Karl-Marx-Allee, den Prachtboulevard im stalinistischen Zuckerbäckerstil. Der Ort ist in mehrerer Hinsicht geschichtsträchtig. Hier nahmen Ereignisse wie der Aufstand vom 17. Juni 1953 oder die Demonstrationen 1989 gegen das SED-Regime ihren Ausgang. Und soeben wurde die Karl-Marx-Allee zum Symbol dafür, wie eine Stadt mit der Wohnungsnot umgehen kann. Anfang der Woche wurde bekannt, dass in Berlin eine gewaltige Rückkaufaktion über die Bühne gegangen ist: Das Land Berlin hat 670 Wohnungen an der Karl-Marx-Allee, die eigentlich an den Immobilienkonzern Deutsche Wohnen verkauft werden sollte, selbst erworben. Für einen kolportierten Kaufpreis von 4000 Euro pro Quadratmeter. Der Regierende Bürgermeister sprach von einem ersten Schritt, damit sich "Berlinerinnen und Berliner das Wohnen in der Stadt weiterhin leisten können".

Die Immobilienfirma ist auf ihrer Seite

Die Bewohner am Strausberger Platz haben davon allerdings nichts. Denn ihr Haus ist zwar eingebettet in das architektonische Ensemble der Karl-Marx-Allee, gehörte aber nicht zu dem Paket, das vom Land Berlin zurückgekauft wurde. Und so müssen sie selbst sehen, wo sie bleiben. Sie konnten den Eigentümer, eine Erbengemeinschaft aus Westdeutschland, überzeugen, ihnen Zeit zu gewähren, um selbst nach einem Käufer zu suchen. Selbst die Immobilienfirma, die den Verkauf über die Bühne bringen soll, steht auf ihrer Seite. Es gefalle ihm, dass die Mieter "positiv mobil machen", sagt Sven Wärren, der Geschäftsführer. Man wolle "keinen Aufteiler und keine Luxuswohnungen", sondern einen Investor, der "historisch interessiert" sei und den Mietern entgegenkomme. Wie groß die Chancen sind, eine derartig philanthropisch veranlagte Person zu finden, kann er auch nicht sagen.

Die Zeit läuft jedenfalls. Findet sich in den kommenden sechs bis acht Wochen kein Interessent, werden die Wohnungen wohl einzeln verkauft. Und dann droht das, was in solchen Fällen meistens passiert: Den Mietern wird wegen Eigenbedarfs gekündigt. Die ersten Leute waren schon zur Besichtigung da, erzählt Yvonne S. Süddeutsche seien das gewesen, Israelis oder Chinesen, die ganz unverblümt sagten, dass sie die Wohnung für sich selbst nutzen wollten.

Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft

Im Wohnzimmer im zweiten Stock wird die Diskussion jetzt hitziger. Wie soll man vorgehen, was kann man noch tun? Die Sozialarbeiterin schlägt vor, den dm-Gründer Götz Werner anzuschreiben, weil der für sein soziales Engagement bekannt sei. Ein Nachbar meint, man könnte Bettlaken zum Protest aus dem Fenster hängen, so wie die Mieter der Karl-Marx-Allee, die auf diese Art über Monate auf sich aufmerksam gemacht haben. Oder sollte man doch lieber ein Hoffest veranstalten oder auf dem Strausberger Platz demonstrieren?

Und so steht das Haus am Strausberger Platz auch dafür, dass es heute nicht mehr ausreicht, Hilfe beim Mieterverein oder anderen Beratungsstellen zu suchen. Inzwischen fürchten so viele Leute um ihre Wohnung, dass man nur mehr Chancen hat, wenn man Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. An allen Ecken und Enden veranstalten Mieter in Berlin daher Konzerte, Feste oder Demos gegen Hausverkäufe oder Mieterhöhungen. Oder suchen eben nach einem "Investor mit Herz".

Und was können sie dem eigentlich bieten? "Uns", sagt Yvonne S. und strahlt nun zum ersten Mal. Eine Nachbarschaft, wie man sie sonst nicht so schnell finden würde: Leute, die zusammenhalten, sich helfen, aufeinander aufpassen. Wie schön das sei, das zeige sich jetzt erst wieder.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019/fzg
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