Süddeutsche Zeitung

Wissenschaftliche Studien:Armut macht krank

Die größte Gefahr von allen: Armut führt dazu, dass Menschen früher sterben und häufiger leiden müssen.

Werner Bartens

Die Gefahren für Leib und Leben werden von der Forschung in immer mehr Mosaiksteine zerlegt. In der Medizin zeigt sich dies am Begriff der Risikofaktoren - Ärzte kennen beispielsweise mehr als 200 gesundheitsschädliche Verhaltensweisen und Umstände, die einen Herzinfarkt begünstigen. Der größte Risikofaktor jedoch, der stärker als alle anderen Lebensbedingungen das Wohlbefinden beeinträchtigt, wird häufig vernachlässigt: Armut ist das Gesundheitsrisiko schlechthin. Armut macht krank. Armut führt dazu, dass Menschen früher sterben und häufiger leiden müssen, sich schlechter von einer Erkrankung erholen und dass weniger Babys die ersten Tage nach der Geburt überleben.

Mediziner und andere Gesundheitsexperten wissen das schon länger. Dennoch wird die weltweite Ungleichheit zwischen Arm und Reich immer größer. Der internationale Verband der Fachzeitschriften-Verleger hat diesen Dauerskandal zum Anlass genommen, in dieser Woche einen Themenschwerpunkt anzuregen. ,,Wir wollen das Bewusstsein für diese Probleme schärfen, Interesse wecken und die Erforschung des Zusammenhangs von Armut, Gesundheit und menschlicher Entwicklung fördern'', erklären die Verleger.

Manche Zeitschriften bringen Themenhefte heraus, andere nur einzelne Artikel, die aufgreifen, wie die schlimmsten Auswirkungen der Armut auf die Gesundheit gelindert werden können. Weltweit nehmen 234 Fachblätter teil, darunter führende Zeitschriften wie Science, Nature, Cell, das British Medical Journal und Jama, aber auch das Fiji Medical Journal oder das New Iraqi Journal of Medicine (renommierte Blätter wie das New England Journal of Medicine und The Lancet sind nicht dabei). In Deutschland macht das Deutsche Ärzteblatt mit.

Die Ergebnisse, die durch den gemeinsamen publizistischen Kraftakt zutage treten, sind erschreckend: Während ein Fünftel der Weltbevölkerung mit einer Lebenserwartung von etwa 80 Jahren rechnen kann, gehören zwei Drittel der Menschheit zu der benachteiligten Mehrheit, die öfter krank wird und früher stirbt. Kinder leiden besonders unter ärmlichen Verhältnissen: 10,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben weltweit jährlich. 99 Prozent der Fälle sind darauf zurückzuführen, dass nicht genug Geld vorhanden ist, um ausreichende Ernährung, Hygiene und ärztliche Versorgung bereitzustellen. Während die Kindersterblichkeit in wohlhabenden Ländern bei etwa 6 von 1000 liegt, sterben in armen Nationen 100 von 1000 Kindern. "Die Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren sind größtenteils vermeidbar, wirksame Interventionen sind bekannt", schreibt Oliver Razum, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bielefeld im Deutschen Ärzteblatt von dieser Woche.

Auch wenn Armut in Entwicklungsländern besonders dramatische Auswirkungen hat, beeinflusst sie in wohlhabenden Nationen ebenfalls die Gesundheit. Thomas Lampert und Bärbel-Maria Kurth vom Robert-Koch-Institut beschreiben im Ärzteblatt Ergebnisse des deutschen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys. Demnach wurde bei Kindern aus der untersten sozialen Schicht im Vergleich zu höheren Schichten nur halb so oft ein sehr guter Gesundheitszustand festgestellt. Zudem traten bei ärmeren Jugendlichen deutlich häufiger psychische Auffälligkeiten und Übergewicht auf.

Nach Einschätzung von Robert Eiss und Roger Glass von den amerikanischen Gesundheitsinstituten NIH war "die Situation nie so günstig und der Handlungsbedarf nie so groß wie jetzt", um den Teufelskreis aus Armut und Krankheit zu durchbrechen. Oliver Razum erinnert im Deutschen Ärzteblatt daran, dass ,,nicht nur Krankheit ökonomisch und sozial determiniert ist''. Auch die Gegenmittel seien politischer Wille, Geld und gesellschaftliche Verantwortung.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2007
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