SZ: Sie arbeiten im Institut für Tropenmedizin. Wieso steht das in Hamburg und nicht in den Tropen?
Toni Rieger: Das liegt an Bernhard Nocht, der das Institut vor über 120 Jahren gegründet hat. Er war damals Hafen- und Schiffsarzt hier in Hamburg und hat immer wieder Matrosen behandelt, die von ihren langen Reisen unbekannte Krankheiten mitbrachten. Die wollte er besser verstehen und behandeln.
Und was machen Sie heute?
Im Grunde das Gleiche, nur mit moderneren Mitteln: Wir haben hier ein Labor der Sicherheitsstufe 4, das ist die höchste Stufe. In diesem Hochsicherheitslabor können wir an gefährlichen Viren forschen.
Wie an dem Coronavirus?
Nein, dafür genügt Stufe 3. Im Vergleich zu unseren Viren ist das Coronavirus weniger gefährlich, man kann sich mit einer Spezialmaske oder einer Impfung davor schützen. Im Hochsicherheitslabor untersuchen wir nur Viren, die sehr krankmachend und tödlich sind, und gegen die es noch kein Mittel gibt. Dazu gehören zum Beispiel das Ebolavirus, das Lassa-Virus und das Marburg-Virus.
Marburg-Virus, so wie die Stadt?
Genau. Die meisten Viren bekommen ihre Namen von den Orten, an denen sie entdeckt wurden: Affen aus Uganda haben ein Virus nach Marburg eingeschleppt, deshalb heißt es so. Und Ebola ist nach einem Fluss im Kongo benannt, dort gab es den ersten bekannten Ausbruch.
Wie kommen Sie an diese Viren? Die kommen ja wohl kaum per Post.
Irgendwie schon, doch. Wir arbeiten mit anderen Instituten in Ländern zusammen, die täglich mit diesen Viren zu tun haben. Sie entnehmen Material von infizierten Menschen oder Tieren und schicken es an uns. Natürlich nicht einfach so als Paket, sondern per Flugzeug oder Lkw als Gefahrguttransport. Das sind besonders sichere Transporte. Die Proben sind zum Beispiel dreifach verpackt: in einem sicheren Gefäß, dann in einer Umverpackung mit Aufsaugmaterial, falls das Gefäß kaputtgeht und dann in einem Karton. Der Karton wird dann noch gekennzeichnet, damit jeder weiß: Achtung, hier sind Viren drin!
Astronaut oder Virologe? Dr. Toni Rieger arbeitet am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin.
(Foto: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin)Sie machen das dann aber in Ihrem Labor auf. Haben Sie da überhaupt keine Angst?
Angst nicht, Respekt schon. Aber wir halten uns an strenge Vorsichtsmaßnahmen, um uns und unsere Umwelt zu schützen. Bevor Forscherinnen und Forscher hier im Labor arbeiten dürfen, müssen sie ein monatelanges Training durchlaufen.
Was lernt man da?
Zum Beispiel in einem schützenden Ganzkörperanzug zu arbeiten, der die Beweglichkeit ganz schön einschränkt. Oder Fingerspitzengefühl - denn mit drei Paaren Handschuhe übereinander fallen viele Handgriffe schwerer. Vor allem lernt man alle Sicherheitsmaßnahmen kennen und was zu tun ist, wenn man mal kleckert oder etwas kaputtgeht. Im Labor gibt es für alles Regeln.
Dieser Anzug sieht irgendwie so aufgeblasen aus, fast wie ein Raumanzug.
Das ist er auch! Im Anzug herrscht immer Überdruck. Über blaue Schläuche wird saubere Luft hineingepustet und kann nur über Ventile wieder herausströmen, aber niemals rein. So kann kein Virus in den Anzug gelangen. Weil wir oft gemeinsam im Labor arbeiten, stöpseln wir uns an verschiedenen Stellen im Labor mit den Schläuchen an und wieder ab. So verknoten wir uns nicht gegenseitig und haben immer gute Atemluft. Außerdem hält das Material die Säuredusche aus.
Eine Dusche wie im Badezimmer?
Ich hoffe nicht, dass jemand so eine Dusche zu Hause hat. Es ist eine Metallkabine mit Bullaugen, damit man reinschauen kann. Sie ist ungefähr so groß wie eine Telefonzelle - gibt's die eigentlich noch? Naja, die Säure, sogenannte Peroxyessigsäure, spritzt jedenfalls von allen Seiten aus Düsen und zerstört das Virus, sollte es irgendwie auf unserem Anzug gelandet sein. Da sind wir ungefähr vier Minuten drin, bevor wir wieder aus dem Labor rausdürfen.
Wie passen Sie sonst auf, dass kein Virus aus dem Labor entwischt?
Der Weg ins Labor führt durch mehrere Schleusen. Mit jeder Schleuse wird der Unterdruck höher: Wenn man eine Tür aufmacht, strömt die Luft also rein statt raus. Sollte also doch mal ein Virus von der Sicherheitswerkbank entwischen, bleibt es im Labor. Die Luft, die aus dem Labor abgesaugt wird, wird mit mehreren Filtern gereinigt. Dazu wird alles autoklaviert, das heißt über 20 Minuten bei mindestens 121 Grad behandelt. Das hält kein Virus aus.
Wieso ist Ihre Arbeit wichtig?
In Ländern, in denen diese gefährlichen Viren vorkommen, ist oft nicht genug Geld für Forschung da. Die braucht es aber, um Impfungen oder Medikamente zu entwickeln. Der Klimawandel macht einige Viren außerdem mobiler. Die Tigermücke, die theoretisch tropische Krankheiten wie das Denguefieber übertragen könnte, kommt mittlerweile in Deutschland vor.